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Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sieht der Herausforderung des künstlerischen Menschen durch die KI einigermaßen gelassen entgegen: "Die erste Verblüffung über die künstlichen Artefakte verpufft meist rasch."
IMAGO/Panama Pictures

Macht Künstliche Intelligenz Kulturschaffende arbeitslos? Längst drängen KI-Tools in die geheiligten Bezirke der Kunst. Nicht nur Amerikas Schauspieler verlangen eine Zähmung der artifiziellen "Helfer". Am Donnerstag lädt das Kulturministerium in die Stiftung Mozarteum nach Salzburg (ab 13 Uhr), um über Risiken und Nebenwirkungen der KI diskutieren zu lassen. Impulsreferent ist der deutsche Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich. Er fragt: Was bedeuten Begriffe wie "Autor" oder "Werk", wenn eine KI ein Buch schreibt?

STANDARD: Wie künstlerisch "autonom" darf man sich KI vorstellen, gemessen an ihren Möglichkeiten?

Ullrich: Man kann sie sich gar nicht autonom vorstellen. Denn alles, was mithilfe von KI generiert wird, verdankt sich riesigen Mengen an Daten, mit denen die Programme trainiert werden. Texte, verschlagwortete Bilder und vieles mehr liefern die Grundlage dafür, dass Programme wie ChatGPT, DALL-E 2 oder Midjourney auf Fragen oder Prompts reagieren und Output liefern. Letztlich bieten sie nach statistischen Methoden berechnete Variationen von bereits Bekanntem und füllen Leerstellen, die die Fragen und Prompts lassen, mit Versatzstücken. So mag relativ Neues, aber nichts ohne bereits existierendes Material entstehen. Aber vielleicht sind KI-generierte Artefakte ja gerade interessant, weil sie nicht autonom sind. Denn in ihnen kommt immerhin so etwas wie eine Summe, ein Durchschnitt existierender Vorstellungen zum Ausdruck. Sie sind nicht originell, aber repräsentativ.

STANDARD: Um ein Programm als kreativ zu bezeichnen, müsste man voraussetzen, es verfüge über Absichten und mentale Zustände. Wie mysteriös oder spukhaft wäre eine solche Vorstellung, vorausgesetzt, das Ergebnis der von der KI geleisteten Arbeit würde von genügend Menschen als gelungen oder ästhetisch wertvoll eingeschätzt?

Ullrich: Auch wenn es vielen Spaß macht, sich die KI als Superintelligenz mit eigenem Bewusstsein und eigenen Intentionen vorzustellen, wäre ich da skeptisch. Aber klar: Als Laie, der nicht genau weiß, wie die Programme funktionieren, empfindet man die KI als eine Blackbox, in der die geheimnisvollsten Dinge passieren könnten. Doch habe ich noch nichts von einer KI gesehen oder gelesen, das mich wirklich beeindruckt hat. Eine erste Überraschung verpufft meist schnell. Und wenn sich etwas in künstlerischer Hinsicht als gelungen empfinden lässt, dann eigentlich nur, weil eine Künstlerin, ein Künstler ein kluges Konzept entwickelt hat, durch das die KI-Produkte auf einmal witzig, aussagekräftig oder abgründig werden.

STANDARD: Hat sich die Idee personalen Künstlertums – ein Produkt der Neuzeit – durch die KI überholt? Muss der Mensch einen solchen Konkurrenten fürchten?

Ullrich: Auch hier würde ich verneinen. Zuerst einmal sind KI-Programme Hilfsmittel. Mit ihnen lassen sich Dinge ausprobieren und Vorschläge formulieren, an denen man sich wie an Sparringspartnern abarbeiten kann. Man bemerkt dann aber auch, wie sehr diese Programme, salopp gesprochen, nur mit Wasser kochen. Positiv formuliert: Alles, was von ihnen kommt, ist uns letztlich schon vertraut. Wegen des Trainingsmaterials, das von Menschen stammt, handelt es sich dabei um "zutiefst menschliche Apparate". So hat es die Malerin Charlie Stein formuliert, die selbst sehr viel mit KI arbeitet. Für sie sind diese Programme gerade interessant, weil sie "ein Pool menschlichen Wissens" sind. Und insofern etwas, das man eher als Verwandte denn als Konkurrenten erleben kann.

STANDARD: Müssen wir auf die Idee menschlicher Urheberschaft mit Blick auf die schönen Künste überhaupt verzichten?

Ullrich: Grundsätzlich können wir das. So ist die Vorstellung, dass Meisterwerke der Kunst von Menschen verantwortet sind, in unserer Kultur relativ jung. Lange Zeit glaubte man dafür an Genies. Und sie galten lediglich als Medien, durch die hindurch sich eine göttliche oder naturhafte Kraft artikuliert. Ein großes Kunstwerk war also Ausdruck von Gottesgnadentum oder eine Gunst der Natur – und nichts, worauf ein einzelner Mensch Urheberschaft beanspruchen konnte.

STANDARD: Und heute?

Ullrich: Interessanterweise kehren solche Vorstellungen im Blick auf KI-Programme aktuell wieder. Wer so ein Programm nutzt und etwa mit einem Prompt formuliert, was für ein Bild dieses generieren soll, wird das Ergebnis auch nicht als sein eigenes Werk ansehen, aber vielleicht dennoch stolz darauf sein: sich letztlich also ebenfalls als eine Art von Medium begreifen, das die rätselhafte Maschine dazu bringt, sich zu äußern. Allerdings glaube ich, dass dieser Genieverdacht gegenüber KI-Artefakten sich schnell wieder erledigen könnte. Man wird diese dann einfach als weitere Spielart menschlicher Artefakte ansehen.

STANDARD: Bleiben wir also in Kunstdingen auf die "Hypothese" menschlicher Autonomie angewiesen?

Ullrich: Insofern wohl schon, als die KI-Programme ja menschliche Artefakte als Grundlage haben und den Kreis des Menschengemachten nicht wirklich durchbrechen können. Doch je mehr Erfahrung wir im Umgang mit diesen Programmen sammeln, desto weniger dürfte sich noch eine Idee von Autonomie starkmachen lassen. Vielmehr wird uns durch die Art und Weise, wie die KI-Programme agieren, bewusst, dass auch wir für alles, was wir uns einfallen lassen, auf Vorbilder und Traditionen zurückgreifen. Zumindest implizit arbeiten wir immer schon mit Bedeutungen und Strukturen, an deren Zustandekommen Menschen vieler Generationen vor uns mitgewirkt haben. Autonomie ist also wirklich und überall eine Illusion. Wenn die KI-Programme uns das etwas deutlicher vergegenwärtigen, als wir es bisher wahrhaben wollten, dann wäre das gar nicht so schlecht.

STANDARD: Machen wir uns womöglich illusorische Begriffe von der tendenziell unbegrenzten Kapazität Künstlicher Intelligenz?

Ullrich: Tatsächlich glaube ich, dass über einige Dimensionen des KI-Hypes noch zu wenig diskutiert wird – gerade auch Dimensionen, die sehr wohl limitierend wirken können. So ist etwa noch nicht allgemein präsent, wie viel Energie die KI-Programme fressen. Vielleicht werden sie noch sparsamer, aber aktuell sieht es so aus, als könnte ein immer weiterer Anstieg von KI-Anwendungen zu Energie- und vor allem auch zu Umweltproblemen führen. Das alles ist eben nicht so clean, wie es zu sein vorgibt. Ein anderes interessantes Thema ist die Qualitätssicherung der KI-Programme. Solange sie nur mit menschlichen Artefakten trainiert wurden, war zwar sicher auch schon einiges qualitativ Zweifelhafte dabei. Je mehr aber die Programme nun mit seinerseits schon KI-generiertem Material gefüttert werden, desto mehr droht eine Art von Dateninzest – und so eine sukzessive Verschlechterung der Ergebnisse. Von unbegrenzten Steigerungen sind wir auch deshalb noch weit entfernt. (Ronald Pohl, 27.6.2024)