Das letzte TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump fand am 22. Oktober 2020 in Nashville statt.
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Für den einen ist das Ganze ein gewaltiges Spektakel. "Wie soll ich mit ihm umgehen?", rief Donald Trump in der vorigen Woche bei einer Kundgebung seinen Anhängern zu: "Soll ich hart und böse (....) oder freundlich und ruhig sein und ihn ausreden lassen?" Nicht nur die johlende Menge plädierte für die erste Variante. "Sei hart!", beantwortete der republikanische Präsidentschaftsbewerber seine eigene Frage.

Der andere ist seit einer Woche abgetaucht. Auf dem in die Jahre gekommenen Landgut Camp David in den Wäldern von Maryland bereitet sich Joe Biden generalstabsmäßig auf den Abend vor. Ein gutes Dutzend Berater stopft ihn in Strategiesitzungen mit Fakten, Argumenten und Verhaltenstipps voll. Auf der nachgebauten Fernsehbühne in einem leeren Flugzeughangar spielt der Präsident seinen bevorstehenden Auftritt regelrecht durch. Sein persönlicher Anwalt Bob Bauer gibt dabei den Donald Trump.

Die unterschiedliche Herangehensweise sagt einiges aus über die konträren Charaktere des republikanischen und des demokratischen Bewerbers für das amerikanische Präsidentenamt. Doch in einem sind sich die Teams der beiden Kandidaten einig: Es steht verdammt viel auf dem Spiel bei der ersten von zwei TV-Debatten in diesem Wahlkampf, die am amerikanischen Donnerstagabend um 21 Uhr Ortszeit (drei Uhr am Freitagmorgen MESZ) vom Sender CNN ausgestrahlt wird.

90-minütige Begegnung

Selten sei es bei einem Fernsehduell um mehr gegangen, hat Gerald Baker, der stramm konservative Ex-Chefredakteur des Wall Street Journal, gerade geschrieben: "Die Richtung der langen Kampagne, ihr Ausgang und selbst die ultimative Identität eines Kandidaten könnte von dieser 90-minütigen Begegnung abhängen." Das dürfte etwas übertrieben sein. Aber klar ist: Der ungewöhnlich frühe Schlagabtausch vor einem gewaltigen Millionenpublikum wird das Bild der beiden Kontrahenten prägen und sich in unzähligen Videoschnipseln im Netz verselbstständigen.

Noch nie hat es eine solche Konstellation gegeben: Mit dem 81-jährigen Biden und dem 78-jährigen Trump stehen sich die ältesten Präsidentschaftskandidaten der Geschichte gegenüber. Der zweite ist der Vorgänger des ersten und hat dessen Sieg nie anerkannt. Die Debatte wird nicht – wie in den vergangenen 40 Jahren – von einer unabhängigen Kommission, sondern von einem Fernsehsender veranstaltet, und zwar bevor die beiden Politiker von ihren Parteien überhaupt offiziell aufgestellt sind.

Die Ausgangslage ist ernst für den Amtsinhaber. Die Umfragen signalisieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Dabei kommt es nicht auf die nationalen Zahlen an. Letztlich entschieden wird die Wahl allein in den sechs sogenannten Swing-States, deren Wahlleute-Stimmen in der Vergangenheit mal dem demokratischen und mal dem republikanischen Kandidaten zufielen. Dort liegt Trump derzeit vorne. Einen Grund beschreibt die Meinungsforscherin Amy Walter: Fast jeder fünfte Biden-Wähler von 2020 ist noch unentschlossen.

Der Präsident hat ein Problem – sein Alter. In einer bemerkenswerten Reportage ließ die New York Times am Dienstag Demokraten-Wähler ihre Gefühle vor der Debatte beschreiben. Die meisten schilderten regelrechte Ängste vor einem Patzer ihres Favoriten. Bidens durch eine Arthritis versteifter Gang, seine mutmaßlich durch ein früheres Stottern verstärkten Versprecher und sein gelegentlich eingefrorener Gesichtsausdruck werden von den Republikanern gnadenlos ausgeschlachtet. Oft werden dazu auch Videoaufnahmen manipuliert. Im wirklichen Leben wirkt der 81-Jährige geistig absolut fit, aber körperlich wackelig. Ein Sturz von der Bühne wäre fatal.

Berater in Sorge

"Wir haben ein kurzes Gedächtnis und große Sorgen", hält die Meinungsforscherin Celinda Lake dagegen, die zu Bidens Beraterkreis gehört. In ihren Augen bietet die TV-Debatte für den Präsidenten umgekehrt eine große Chance, durch einen kraftvollen Auftritt die Zweifel an seinem Alter zurückzudrängen und stattdessen daran zu erinnern, wer Trump tatsächlich ist. Drei Themen, berichten amerikanische Medien, wolle Biden in den Vordergrund stellen: den Kampf um die Erhaltung des Abtreibungsrechts, die Gefahren für die Demokratie und Trumps geplante Steuersenkungen für Reiche. Umgekehrt wird Trump wohl vor allem die Inflation sowie die illegale Einwanderung anprangern und versuchen, seinen Kontrahenten als Tattergreis zu karikieren.

Der größte Unsicherheitsfaktor in der Debatte aber dürfte Trumps eigenes Verhalten sein. Verliert der 78-Jährige wie öfter seine Beherrschung, fährt Biden ungehörig ins Wort und ergeht sich in einer selbstmitleidigen Tirade, würde ihm das – darüber sind sich die politischen Beobachter einig – bei den unentschlossenen und weiblichen Wählern schaden.

Doch ob es Trump gelingt, seinem Impuls und dem Wunsch seiner Basis nach lautstarker Polterei zu widerstehen, ist eine offene Frage. Vorsichtshalber betreibt der Ex-Präsident schon einmal Erwartungsmanagement für den aus seiner Sicht eigentlich ausgeschlossenen Fall, dass Biden die Debatte gewinnen sollte: CNN und Moderator Jake Tapper, den er als "Fake Tapper" (den falschen Tapper) verunglimpft, seien seine Feinde, erklärte Trump kürzlich. Außerdem werde Biden für den Auftritt gedopt: "Kurz vor der Debatte bekommt er eine kleine Spritze. Er wird aufgeputscht." (Karl Doemens aus Washington, 27.6.2024)