Das hat man nun davon! Da man den Fußballsport, insbesondere den österreichischen, liebt, allerdings sportlich nicht viel zum nationalen Aufschwung beitragen kann, gründet man einen Fußball-Blog, der sich mit der akribischen Nachbetrachtung aller Spiele der österreichischen Nationalmannschaft beschäftigt. Monatelang gibt man ungebeten seinen Senf zu Begegnungen gegen alle möglichen europäischen Sportkontrahenten und will für sich und den geduldigen Leser (oder sind es sogar mehrere?) den Spannungsbogen bis zur EM 2024 aufbauen. Und dann kommt man urplötzlich in die Situation, Unbeschreibliches beschreiben zu müssen!

Natürlich hatte Österreich schon zuvor die härteste Vorrundengruppe dieser EM gewonnen. Eigentlich sogar ziemlich oft. Allerdings nur in meinem Kopf, in welchem ich solchiges Geschehen bereitwillig zuließ, wenn auch immer erst nach dem Genuss von mindestens drei Krügerln.

Hat erneut alles richtig gemacht: unser Magier und Teamchef Ralf Rangnick.
Tschutti

Als sich der kühne Traum am 25. Juni 2024 in der Realität manifestierte, hatte ich nicht einmal einen Pfiff in der Birne, sondern bloß Apfelsaft aus dem Tetrapack, welcher mir freilich zuvor aufgrund des deppaten neuen EU-Schraubverschlusses über die zitternden Finger geflossen war. Ich war am D-Day auch nicht in Berlin, sondern auf einem Sofa eines Wohnzimmers einer überschaubar großen niederösterreichischen Marktgemeinde, und auch keine rotweißrote Flagge zierte meine blassen Wangen. So unvorbereitet traf mich dieser lang ersehnte und doch unerwartete Augenblick der Augenblicke.

Es kam noch viel besser!

Mit allem hatten wir im Vorfeld der Partie gegen die Niederlande gerechnet. Spätestens nach dem Sieg gegen die Polen hatten wir uns allmählich mit dem an sich schönen Gedanken angefreundet, einer der vier besten Gruppendritten zu werden. Bange blickten wir den Kroaten, Albanern, Schotten und Ungarn auf die Beine und überschlugen nach jedem Törchen unsere arithmetischen Chancen auf den Aufstieg. Die Optimistischsten unter uns spekulierten sogar mit einem Sieg gegen die Niederlande, welcher vermeintlich sogar den zweiten Gruppenplatz bringen würde. Die Ängstlicheren, so wie ich, wurden hingegen von der Tatsache beruhigt, dass selbst ein 1:5 (wie bei der WM 1978 gegen die von Happel betreuten Holländer) reichen würde, um weiter im Turnier zu bleiben. Es kam, wie wir wissen, noch viel besser!

Der Spielverlauf an sich ist eigentlich relativ einfach nachzubetrachten: Österreich startet wie gewohnt hervorragend, der schon traditionelle Anfangsdrive von Rangnicks Mannen hat sich offensichtlich noch nicht bis ins Land der Windmühlen und Polder durchgesprochen. Die Niederländer, immerhin schon einmal Europameister, können dem rotweißroten Druck nicht standhalten, Donyell Malen bugsiert den Ball schon in Minute sechs ins eigene Tor. Hernach zeigt sich selbiger Malen wiederholt auch auf der anderen Seite des Spielfeldes torgefährlich. Mit einigem Glück geht Österreich – da das Parallelspiel Frankreich-Polen unentschieden steht – als virtueller Tabellenführender in die Pause. Gleich nach Wiederanpfiff führt ein schönes Tor von Gakpo zum Ausgleich. Österreich schwingt sich aber zu neuen Taten auf. Romano Schmid, den Magier Rangnick erstmals von Beginn an spielen lässt, trifft per Kopf zur erneuten Führung. Dann egalisiert Memphis Depay zum 2:2, ehe Kapitän Sabitzer sehenswert jenen 3:2-Endstand sicherstellt, der uns schon in einem früheren Spiel viel Freude gebracht hat. Da Frankreich derweil im fernen Dortmund nicht über ein Remis hinauskommt, ist Österreich tatsächlich Sieger der "Monstergruppe" Dora! Wahnsinn!

So oder so ähnlich hätte eine einigermaßen gut programmierte KI das Unbeschreibliche zusammengefasst. Freilich sind das nur Worte, die höchstens eine Skizze des kollektiv Erlebten liefern können. Was bleibt tatsächlich von diesem Spiel, das von vielen Medien als "Wunder von Berlin" apostrophiert wird? Eigentlich werden wir erst nach Ende des Turniers zu einer endgültigen Einschätzung gelangen können. Dieses 3:2 war im Gegensatz zu Cordoba (ich weiß, gerade die Jüngeren können dieses Geschwafel nicht mehr hören, aber glaubt mir, auch Ihr werdet Eure Enkel noch in 40 Jahren mit dem 3:2 gegen Holland langweilen) noch nicht der Schlussstein eines exzellenten Turniers, sondern vielleicht nur ein Etappensieg auf dem weiteren EM-Weg. Lasst uns weiter träumen! (Claus Farnberger, 26.6.2024)