Zwei Wochen liegt mittlerweile jener Tag zurück, an dem die Regierung so nahe an einem vorzeitigen Aus gestanden ist wie nie zuvor: Auslöser dafür war, dass Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf EU-Ebene der Renaturierungsverordnung ihre Zustimmung erteilt hatte – und zwar gegen den expliziten Willen der ÖVP. Wäre Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) seinen Emotionen gefolgt, hätte er noch am selben Tag die Scheidung dieser Koalitionsehe angekündigt. Noch größer als die Wut auf die Grünen war aber offenbar seine Furcht vor einem freien Spiel der Kräfte im Parlament – damit gemeint ist der Beschluss von Gesetzen im koalitionsfreien Raum. Staatspolitisch unverantwortlich wäre das gewesen, meinte der Regierungschef, weshalb er sich dafür entschieden hatte, in einer aufrechten Koalition mit einem Partner zu bleiben, dem er "Rechtsbruch" vorwirft.

Die Fronten waren daraufhin derart verhärtet, dass ÖVP und Grüne sich vor zwei Wochen nicht einmal mehr zum Ministerrat persönlich zusammensetzen wollten. Um auf den letzten Metern vor der Nationalratswahl am 29. September aber doch noch in Aussicht genommene Beschlüsse und Vorhaben – inhaltlicher wie personeller Natur – in trockene Tücher zu bringen, schaute man sich in der Vorwoche beim wöchentlichen Fixtermin dann aber doch wieder in die Augen. Und auch in den nächsten drei Tagen wird man im Plenarsaal des Nationalrats viel gemeinsame Zeit verbringen.

Zum Parlamentskehraus vor der Sommerpause sollen an drei Plenartagen noch etwa 60 Gesetze beschlossen werden.
APA/EVA MANHART

Üppiges Programm zum Saisonfinale

Zum Parlamentskehraus vor der Sommerpause steht nämlich noch ein üppiges Programm auf der Tagesordnung: An drei Plenartagen wollen ÖVP und Grüne noch etwa 60 Gesetzesbeschlüsse durchbringen. Ungewöhnlich ist diese Latte an Beschlüssen nicht: Zum Saisonfinale geht es im Parlament in der Regel immer noch einmal betriebsam zu. Außerdem sind die Plenartage diese Woche die vorletzte reguläre Möglichkeit, Gesetze vor der Wahl zu beschließen.

Dementsprechend breit ist auch die thematische Palette von Anträgen, die zur Abstimmung gebracht werden. Dazu zählen etwa eine Cooling-off-Phase für angehende Höchstrichterinnen und Höchstrichter, ein Gemeindenhilfs-, Schulrechts- und Pflegepaket sowie ein Tierschutzgesetz. Ebenfalls geplant ist die Anhebung der Zuverdienstgrenze für Familien- und Studienbeihilfe. Die Ausweitung des Kostenersatzes für Strafverteidigung sollte ebenso einen Beschluss schaffen wie ein Sonderbudget für die Statistik Austria oder die neue Podcast-Förderung. Aus dem Gesundheitsbereich kommt die Implementierung des elektronischen Impfpasses. Erneuert wird außerdem die Rechtsberatung für Asylwerber, die vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) gekippt worden war. Reformiert werden Verbandsklagen, aufgelöst wird hingegen die umstrittene Covid-Finanzierungsagentur (Cofag).

Noch in Schwebe ist das Grün-Gas-Gesetz, für das im zuständigen Ausschuss noch nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande kam. Eine Gesetzesänderung wird aber definitiv nicht mehr vor dem Sommer beschlossen: die neuen Regeln zur Auswertung von Datenträgern wie Mobiltelefonen. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hatte nach dem Beschluss im Ausschuss nach Kritik aus der Justiz einen Rückzieher gemacht und die Begutachtung für das Gesetz verlängert – sehr zum Ärger der ÖVP. Letzte Chance, das Gesetz doch noch zu beschließen, wäre damit im Plenum im September kurz vor der Wahl.

Schlecht sieht es hingegen überhaupt etwa für das im Koalitionspakt festgeschriebene Klimaschutzgesetz, das Pensionssplitting sowie das Ehe- und Kindschaftsrecht aus. Auch aus der Neuregelung der Weisungsspitze in der Justiz, die Türkis-Grün zwar nicht im Regierungsübereinkommen paktiert, aber dennoch in Aussicht genommen hatte, dürfte nichts mehr werden. Hier ein Überblick, welche weiteren Projekte wohl ebenfalls liegenbleiben dürften.

Misstrauensanträge beliebtes Instrument

Mit Spannung erwartet wird wohl jener Misstrauensantrag, den die FPÖ gegen Gewessler einbringen will. Der Tag, an dem über den Antrag abgestimmt wird, steht noch nicht fest, lässt die FPÖ auf Anfrage wissen. Und auch den Tagesordnungen für die Sitzungen, die auf der Parlamentshomepage abrufbar sind, ist die Information noch nicht zu entnehmen. Der Antrag werde jedenfalls zur "Nagelprobe" für die ÖVP, heißt es seitens der Freiheitlichen. Nehammer lasse sich "von den Grünen am Nasenring durch die Manege ziehen", sagte Parteichef Herbert Kickl, der den Antrag gegen die grüne Ministerin aufgrund ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung angekündigt hatte. Es ist jedenfalls zu erwarten, dass die Volkspartei im Parlament Koalitionsräson an den Tag legen und zähneknirschend gegen den Misstrauensantrag stimmen wird.

Video: Regierung will bis Freitag rund 60 Gesetze beschließen
APA/kha

Überhaupt sind Misstrauensanträge ein beliebtes parlamentarisches Instrument. Laut dem STANDARD vorliegenden Zahlen der Parlamentsdirektion gab es in dieser Legislaturperiode bislang 28 solcher Anträge, die allesamt mit Mehrheit abgeschmettert wurden. Dasselbe Schicksal wird wohl Misstrauensantrag Nummer 29 gegen Gewessler ereilen. Unter stabilen politischen Mehrheitsverhältnissen finden Misstrauensanträge praktisch nie eine Mehrheit, auch wenn sie von der Opposition immer wieder eingebracht werden. In der Zweiten Republik zeitigte bislang nur ein Misstrauensantrag Erfolg: Am 27. Mai 2019 entzog eine Mehrheit im Nationalrat der Bundesregierung das Vertrauen, nachdem die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ infolge des Ibiza-Videos zerbrochen war. Kanzler Sebastian Kurz und sein Regierungsteam bestehend aus Ministerinnen und Ministern der ÖVP wurden damit aus dem Amt gejagt.

Anfragen an Koalitionspartner

Zahlenmäßige Bilanz über die vergangenen fünf Jahre lässt sich anlässlich des bevorstehenden Endes des Parlamentsjahres auch in anderen Bereichen ziehen. Laut Statistik der Parlamentsdirektion wurden in der seit 23. Oktober 2019 laufenden Legislaturperiode bislang 871 Gesetze beschlossen, ein paar Dutzend kommen bis zum Ende der Gesetzgebungsperiode in jedem Fall noch dazu. Außerdem haben die Abgeordneten insgesamt 19.064 parlamentarische Anfragen eingebracht, 18.953 davon richteten sich an Mitglieder der Bundesregierung. Ein Novum in diesem Zusammenhang war, dass Abgeordnete einer Regierungspartei Anfragen an Ministerinnen und Minister des Koalitionspartners stellten. Sprich: Grüne Mandatarinnen und Mandatare stellten an Regierungsmitglieder der ÖVP parlamentarische Anfragen und vice versa.

Vielredner im Parlament

Eine Auswertung der Parlamentsdirektion zeigt außerdem, welche Abgeordneten besonders gerne ans Rednerpult treten. Vorweg: Die Anzahl der Reden gibt freilich keinen Aufschluss darüber, wie arbeitsam ein Abgeordneter sonst am Werk ist. Fleißigster Redner ist jedenfalls der Neos-Abgeordnete Gerald Loacker, der nach der Wahl das Parlament verlassen wird. Mit 299 Redebeiträgen führt der Vorarlberger die Rangliste an. Hinter ihm folgt in der Liste die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch, die sich in dieser Legislaturperiode bislang 240-mal zu Wort meldete. Ihr Parteikollege Peter Wurm kommt mit 184 Redebeiträgen auf den dritten Platz. Dahinter folgen die Grünen-Abgeordnete Eva Blimlinger mit 172 Wortmeldungen, Neos-Mandatarin Karin Doppelbauer trat 167-mal ans Rednerpult, SPÖ-Abgeordneter Christoph Matznetter und Grünen-Mandatarin Agnes Sirka Prammer kommen jeweils auf 148 Reden.

Unter den Klubobleuten meldete sich Philip Kucher von der SPÖ mit 116 Beiträgen am häufigsten zu Wort. Er war im Juni des Vorjahres in dieses Amt gekommen und zuvor Gesundheitssprecher seiner Partei. Hinter ihm folgt August Wöginger von der ÖVP, der 102-mal das Wort ergriff. Sigrid Maurer von den Grünen hielt 100-mal eine Rede und Beate Meinl-Reisinger von den Neos 82-mal. Herbert Kickl von der FPÖ ist unter den Klubobleuten jener, der sich mit 75-mal am seltensten zu Wort meldete. Das ist auch deshalb spannend, weil der FPÖ-Chef unter allen 183 Abgeordneten jener ist, der die meisten Ordnungsrufe kassierte – 36 sind es an der Zahl.

Weit abgeschlagen liegen die Ordnungsruf-Spitzenreiter der anderen Parteien. In der ÖVP ist es Michael Hammer mit acht, bei den Grünen Eva Blimlinger mit fünf und bei den Neos Helmut Brandstätter mit drei Ordnungsrufen. Bei der SPÖ holte sich überhaupt niemand mehr als zwei Ordnungsrufe. Jene roten Abgeordneten, die auf zwei kommen, sind Kai Jan Krainer, Mario Lindner und Alois Stöger.

In der Sitzung am Freitag soll außerdem ein Beschluss über die Beendigung der sogenannten ordentlichen Tagung erfolgen – laut Arbeitsplan soll diese am 9. Juli abgeschlossen werden. Danach beginnt die tagungsfreie Zeit, vulgo Sommerpause, die allerdings jederzeit von Sondersitzungen unterbrochen werden kann. Tagungsbeginn ist für den 10. September in Aussicht genommen. Der neu gewählte Nationalrat soll dann erstmals am 24. Oktober zusammentreten, wo die 183 Abgeordneten angelobt werden. Bis dahin sind noch die Mandatarinnen und Mandatare der aktuellen Legislaturperiode im Amt. Während also das Parlamentsjahr kommende Woche zu Ende geht, läuft die Gesetzgebungsperiode XXVII noch, bis sich der Nationalrat neu konstituiert hat. (Sandra Schieder, 2.7.2024)