Der Modus kann schon für Verwirrung sorgen.
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Für

Das Leben ist kompliziert, der Sport muss es nicht sein. Und es ist ärgerlich, wenn er im Interesse der Kommerzialisierung verkompliziert wird. Klar ist, dass eine Europameisterschaft im Uraltformat mit acht Teilnehmern die europäische Realität nicht mehr abbildet. Ja, nicht einmal 16 Teilnehmer können das bei 55 Verbänden, die der europäischen Fußballunion (Uefa) angehören. Obwohl das 16er-Feld den unbestreitbaren Vorteil hatte, dass zur Ermittlung der Teilnehmer an einem zur Streckung des Turniers eingezogenen Achtelfinale keine intellektuellen Verrenkungen vonnöten wären - vier Vierergruppen, die jeweils zwei Besten kommen ins Viertelfinale, basta. Fast könnte man sagen, dass, wenn schon ein Achtelfinale sein muss, die Aufstockung des Feldes auf 32 Mannschaften, die in acht Gruppen die Teilnehmer an der Runde der letzten 16 ermitteln, sinnvoller gewesen wäre. Dass dieses Monsterfeld die Qualifikation ad absurdum führen würde, steht auf einem anderen Blatt.

So oder so ist die aktuelle Situation bezüglich der Gruppendritten unbefriedigend bis ärgerlich, in erster Linie für die Konsumenten, die vor Ort dabei sein wollen. Planungssicherheit für anreisende Fans gibt es nicht, schließlich sichern die raren "Follow your Team"-Tickets zwar den Platz im jeweils richtigen Stadion, aber weder die Unterkunft noch die Anreise in einem in diesem Punkt offenbar ohnehin überforderten Gastgeberland.

Ärgerlich ist die Situation auch für die Gruppendritten selbst, auch wenn den Fußballprofis und -betreuern die nervliche Belastung prinzipiell gut abgegolten wird. So muss das eine oder andere Team bis Mittwochnacht warten, bis es über Verbleib oder Nichtverbleib im Turnier Gewissheit hat. Und mit Fairness braucht die Uefa gar nicht zu argumentieren. Dritter in der Deutschland-Gruppe oder in der Österreich-Gruppe zu werden, das sind echt zwei Paar Schuhe! (Sigi Lützow)

Wider

Unsere Sportredaktion hat sich in einer klinischen Langzeitstudie den Auswirkungen der Fußball-EM auf den menschlichen Körper gewidmet. In der Kontrollgruppe der TV-Zuseher ist ein deutlicher Trend zu erkennen: Die Vitalfunktionen werden auf ein absolutes Minimum reduziert. Fluchen, jubeln, zum Kühlschrank gehen. Um diese drei Lebensgrundlagen vier Wochen lang unterbrechungsfrei zu gewährleisten, wird die Gehirnaktivität mit Anpfiff de facto eingestellt. Kein ungefährliches Phänomen. Der europäische Fußballverband Uefa ist sich seiner sozialen Verantwortung bewusst und greift zu einem drastischen Gegenmittel: dem EM-Modus.

Ja, dieser Modus hat es in sich. Er bringt unsere verwahrlosten Gehirne wieder in Schwung. Er fordert unsere Lese- und Zahlenkompetenz. Noch bevor man vor dem Ende der Gruppenphase mit dem Sofa verschmolzen ist, bilden sich die Synapsen neu. Auf den Dritten der Gruppe D wartet im Achtelfinale der Sieger der Gruppe B, aber nur dann, wenn auch die Dritten aus den Gruppen A/B/E oder A/B/F das Achtelfinale erreichen. Klingt zunächst gar nicht so kompliziert, aber Achtung! Sollte die Quersumme der bis dahin getretenen Eckbälle mal Pi unter der Anzahl der erzielten Tore in der ersten Halbzeit liegen, ändert das auch nichts.

Im Grunde ist die ganze Rechnerei nur Beschäftigungstherapie für spielfreie Stunden. Sie bewahrt uns vor dem Fall in das Schwarze Loch. 36 Spiele werden absolviert, um acht von 24 Mannschaften zu eliminieren. Was für ein Aufwand, um die EM dort weiterzuspielen, wo sie bis 2012 erst angefangen hat: bei 16 Teams. Die Gruppenphase erinnert an die Vergabe der Maturazeugnisse - allen schlottern die Knie, nur nicht dem Klassenstreber (Spanien). Und am Ende scheitert nur der mit dem völlig überzogenen Selbstbewusstsein (Schottland). So soll es sein. Das Fußballerleben ist kurz, die kollektive Party sei allen vergönnt. (Philip Bauer)