Ferdinand Schmalz anlässlich einer Pressekonferenz 2022
Schriftsteller Ferdinand Schmalz sprach in Klagenfurt über Schreib- und andere Krisen und deren Überwindung.
Foto: Imago / Star-Media

euch kann ichs ja ruhig (mit erich kästner) sagen: mir ist nichts eingefallen. also es hat mich kein einfall ergriffen. ich mein, anfangs schon. eigentlich wollte ich ja eine ganz andere rede schreiben. eine rede, in der vor lauter wut die karawanken ins wanken kommen und der wörthersee um worte ringt. doch plötzlich fiel mir nichts mehr ein, hirn zermartert, aber immer noch nichts rausgequetscht, da aus meiner denkrosine.

"so sehr liebe ich die schreibkrise."

und obwohl es unerträglich ist in der schreibkrise, obwohl ich in diesen phasen an schlimmstem tunnelblick leide, jeder kratzer schmerzt wie eine armamputation, jeder schnupfen sich zu einer lebensbedrohlichen krankheit auszuwachsen scheint, obwohl ich oft wie ein schreibkrisenzombie durch die gegend laufe, löcher in die umgebung starre, kaum ansprechbar bin, liebe ich diesen zustand. vielleicht auf ähnliche weise, wie einem starke alkoholiker erklären, dass sie nicht wegen dem rausch trinken oder dem spaß am abend oder gar wegen der gelassenheit. nein, sie trinken wegen dem kater am nächsten tag, weil sie das dunkle loch lieben, in das sie dann fallen. so sehr liebe ich die schreibkrise. nicht schreiben um des schreibens willen, sondern um des nicht-schreiben-könnens.

dazu aber braucht es eben diesen schmerzhaften moment in den schreib- und auch lesekrisen, wo man mit dem kopf gegen die wand rennt und alles erst mal ordentlich schief gehen muss, um uns dadurch unserer eingefahrenen routinen, unserer stereotypen sichtweisen, unserer hölzernen sprachschablonen bewusst zu werden. als würden wir erst verlernen müssen, was bisher zum ziel geführt hat. im erlernen neuer dinge sind wir menschenaffen weltmeister. die kunst liegt aber im verlernen. was sich heute auch an den großen problemen zeigt, vor denen unsere generation steht. im suchen neuer, umweltschonender lebensweisen sind wir findig wie noch nie. wie aber verlernen wir unsere alteingesessenen gewohnheiten, für die die ressourcen von drei planeten nicht reichen würden? wie verlernen wir den hass, den allgegenwärtigen alltagsrassismus? wie verlernen wir den krieg?

"wir verbleiben viel zu oft im augenblick einer schnappatmigen panik, in alarmismus und reflexhaftem sofortismus."

was aber die gegenwärtigen gesellschaftlichen krisen von schreibkrisen unterscheidet, ist, dass sie nicht teil eines formgebenden prozesses sind, sondern dass sie uns formlos zurücklassen. und schleicht sich manchmal das gefühl ein, dass diese permanente alarmbereitschaft ja für viele etwas praktisches: kein zögern, kein innehalten, die zeit drängt, die krise groß. klar, wir stellen ein paar stellschrauben neu, machen eine frischzellenkur, helfen dem motor wieder in schwung zu kommen, unterzeichnen mit großem festakt einen green deal, während im großen und ganzen doch wieder alles beim alten bleibt. der permanente alarmzustand aber ist teil unseres alltags geworden. während die buchcover, auf denen groß die ausrufezeichen prangen, auf denen warnschilder leuchten und dinge brennen, immer mehr werden, fragt man sich, wo jene texte sind, die uns mehr als die dringlichkeit eines katastrophenkapitalismus weiterreichen. was wir jetzt bräuchten, ist jenes auge des orkans, das jede wirkliche schreibkrise kennt, wo man in aller bitterkeit dieses moments die dinge glasklar sieht, in dem plötzlich das, was mit dem text scheiße läuft, genau mit dem zusammenfällt, was mit der welt scheiße läuft. einen solchen bitter realistischen moment, einen nullpunkt, von dem aus man in aller nüchternheit beschauen kann, was denn schon da ist und woran wir nun in aller ruhe weiterarbeiten sollten. wir aber verbleiben viel zu oft im augenblick einer schnappatmigen panik, in alarmismus und reflexhaftem sofortismus. doch wenn man dauerhaft auf messers schneide lebt, stumpft man langsam, aber sicher ab. und kann man den prozess einer allgemeinen abstumpfung allerorten schon beobachten, wenn die nachrichten vermieden werden, wenn die wahlen unterwandert, die demokratien unterhöhlt werden.

"dort, wo das konzept ethnischer säuberungen in begriffe wie remigration verpackt wird, um sich aalglatt in die diskurse einzuschleichen, ist die literatur gefragt, indem sie ein kritisches hören schult, indem sie eine distanz zur sprache schafft."

in einem solchen zustand haben es natürlich jene leicht, die eine hoffnung auf erlösung zu vermarkten wissen, die billiger als der billigste löskaffee. gestern haben sie uns noch an den rand der verfassungskrise geführt, heute sind sie wieder die strahlenden erlöser. unter daueralarmbeschallung laufen scharenweise aufgescheuchte wähler*innen dem blauen stammtischdichter zu, dem immer nur der niederträchtigste reim einfallen will. unser volksschulkanzler in spe, der schon stricherllisten führt, wen seine schergen dann in den schwitzkasten nehmen dürfen, unliebsame journalist*innen, komiker*innen oder künstler*innen, ja, dieser schwitzkasten ist groß, da werden sich noch manche wundern, wer da alles platz hat in diesem schwitzkasten drin, unser ganzer liberaler rechtsstaat wird da drinnen platz haben müssen. das können ihnen die freundschaftsvertraglich verbundenen autokraten, die können ihnen das bestätigen, dass so ein schwitzkasten geräumig ist. und unsere demokratie, die liegt längelang da am behandlungstisch, wie eine kritische patientin liegt sie da, mit offenem herzen. während einer schon wieder zum entwurmungsmittel greift.

spätestens durch die großartige correctiv-recherche zu dem geheimen treffen rechtsextremer am wannsee haben wir gelernt, dass uns von den marketingstrategen der neofaschist*innen schon wieder das niederträchtigste als das einleuchtendste verkauft werden soll. dort, wo das konzept ethnischer säuberungen in begriffe wie remigration verpackt wird, um sich aalglatt in die diskurse einzuschleichen, ist die literatur gefragt, indem sie ein kritisches hören schult, indem sie eine distanz zur sprache schafft. literatur in ihrer hassliebe zur sprache, schafft es, uns ein natürliches misstrauen, eine gesunde skepsis anzutrainieren, damit wir dort bruchstellen finden, wo es zu glatt wird, wo die demagog*innen versuchen unbemerkt ihr gift in den sprachgebrauch einsickern zu lassen. weil wenn wir über solche begriffe nicht mehr stolpern, wenn wir nicht aufhorchen, was da im untergrund der sprache passiert, sind wir verloren.

Leberwurst
Es geht wieder um die Wurst in Klagenfurt. Bis 30. Juni lesen 14 Autorinnen und Autoren ihre Texte, am Ende entscheidet die Jury des international renommierten Literaturwettbewerbs, wer gewonnen hat.
Foto: Imago / Zoonar / Jens Schmitz

all das behirnend liege ich also bei uns in ottakring, in unserem wohnzimmer, und nicht die tischbeine, die da neben mir ganz wadenlos an unserem esstisch zu boden ragen, sind es, die mich aus diesem altbekannten lähmungszustand wieder herausreißen. nein, es sind die beine meiner kinder, die da singend um mich herum laufen, also nicht die beine, sondern die kindermünder singen ein lied, das sie vor kurzem im radio gehört haben. hoppla, die leberwurst! hoppla, die leberwurst! singt es da aus meinen kindern grad heraus. aus dem von paul mccartney über calypso-rhythmen hingesäuselten song hope of deliverance (from the darkness that surrounds us) haben die kinderohren und kindermünder hoppla, die leberwurst gemacht, aus der hoffnung auf erlösung einen unverhofften glücksmoment. und fährt mir diese leberwurst jetzt rein da in die trockne denkrosine und plötzlich fügt sich stück für stück, worum es gehen könnt in diesem text. die frage des anders-hörens, die allgemeine krise, die schreibkrise im speziellen, die hoffnung auf erlösung from the darkness that surrounds us. und da in dem moment lösen sich auf wundersame weise alle schreibkrämpfe, und da im kopf beginnt eine lawine nun zu rollen, die sich in kürze dann im dichterkammerflimmern auf das papier ergießen wird.

when it will be right?
I dont know.
what it will be like?
I dont know

hoppla, die leberwurst!
hoppla, die leberwurst!
(ferdinand schmalz, 26.6.2024)