Hawk Thua Girl
Nach außen gibt die junge Frau kaum Wortmeldungen oder gar Interviews.
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Für 15 Minuten Ruhm müssen viele Menschen lange in ihren Traum investieren. Für eine junge Frau in Nashville, Tennessee, haben wenige Sekunden gereicht, um von so mancher Newsplattform als die "most viral video sensation of the year" bezeichnet zu werden. Drei Sekunden, in denen die Frau namens Hailey auf eine schlüpfrige Frage eine sehr direkte Antwort gab. Sex sells, könnte man meinen, aber ist es das allein, was aktuell junge Frauen so regelmäßig auf Social Media durch die Decke gehen lässt? Oder sind es am Ende verkappte politische Diskussionen, die auf diese Weise ein Ventil finden?

Ein kurzer Satz

33.000 Abonnenten hat der Youtuber Tim & Dee TV aktuell auf der Videoplattform. Sein aktuelles Video verzeichnet beeindruckende 783.000 Aufrufe. Dabei hat er das gemacht, was er immer in seinen Videos macht: Er ging an einem lauen Frühsommerabend auf die Straßen in seiner Nachbarschaft und bat ein paar junge Frauen zum Kurzinterview. "Was ist der eine Move im Bett, der Männer jedes Mal wieder verrückt macht?", fragt er zwei junge Frauen an diesem einen Abend, der eine junge Frau viral gehen lassen sollte. Ebenjene Frau wagt den Schritt auf das Mikrofon zu und sagt: "Oh, du musst ihm den Hawk Tuah geben und auf das Ding spucken! Verstehst du?" Was sie mit dem "Ding" meint, mag sich jeder selbst ausmalen.

Der Rest ist in jedem Fall Geschichte. Am 11. Juni 2024 geht das Video online, seitdem ist auf X oder Tiktok in bestimmten Bubbles nichts mehr, wie es war. Das "Hawk-Tuah-Girl", wie die junge Frau zumeist genannt wird, ziert zahlreiche Bilder, mehrere Musik-Remixes, und tatsächlich wird online bereits Merchandise angeboten. Wie etwa der Rolling Stone berichtet, haben sich die Youtuber und Hailey zusammengetan und mit einer lokalen Brand innerhalb kürzester Zeit T-Shirts und Kappen produziert. Auf der Kappe steht "Hawk Tuah '24" geschrieben, was sehr an eine politische Kampagne erinnert. Als Slogan findet sich "Spit on that thing". Für 40 Dollar kann man Besitzer einer solchen Kappe werden.

Kollektive Dynamik

Es ist faszinierend, wie schnell heute kurze Sager für einen solchen Boom auf Social Media sorgen können. Erst vor wenigen Wochen gab es einen ähnlichen Fall mit dem "Girl on Couch". Eine junge hübsche Frau, eine Parallele zum "Hawk-Tuah-Girl", spricht unspektakulär einen Satz in ein Tiktok-Video ein. "I'm looking for a man in finance, trust fund, 6'5'', blue eyes." Andere Nutzerinnen bastelten aus dem 20-sekündigen Video ein Sample. Unzählige Remixes entstehen, und Social Media hat nur noch ein Thema.

"So wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so entstehen auch (Internet-)Memes nicht durch ein einzelnes Video, Musikstück oder Bild", erklärten die beiden Hochschulprofessoren Georg Fischer und Lorenz Grünewald-Schukalla bereits 2018 in einer Forschungsarbeit. Vielmehr würden sie auf einer kollektiven Dynamik beruhen, in der dutzende, hunderte oder sogar tausende individuelle Beiträge in wechselseitiger Referenz produziert werden. Die beiden jungen Frauen sind gute Beispiele, wie sich ein ganz kurzer Satz in einen viralen Hit verwandeln kann.

Wie aber schon bei anderen bekannten Memes davor – etwa dem "Distracted Boyfriend", das aus einem Foto entstand, bei dem ein Mann seiner Freundin hinterherschaut, obwohl er bereits an einer anderen Frau vorbeigeht –, ist der Erfolg vieler Memes auch ein Kind der jeweiligen Zeit. "Memes sind mehr als nur Unterhaltung – sie spiegeln unsere digitale Kultur wider", erklärt es ein Meme-Leitfaden einer deutschen Internetagentur. Zudem würden sie nicht selten aktuelle oder generelle Diskussionen oder Probleme aufgreifen. Während der "Distracted Boyfriend" schnell für Untreue stand, war das 2017 geborene Meme aber auch ein Zeichen für die Ablenkung im digitalen Zeitalter.

Bei den zwei aktuellen Fällen geht es vor allem um Frauen- und Männerrollen, also ein Thema, zu dem fast jede und jeder eine starke Meinung hat. Bei der STANDARD-Geschichte zum "Girl on Couch" schreibt Kollegin Brigitte Theißl, dass "das Märchen vom reichen Prinzen" kaum "an Anziehungskraft verloren" habe. Eine junge Frau wünscht sich einen wohlhabenden Mann, der für sie sorgt. Zündstoff für die ohnehin durch die "Tradwifes" angeheizte Diskussion über die Rolle der Frau. Zur Erklärung: Vor einigen Jahren tauchte erstmals der Begriff "Tradwife" auf. Gemeint waren damals Frauen, die auf diversen digitalen Plattformen der 1950er-Jahre-Ästhetik inklusive Petticoat, Schürze und High Heels einem traditionellen Frauenbild frönten. Kollegin Beate Hausbichler hat sich damit ausführlich auseinandergesetzt.

Hawk Tuah
Menschen lassen sich den Spruch offenbar auch tätowieren.
Youtube
Hawk Tuah Girl
Dinge, die Männer lieben.
@VisionaryVoid / X

Fans wie Joe Rogan

Beim "Hawk Tuah Girl" sieht es ähnlich aus. Viele Männer, darunter der US-Podcaster Joe Rogan, feiern die junge Frau als Heldin. Schnell ging es nicht mehr einfach um eine Frau mit einer von Betrunkenheit gelockerten Zunge, sondern um die Träume von Männern. "Geräusche, die Männer lieben", war eine vielzitierte Antwort auf den Trend. Das Öffnen einer Bierdose, das Abfeuern einer Waffe, Fleisch auf einem Grill und natürlich ein Bild einer jungen Frau, die gerade das Spuckgeräusch macht. Mit mit dem Spruch bedruckten Waffen, Liebesbekundungen und Aussagen wie "Sie ist Super-Ehefrau-Material" outeten sich viele Männer schnell als Fans. Viele sahen mit dem Sager in selbstgebastelten Memes das Ende des Pride Month eingeläutet. Endlich wieder echte Frauen, die wissen, was ein echter Mann will.

Hawk Tuah Girl
Viele Memes erkannten den Spruch der jungen Frau als Todesstoß für den Pride Month, den viele mittlerweile als Feier für Gleichberechtigung sehen.
@batmanrevance / X

Am Ende sind Memes wohl aufgrund ihrer Einfachheit und Universalität beliebt. Mit humorvollen und ironischen Bildern, garniert mit kurzen Texten, scheinen sie oftmals komplexe Themen auf verkürzte Weise darzustellen. Einmal viral, werden sie auch Mittel zur Verbindung und Kommunikation in dieser schnellen, digitalen Welt. Schnell hat man gemeinsame Erfahrungen, surft zusammen auf dem Hypetrain und ist irgendwie Teil des Ganzen. Plattformen wie Tiktok feiern solche Trends natürlich auch, vor allem wie im Falle Finance-Girl. Ein lustiges Video und darauffolgende Musiktrends sind genau die Geschichten, die Tiktok und Co erzählen wollen. In jedem Fall lieber als Newsmeldungen über gefährliche Challenges oder die Verbreitung von Fake-Nachrichten.

Zurück im Leben

Genauso schnell, wie sie gekommen sind, verschwinden viele Hypes dann auch wieder. Ob das "Girl on Couch" noch einen Auftritt mit David Guetta feiern wird, ist fraglich. Ob das "Hawk Tuah Girl" auch in fünf Jahren noch als Meme genutzt wird wie heute noch der "Distracted Boyfriend", oder weiter im Internet als Content Creator tätig ist, weiß heute noch keiner.

Die junge Hailey jedenfalls will ihre Social Media Kanäle privat halten. Lust auf Interviews hat sie aktuell ebenfalls nicht, wie sie in einem ihrer wenigen Statements wissen ließ. Der Druck sei doch sehr groß auf sie, ließ sie wissen. Eine weitere Kehrseite, wenn man ohne großes Zutun und wahrscheinlich sogar ohne die Absicht berühmt zu werden, auf einmal im Rampenlicht steht. Wenn auch nur für 15 Minuten. (aam, 27.6.2024)