Seit Monaten wartet man beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg darauf, dass die österreichische Bundesregierung einen Kandidaten oder eine Kandidatin für den Posten eines Höchstrichters nominiert. Gemäß den EU-Verträgen hat jedes Mitgliedsland das Recht, ein Mitglied dieses Gremiums zu stellen, das die höchste Autorität der Rechtssprechung in der Europäischen Union darstellt. Die schwarz-grüne Koalition müsste das beschließen – einstimmig.

Edtstadler und Zadić
Karoline Edtstadler (ÖVP, rechts) und Alma Zadić (Grüne) gelten als befähigt, EuGH-Richterinnen zu werden. Fix ist aber noch lange nichts.
APA/HANS KLAUS TECHT

Aber das geschah bisher nicht. Die Regierung ist aus der Sicht des Gerichtshofes schwer säumig. Wie DER STANDARD in Brüssel erfuhr, habe der Präsident des EuGH in Wien bereits mehrfach direkt und indirekt eine Entscheidung urgiert, sei dabei aber auf taube Ohren gestoßen. Er übte unüberhörbar Kritik daran, heißt es, weil es ja nicht sein könne, dass ein derart wichtiger Posten vakant bleibe.

Regierung säumig

Diese Gefahr besteht unmittelbar zwar nicht. Derzeit ist der Grazer EU-Rechts-Spezialist Andreas Kumin am EuGH tätig. Er wurde 2018 von der damaligen türkis-blauen Regierung ausgesucht, weil eine ursprünglich vorgesehene Kandidatin bei der strengen Anhörung gescheitert war. Kumins Mandat läuft aber im Oktober aus. Im Prinzip könnte er um weitere sechs Jahre verlängert werden beziehungsweise so lange, bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden ist. Aber: Das ist seit Ende der Ausschreibungsfrist Anfang des Jahres nicht geschehen.

Laut Bundeskanzleramt hätten sich vier Kandidaten beworben, die Namen werden nicht veröffentlicht. Auch Kumin soll darunter sein. Koordiniert wird das Ganze bei Europaministerin Karoline Edtstadler, wo es vergangene Woche hieß, diese Entscheidung werde wohl Teil eines Personalpakets sein. Es geht dabei auch um den Nachfolger von EU-Kommissar Johannes Hahn. Zwischen Schwarzen und Grünen herrscht derzeit aber politische Eiszeit.

Richter am EuGH in Luxemburg zu werden, das ist nicht nur für die Elite der Richterschaft und Rechtskundige in den EU-Mitgliedsstaaten ein Traum. Die Besetzung dieser Posten durch kompetente Leute ist auch für das Image eines Landes und seiner Regierung von großer Bedeutung. Zumindest in der Regel. Immerhin ist der EuGH die höchste juristische Instanz der Gemeinschaft.

Dort wird letztgültig entschieden, ob Milliardenstrafen gegen Weltkonzerne angebracht oder ganze Staaten wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts verurteilt werden. Parallel beziehungsweise in Hinsicht auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wird in Luxemburg darüber entschieden, was in Europa als Recht und Ordnung gilt. Der EuGH ist eine stille wie mächtige Institution.

Zadić winkt offiziell ab

Umso verwunderlicher wird es in diplomatischen Kreisen aufgenommen, was wohl der Grund für die Verzögerungen sein könnte. In Brüssel wird, wie vom STANDARD berichtet, kolportiert, dass die grüne Justizministerin Alma Zadić auf den EuGH-Posten aufrücken könnte. Als Vorbild gilt dabei die frühere EU-Abgeordnete der SPÖ Maria Berger. Die Juristin wechselte vom EU-Parlament auf den Posten der Justizministerin und wurde dann von der Regierung als EuGH-Richterin nominiert, wo sie bis 2018 ein Jahrzehnt lang tätig war.

Aus dem Kabinett von Zadić hieß es jedoch, es sei zwar sehr ehrenhaft, wenn sie für dieses Amt genannt werde. Darüber sei aber mit ihr nie gesprochen worden. Sie habe sich nicht beworben, sehe sich auch in der österreichischen Politik verankert. Zadić kandidiert bei den Nationalratswahlen auf Platz eins der Wiener Liste der Grünen. Zudem erwartet sie im Dezember ihr zweites Kind. Luxemburg sei für sie keine Option.

Recherchen an der Spitze der Grünen ergeben, dass der EuGH-Posten bei Regierungsgesprächen bisher nie auf die Tagesordnung gekommen sei. Man wisse nicht, woher das Gerücht stamme, dass sich die Justizministerin für den Gerichtshof in Luxemburg bewerben könnte – wobei sie dafür zweifellos qualifiziert wäre.

Auch wenn die Ausschreibung vorbei wäre, könnte niemand die Regierung daran hindern, eine Ministerin zu nominieren, wenn es dazu einen einstimmigen Beschluss gibt, der auch im Hauptausschuss des Nationalrates Bestand hat – so wie beim Posten des nächsten EU-Kommissars oder der EU-Kommissarin nach Hahn. In grünen Kreisen wird das, sollte der Vorschlag kommen, als "unelegant" angesehen.

Pikante Personalie Edtstadler

Manche fragen sich daher, wer für den Höchstrichterjob sonst noch infrage käme. Dabei stößt man rasch auf den Namen der Verfassungs- und Europaministerin selbst, die den Akt in der Regierung pikanterweise zu verwalten hat. Karoline Edtstadler wäre jedenfalls eine Kandidatin, die praktisch alle Voraussetzungen mitbrächte, die zur Erfüllung höchstrichterlicher Ämter gemäß Ausschreibung im EuGH zu erfüllen sind – eine Richterin oder "Juristin/Jurist von anerkannt hervorragender Befähigung". Edtstadler mag politisch umstritten sein. Formal kann sie vorweisen: Sie war Strafrichterin, war bereits am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg tätig, spricht sehr gut Französisch, die Verhandlungssprache, und verfügt nach Jahren als Europaministerin, EU-Abgeordnete und Staatssekretärin wohl über ausreichend EU-Rechts-Kenntnis.

Sie galt in der Regierung jedoch auch als eine aussichtsreiche Kandidatin für die Hahn-Nachfolge in der EU-Kommission. Beobachter meinen jedoch, dass sie dabei von Finanzminister Magnus Brunner nach Stand der Dinge bereits ausgestochen worden sei und Kanzler Karl Nehammer Edtstadler in Brüssel verhindern wolle, weil sie als EU-Kommissarin eine zu starke Konkurrenz für ihn wäre.

Wie diese Personalfragen gelöst werden, sollte sich in den kommenden Tagen entscheiden, sobald Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission nominiert wird. Das werden die Staats- und Regierungschefs bei EU-Gipfel in der Nacht auf Freitag tun. Nehammer wird dann in Wien das Einvernehmen mit dem grünen Vizekanzler Werner Kogler suchen müssen, der bisher signalisierte, dass er sich dabei nicht drängen lassen wolle.

Aber in Wahrheit "pressiert es", die Zeit drängt, nicht nur weil der Präsident des EuGH endlich eine Entscheidung aus Wien erwartet. Von der Leyen führt im Hintergrund seit zwei Wochen intensive Gespräche über Arbeitsprogramm und Namen für die künftige EU-Kommission, hat das mit Sicherheit auch schon mit dem österreichischen Bundeskanzler getan. Handeln sei gefragt, sagte auch Noch-Kommissar Johannes Hahn im STANDARD-Interview: "Am Ende werden sie sonst verantwortlich gemacht werden, wenn Österreich kein wichtiges Dossier bekommt." (Thomas Mayer aus Brüssel, 27.6.2024)