Ein Foto aus besseren Zeiten: Justizministerin Alma Zadić (Grüne, links) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) im Mai nach einer Sitzung des Ministerrats im Bundeskanzleramt.
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"Gibt's Fragen?", fragt der Pressesprecher in Richtung Journalisten. Sigrid Maurer grinst. Eigentlich ging es bei den Pressestatements der grünen Klubchefin und von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) im Kanzleramt am Mittwoch um die Abschaffung der sogenannten vorwissenschaftlichen Arbeit im Rahmen der Matura. Aber Maurer weiß, dass sich die Pressevertreter vor allem für etwas anderes interessieren: die Regierung. Manche sagen: die kaputte Regierung.

In den vergangenen Wochen ist viel passiert, das ÖVP und Grüne weiter und weiter auseinanderdriften ließ. Einst, zum Start der Koalition vor viereinhalb Jahren, gab die ÖVP noch das Motto aus, die Bürgerinnen und Bürger würden "das Beste aus beiden Welten" aufgetischt bekommen. Inzwischen kann man im Gespräch mit Konservativen und Grünen den Eindruck gewinnen, man habe es mit Regierungsmannschaften von unterschiedlichen Planeten zu tun.

Video: Koalition trat nach Koalitionszwist wieder zusammen.
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"Die verbleibenden Wochen über die Bühne bringen"

Am Dienstag kündigte die grüne Justizministerin Alma Zadić an, den Gesetzesentwurf zur geplanten Reform der Handysicherstellung doch noch ändern zu lassen und nicht wie geplant im Juli, sondern erst im September auf den Weg zu bringen. Vonseiten der Justiz war das Vorhaben zuvor massiv kritisiert worden. Es handelt sich dabei allerdings um eine jahrelange Forderung der ÖVP – die über die Verzögerung entsprechend wenig begeistert war. Doch auch die Grünen werfen der Volkspartei vor, die Angelegenheit verschleppt zu haben.

"Das löst bei uns alles nur noch Kopfschütteln aus", heißt es aus dem Büro der türkisen Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zum STANDARD. Der Gesetzesentwurf sei schließlich im Justizministerium ausgearbeitet und erst vor wenigen Tagen mit den Stimmen der Grünen im Justizausschuss beschlossen worden. Es sei gänzlich unverständlich, warum man sich im Justizministerium nicht längst mit den Stakeholdern im eigenen Ressort – gemeint ist: mit Vertretern der Justiz – abgestimmt habe. Die Situation sei "angespannt", man wolle nun einfach noch die verbleibenden gemeinsamen Wochen "ordentlich über die Bühne bringen".

Zadić war in der Sache massiv unter Druck geraten. Immerhin wehrte sich nicht nur die Standesvertretung der Staatsanwälte gegen die Reform der Handysicherstellung, auch zahlreiche Expertinnen und Experten übten scharfe Kritik. Dabei ist weniger das Problem, dass Smartphones und sonstige Datenträger von Verdächtigen nur noch mit gerichtlicher Bewilligung beschlagnahmt werden dürften. Das wird seitens der Justiz akzeptiert. Umstritten ist, dass mit der Novelle die Kriminalpolizei zur Herrin über die sichergestellten Handydaten und deren Aufbereitung erklärt würde. Denn sie ist dem türkisen Innenministerium unterstellt. Das hätte zur Folge, dass die Exekutive die Daten filtern würde und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sie erst im Nachgang zu sehen bekämen.

Kritiker des Regierungsvorhabens sehen darin eine Entmachtung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die wurde in der Vergangenheit von der ÖVP aufgrund zahlreicher Ermittlungen in den eigenen Reihen immer wieder scharf angegriffen. Die Grünen hatten die Entrüstung über den Entwurf öffentlich nicht mehr einfangen können – und sahen sich gezwungen zu reagieren.

Vergangene Woche war die Regierung gar knapp vor ihrem Aus gestanden, nachdem die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gegen den Willen der Volkspartei auf EU-Ebene dem Renaturierungsgesetz zugestimmt hatte. Die ÖVP hat Gewessler deshalb sogar angezeigt. Kanzler Karl Nehammer sprach von "krassem Fehlverhalten", die Grünen hätten nun "ihr wahres Gesicht" gezeigt.

Schon davor gab es Streits, die zum Teil bis heute nicht geklärt sind. So hatte Edtstadler etwa auch den Nationalen Klima- und Energieplan Österreichs, den die Grünen auf EU-Ebene abgegeben hatten, wieder zurückgepfiffen – eine neue Version wurde bis heute nicht abgegeben.

Strategisches Geschick der Grünen

Inzwischen hat die Stimmung in der Koalition ihren Tiefpunkt erreicht. Oder, anders formuliert: Der Zustand der Koalition erscheint jedenfalls dann desaströs, wenn man sich in der Volkspartei umhört. Dort lässt sich derzeit nur schwer jemand finden, der abseits der öffentlichen Weitermach-Parolen gut auf den kleinen Koalitionspartner zu sprechen ist. Die Grünen sind hingegen bemüht, größte Gelassenheit auszustrahlen – was wiederum manchen Konservativen erst recht provoziert. "Sie streuen auch noch Salz in die Wunden", sagt ein Türkiser. "So kann man einfach nicht mehr zusammenarbeiten."

Die Grünen verspüren Aufwind – selbst Kritiker gestehen der selbsternannten Klimaschutzpartei zuletzt strategisches Geschick zu. Der Juniorpartner will sich auch die koalitionäre Stimmung nicht schlechterreden lassen, als sie sei: Die Atmosphäre im Ministerrat – der Regierungszusammenkunft am Mittwoch – sei ganz im Gegenteil "gut wie immer" gewesen, von Reibereien keine Spur, wird betont.

Die Worte von Bildungsminister Polaschek, der nach dem Ministerrat vor die Presse trat, wirkten in diesem Zusammenhang fast pathetisch. Angesichts der Abschaffung der vorwissenschaftlichen Arbeit betonte er: "Diese Regierung kann arbeiten, diese Regierung arbeitet weiter." (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 26.6.2024)