Es ist nun seit Monaten das gleiche Spiel: Die Wirtschaftsforscher legen eine neue Prognose für Österreich vor, die schon wenige Wochen später nicht mehr haltbar ist. Im vergangenen Oktober erwartete das Forschungsinstitut Wifo noch 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum im heurigen Jahr. Im Dezember waren dann nur noch 0,9 Prozent vorhergesagt und im März gar nur mehr mickrige 0,2 Prozent. Am Mittwoch folgte der nächste Streich: Wifo-Chef Gabriel Felbermayr präsentierte da die neue Prognose seines Hauses, in der nun von gar keinem Wachstum mehr ausgegangen wird. Hält auch dieser Wert nicht, wird Österreich in eine Rezession rutschen. Das wäre das zweite Jahr in Folge mit negativem Wachstum, seit Mitte 2022 hält die Schwächephase schon an. Parallel dazu steigt auch die Arbeitslosigkeit heuer etwas.

Das sind keine einfachen Voraussetzungen aus Sicht der Regierungsparteien ÖVP und Grüne inmitten eines Wahljahrs. "It's the economy, stupid!": Mit diesem Wahlkampfslogan gewann Bill Clinton Anfang der 1990er-Jahre die Präsidentschaftswahl in den USA. Die Phrase steht seither symbolisch dafür, dass Wirtschaftsfragen die Stimmung bei Wählerinnen und Wählern maßgeblich beeinflussen können. Gut möglich also, dass im Herbst die Frage, welchen Ausweg es aus dem Schlamassel gibt, zu den wichtigeren Wahlkampfthemen zählen wird.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr (links) und IHS-Chef Holger Bonin präsentierten ihre neuen Prognosen.
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Zurück in die Gegenwart: Woran liegt es nun, dass die heimische Wirtschaft kaum vom Fleck kommt? Übrigens auch laut Prognose des zweiten Instituts, des IHS, das seine Erwartungen für 2024 ebenfalls nach unten revidierte und heuer nur mehr mit 0,3 Prozent Wachstum rechnet (statt 0,5 bisher). Die Gründe für die Misere sind schnell aufgezählt: In der Bauwirtschaft und der Industrie läuft es schlecht. Die Nachfrage nach Industriegütern ist verhalten, laut Befragungen sind gerade einmal 50 Prozent der heimischen Unternehmen in der Sachgütererzeugung mit der Auftragslage zufrieden. Eine Kombination aus mehreren Faktoren wirkt belastend: Da sind einerseits die Nachwehen der hohen Inflation, die in Industrieländern viel Kaufkraft gekostet hat, weshalb die Nachfrage nach neuen Autos und Kühlschränken schon länger verhalten ist. Dazu kommen die hohen Zinsen, die Investitionen erschweren, was ebenfalls zu weniger Nachfrage nach Maschinen führt.

Ganz gut schlägt sich dagegen der Servicesektor, etwa der Tourismus. Der private Konsum zieht auch etwas an im Vergleich zum vergangenen Jahr, entwickelt sich aber nicht so gut wie erwartet. Offenbar sind Haushalte zurückhaltend bei Ausgaben geworden. All diese Faktoren – schwache Auftragslage in der Industrie, weniger Bauaufträge, wenige Investitionen und nur eine moderate Konsumerholung – führen dazu, dass heuer gerade einmal die schwarze Null herausschaut.

Hohe Inflation lässt Löhne stark anziehen

Ein weiterer Aspekt der aktuellen Prognose dürfte ebenfalls im Wahlkampf relevant werden: Die Wirtschaftsforscher warnen lauter als bisher davor, dass Österreich international wegen stark gestiegener Lohnkosten an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Der Tariflohnindex, der misst, wie stark die kollektivvertraglichen Mindestlöhne steigen, hat in Österreich um gut acht Prozent zugelegt im Vergleich zum vergangenen Jahr. Im Euroraum lag das Plus bei vier Prozent. Sprich: Die Löhne sind nominal in Österreich doppelt so stark gestiegen wie im übrigen Europa. Ursächlich dafür war, dass die Inflation in Österreich deutlich höher ausgefallen ist.

Die Folge der Entwicklung: Die Lohnstückkosten, die angeben, wie viel Lohn für eine produzierte Einheit anfällt, sind in Österreich stärker gestiegen als in Deutschland und im Durchschnitt der anderen westeuropäischen Länder. "Die österreichische Fußballnationalmannschaft erweist sich als international konkurrenzfähig. Das kann man von der österreichischen Volkswirtschaft nicht sagen", sagte Felbermayr.

Laut Wirtschaftsforschern bedeutet das kurzfristig, dass im Aufschwung im kommenden Jahr die heimischen Exportunternehmen etwas an Marktanteilen verlieren dürften. Langfristig könnte der Lohnanstieg dem Standort im Wettbewerb um ausländische Fachkräfte sogar helfen, weil diese durch die höheren Löhne eher angezogen werden.

Interessant ist, dass sowohl Wifo als auch IHS einen Konsolidierungspfad, also einen Sparkurs, fordern. Vielleicht nicht sofort, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen, wohl aber perspektivisch. Felbermayr etwa schlug vor, die Mineralölsteuer anzuheben. Die Mineralölsteuer, ein fixer Centbetrag für Diesel und Benzin, wurde seit 13 Jahren nicht mehr angehoben. Der Wifo-Chef plädiert auch für eine Lohnzurückhaltung im öffentlichen Sektor, und auch klimaschädliche Subventionen sollten gestrichen werden. IHS-Chef Bonin schlug vor, das effektive Pensionsantrittsalter anzuheben.

Wirklich erholen wird sich die Wirtschaft übrigens erst 2025. Das Wifo rechnet hier mit einem Plus bei der Wirtschaftsleistung von 1,5 Prozent, das IHS erwartet 1,6 Prozent. Hier regiert das Prinzip Hoffnung, wonach irgendwann die Lager in der Industrie so weit abgebaut sein werden, dass wieder mehr produziert werden muss. Dazu kommt eine gewisse Erholung der Weltwirtschaft, in der Eurozone und in China zog die Wirtschaftsleistung zuletzt wieder etwas an. (András Szigetvari, 26.6.2024)