Colours, Rooms, Interieur, Vienna City,
Bettina Gramath in ihrem Geschäft in der Wiener City.
privat

Das Geschäft Gramath & Windsor in der Wiener Wollzeile im 1. Bezirk ist angenehm kühl an diesem heißen Sommertag. Rund um einen großen Tisch versammeln sich Heimtextilien, Keramikobjekte, Stoffmuster und eine ganze Palette an Farbtöpfchen. Chefin Bettina Gramath ist seit 25 Jahren in der Branche, ihr Geschäft in der Wiener Innenstadt führt sie seit zwölf Jahren. Wir baten sie zum Gespräch über Farbentrends, Probemalen und No-Gos im Bereich von Wandfarben.

STANDARD: Nehmen wir an, ich habe genug von meinen weißen Wänden und möchte diese farbig gestalten. Wie gehe ich die Sache an?

Gramath: Wir führen ein Erstgespräch und versuchen bei diesem herauszufinden, worum es Ihnen genau geht. Um was für eine Art von Raum es sich handelt und was Sie mit der Farbe bewirken möchten. Ich sage es gleich: Farbe ist pure Emotion.

STANDARD: Und wenn man nicht weiß, was man bewirken möchte?

Gramath: Dann checken wir einmal ein Stück weit die Persönlichkeit der Kundschaft ab. Man kann diesen Job durchaus mit einer psychologischen Tätigkeit vergleichen. Die Frage lautet sodann: Wie weit können wir gehen?

STANDARD: Nennen Sie mir doch bitte ein konkretes Beispiel.

Gramath: Man kann schon beim Betreten des Geschäfts einiges an der Kundschaft ablesen. Zum Beispiel an der Körperhaltung. Tritt jemand selbstsicher auf, spricht er oder sie lauter und zeigt sich offen? Mit diesen Signalen kann ich dann einen Schritt weiter gehen.

STANDARD: Lassen Sie mich raten. Das heißt, wenn jemand selbstsicher auftritt, wählt der- oder diejenige einen Rotton?

Gramath: Zum Beispiel. Oder Schwarz.

STANDARD: Sie können vom Typ Mensch auf die Farbe schließen?

Gramath: Schon, durchaus.

STANDARD: Kommen die Menschen mit konkreten Farbwünschen?

Gramath: Ja, klar. In dem Fall fragen wir, warum sich die Kundschaft jenen konkreten Ton wünscht. Wie kommt sie darauf? Hat sie ihn zum Beispiel in einem Magazin gesehen?

STANDARD: Und dann?

Gramath: Wir wünschen uns von den Kundinnen und Kunden Fotos, kurze Videos und immer auch den Grundriss der Wohnung. Durch diese Dinge können wir besser einschätzen, in welche Stilrichtung die Immobilie geht. Jede Farbe hat ihre Berechtigung, wenn sie zur Persönlichkeit und zur Immobilie passt.

STANDARD: Das heißt, Sie ziehen Ihre Schlüsse auch aus dem Mobiliar und der Raumhöhe?

Gramath: Richtig, wir hanteln uns langsam vor. Alles andere wäre unseriös.

Colours, Vienna City, Interieur Design, Walls
Seit 25 Jahren ist Bettina Gramath im Interieur-Design-Business.
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STANDARD: Wie lange dauert so ein Erstgespräch?

Gramath: Das kommt darauf an, wie gut die Kundschaft vorbereitet ist. 30 Minuten sind ein Minimum. Und dann gibt's Hausaufgaben.

STANDARD: Die erwähnten Fotos, Videos und der Grundriss?

Gramath: Genau, und die Aufgabe, noch einmal darüber nachzudenken, was man bewirken möchte. Es geht unterm Strich darum, ein positives Raumgefühl zu schaffen.

STANDARD: Wie viele Farben haben Sie im Sortiment?

Gramath: Unterm Strich dürften es um die 300 Farbtöne sein.

STANDARD: Welche ist die gewagteste Farbe?

Gramath: Ich würde sagen Schwarz.

STANDARD: Es gibt tatsächlich Menschen, die ihre Wände schwarz streichen?

Gramath: Natürlich. Ich hatte eine Dame um die 30 hier. Wir haben einen Wohnraum in ihrer wunderschönen Altbauwohnung mit toller Raumhöhe ganz schwarz angestrichen. Aber: Die Möbel waren in einem zarten Weiß gehalten und wirkten fast schwebend. Dadurch wurde der Raum nicht schwer. Wenn Sie da alte Chesterfield-Couches reinstellen, würde die Sache ganz anders ausschauen. Schwer, männlich.

STANDARD: Was ist denn ein männlicher Raum?

Gramath: Ich spreche von Leder, Dunkelblau, auch von schwarzen Elementen. Alles ein bisschen schwerer. Oder ganz etwas anderes: Wir haben auch viele Mediziner als Kunden. In dem Fall fragen wir: Was sind Sie für ein Arzt oder eine Ärztin?

STANDARD: Aha. Und welcher Arzt, welche Ärztin nimmt welche Farbe?

Gramath: Nun, bei Gynäkologiepraxen zum Beispiel gehen wir zum Beispiel ein bisschen in Richtung Pfirsich, Rosé.

STANDARD: Welche ist Ihre Lieblingsfarbe?

Gramath: Ich weiß gar nicht, ob ich eine solche habe. Wenn, dann eher Grün. Grün hat die meisten Schattierungen und ist für unser Auge am besten unterscheidbar. Eine spannende Farbe.

STANDARD: Wie sieht es denn bei Ihnen zu Hause aus?

Gramath: Das Spektrum reicht von Dunkelgrau über Grün bis hin zu speziellen Untertönen. Es kommt immer auf die Untertöne an. Das hat schon was von einer Wissenschaft.

STANDARD: Lassen Ihre Kunden streichen oder tun sie das selbst?

Gramath: Das ist verschieden. Manche empfinden es als spannende Challenge, selbst zu streichen. Die meisten lassen aber ausmalen.

STANDARD: Warum trauen sich die meisten Menschen nicht vom klassischen Weiß weg?

Gramath: Das würde ich so nicht sagen. Es hat sich vieles geändert in den letzten Jahren. Ich glaube, es gibt den Trend zu farbigen Wänden.

STANDARD: Sehen Sie da auch einen Zusammenhang mit der Pandemie? In dem Sinne, dass sich die Menschen seither mehr mit ihren eigenen vier Wänden auseinandersetzen?

Gramath: Absolut.

STANDARD: Apropos Trend. Welche Farben sind denn im Trend?

Gramath: Das mit den Trends halte ich für eine heikle Sache. Mich fragen immer wieder Kunden, was denn zum Beispiel die Trendfarbe fürs Schlafzimmer sei. Ich sage dann immer: 'Gehen Sie weg vom Trend, es ist Ihr persönliches Schlafzimmer! Das ist Ihr Rückzugsort, an dem Sie sich wohlfühlen müssen.

STANDARD: Das heißt, Sie sind keine Freundin von Trends?

Gramath: Überhaupt nicht.

STANDARD: Was halten Sie von Probemalen, bevor es richtig ans Eingemachte geht?

Gramath: Das halte ich für sehr wichtig. Dafür sind auch all die kleinen Probetöpfchen hier im Geschäft gedacht. Die sind gut investiertes Geld. Farben schlucken irrsinnig viel vom Drumherum. Habe ich zum Beispiel vis-à-vis eine grüne Hausfassade, dann wirkt das in meinen Raum hinein. Auch der Lichteinfall und die Ausrichtung spielen eine große Rolle. Ein Nordzimmer ist immer blaustichiger und kühler.

STANDARD: Gibt es in Sachen Raumfarben No-Gos?

Gramath: Ich finde, es geht alles, solange man sich wohlfühlt. Es verhält sich wie mit der Kleidung. (Michael Hausenblas, 26.6.2024)