Vor etwas mehr als zehn Jahren zierte das Klischee vom "faulen Griechen" die Titelseiten vieler europäischer Medien. Das Mittelmeerland war damals von einer akuten Finanzkrise gebeutelt, und andere EU-Staaten hielten die Griechen über Wasser. Das Vorurteil der griechischen Gemütlichkeit stimmt aber nicht, wie Zahlen der Statistikbehörde Eurostat zeigen: Im Jahr 2022 führte Griechenland mit 41 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit den EU-Vergleich an. Österreich lag mit 35,7 Stunden pro Woche unter dem EU-Schnitt.

Ein griechischer Kellner serviert mehrere Teller in einem Strandrestaurant
Ein griechischer Kellner beim Servieren in Santorini: Arbeitsminister Georgiadis glaubt, mit seiner Reform Industrie- und Dienstleistungsunternehmen einen Schub zu geben.
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Nun will die konservative Regierung in Athen die Arbeitszeit noch einmal erhöhen. Ab 1. Juli ermöglicht sie griechischen Arbeitgebern, dass deren Angestellte gesetzeskonform sechs statt fünf Tage arbeiten können. Das Ganze soll freiwillig geschehen und für die Arbeitskräfte mit hohen Aufschlägen einhergehen: 40 Prozent mehr Gehalt bei Arbeit am sechsten Tag oder 115 Prozent, wenn es sich dabei um einen Sonn- oder Feiertag handelt.

Der konservative Arbeitsminister Adonis Georgiadis will damit Griechenlands Fachkräftemangel kurieren, der wiederum auch auf die schwere Finanzkrise von 2010 bis 2018 zurückzuführen ist. Wäre Griechenlands Sechstagewoche für Österreich ein Modell?

36 Stunden Wochenruhe

Grundsätzlich wird eine Verteilung von Arbeitsstunden auf sechs Tage in Österreich in vielen Kollektivverträgen zwar eingeschränkt. Gesetzlich ist es aber prinzipiell erlaubt, sechs Tage zu arbeiten – wie auch die Praxis in vielen Branchen zeigt. Allerdings ist im Arbeitszeitgesetz festgehalten, dass "Arbeitnehmern wöchentlich eine ununterbrochene Wochenruhe von mindestens 36 Stunden gebührt". In diese 36 Stunden fällt in der Regel der Sonntag.

Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer, nennt drei Gründe, warum er das griechische Modell in Österreich nicht für sinnvoll hält. Erstens sei "die Flexibilität am Arbeitsmarkt ohnehin schon enorm hoch", erinnert er an entsprechende Bestrebungen unter Türkis-Blau. Im September 2018 weiteten ÖVP und FPÖ die maximal mögliche Arbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden je Woche aus.

Mehr Arbeit, mehr Produktion?

Als zweiten Punkt führt Marterbauer die Produktivität an: "Wenn es um eine Ausweitung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit geht, wird die Produktivität in diesen zusätzlichen Arbeitsstunden viel schwächer. Zehn Prozent längere Arbeit bedeutet nicht, dass zehn Prozent mehr produziert wird." Drittens warnt Marterbauer, dass es zu "gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen wird, wenn man dauerhaft Überstunden macht".

Aus der Wirtschaftskammer (WKO) heißt es zu einer Sechstagewoche, dass sich die derzeitigen Arbeitszeitmodelle in Österreich bewährt hätten und man "hier keinen Änderungsbedarf" sehe. Bedarf ortet die WKO aber bei Anreizen für mehr Leistung. Das heißt, Mehrarbeit müsse sich stärker lohnen. Umfragen würden zeigen: Wenn das der Fall ist, seien die Menschen sehr wohl leistungsbereit.

Arbeitszeiten werden kürzer

Im ÖGB betont man, sich für eine Arbeitszeitverkürzung, nicht für eine Verlängerung einzusetzen. Blicke man rein auf Vollzeitbeschäftigte, betrage die Arbeitszeit pro Woche in Österreich 40,8 Stunden. Produktivität, Arbeitsdruck und Pensionsantrittsalter würden steigen. Daher brauche es mehr Zeit für Erholung, um gesund zu bleiben. Viele Frauen arbeiteten vor allem deshalb nicht oder in Teilzeit, weil die Kinderbetreuung fehle, heißt es aus der Gewerkschaft. Auch dieses Problem würde sich mit einem sechsten Tag noch verschlimmern.

Marterbauer sieht die griechische Regierung mit ihrem Sechs-Tage-Projekt jedenfalls gegen den historischen Trend rudern. "Kürzere Arbeitszeiten sind eine Möglichkeit, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den steigenden gesellschaftlichen Wohlstand zugutekommen zu lassen", sagt er. Auch gebe es "in Griechenland ein großes ungenutztes Arbeitskräftepotenzial". Laut Eurostat verzeichnet Griechenland immer noch eine Arbeitslosigkeit von rund elf Prozent. (Lukas Kapeller, 27.6.2024)