Nach dem Erfolg Harald Vilimskys bei der EU-Wahl ist immer öfter die These zu hören, wonach es mittlerweile völlig egal sei, welchen Spitzenkandidaten die FPÖ bei Wahlen ins Rennen schickt. Galten früher persönliche Ausstrahlung oder eine gewisse Volksnähe als Erfolgsrezepte, könne die Partei heute auch darauf verzichten.

Vilimsky (links) mir Kickl am Wahlsonntag in Wien umringt von Menschen
Europawahlgewinner: FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky (li.) mit FPÖ-Parteichef Herbert Kickl.
Foto: Christian Fischer

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Entwicklungsschritte von Jörg Haider über H.-C. Strache zu Herbert Kickl könnte man mit "Mephisto – Krampus – Gollum" beschreiben. Bis zu dreißig Prozent der Wählerinnen und Wähler dürften damit kein Problem haben. Schwieriger ist es für jene Politiker, die massive charakterliche Defekte des Gegenübers als Ausschließungsgrund für künftige Partnerschaften sehen. Da gilt es die eigenen "How low can you go"-Grundsätze neu zu kalibrieren. Wie das gehen könnte, erklärt ein Kurier-Kommentar von vor zwei Wochen, in dem die ÖVP davor gewarnt wird, mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Kickl in eine "Dämonisierungsfalle" zu gehen. Ein Ratschlag, der den FPÖ-Obmann freuen wird und möglicherweise seinerseits Bemühungen auslöst, an der eigenen Entdämonisierung zu arbeiten. Etwa mit einem Interview, das Kickl unlängst der Kronen Zeitung gegeben hat. Darin rechtfertigt er seine Beschimpfung Alexander Van der Bellens als "senile Mumie" höchst fantasievoll: "Senil bezog sich auf eine gewisse Vergesslichkeit, die wir beim Bundespräsidenten ja immer wieder erleben. Und 'Mumie' bedeutet nichts anderes als Unbeweglichkeit."

"Senile Mumie" hätte demnach also nichts mit Altersdiskriminierung zu tun. So gesehen dürfte es in Herberts Welt auch üblich sein, Kinder, die ihre Hausübung vergessen haben, als "senil" zu bezeichnen, und wenn sie beim Familienwandertag trotzig nicht mehr weitergehen wollen, nennt man sie "Mumien".

Anders gemeint

Da stellt sich die Frage, ob auch andere verbale Ausfälle gegen den Bundespräsidenten von Kickl in Wahrheit ganz anders gemeint waren. Seine Ankündigung, Van der Bellen "den Schädel gerade zu richten" wurde von vielen als Bekenntnis zu körperlicher Gewalt angesehen, aber möglicherweise wurde Kickl auch hier dämonisiert. Im Krone-Interview berichtet er nämlich von einem persönlichen Gespräch mit Van der Bellen. Beim Versuch, sich das vorzustellen, wird rasch klar: Bei einem Vier-Augen-Gespräch mit Kickl kann der Bundespräsident den Schädel gar nicht gerade halten. Er muss ihn auf die Brust sinken lassen, was auf die Dauer Müdigkeit auslöst. Kickls Absichtserklärung, ihm den Schädel wieder gerade zu richten, war also vielleicht nichts anderes als die verbrämte Beschreibung dafür, Van der Bellen möglichst flott von dieser körperlich fordernden Kopfhaltung zu befreien, indem Kickl aus Rücksicht darauf das Gespräch kurz gehalten hat, um dem Schädel des Bundespräsidenten schnell wieder eine gerade Ausrichtung zu ermöglichen.

"Ich schätze die Art, mit der Alexander Van der Bellen Politik kommuniziert, das gefällt mir, das hat Sex", hat Herbert Kickl Jahre zuvor in einem Interview erklärt. Um der "Dämonisierungsfalle" zu entkommen, sollten wir hier nicht an gewalttätige Rollenspiele mit Mumien oder gerontophile Bondage-Fantasien denken. (Florian Scheuba, 27.6.2024)