Sicherheitsleute vor dem Presseclub Concordia, Security mit wachsamem Blick im vollen Veranstaltungssaal und an dessen Eingängen. Aufdecker Christo Grozev ist nach Wien zurückgekommen, wo der ehemalige BVT-Beamte Egisto Ott russischen Spionen seine Wohnadresse lieferte und wo sein Sohn bei ihrem Einbruch in seine Wohnung zu seinem Glück unbemerkt weiter Computer spielte. Einer, der Wladimir Putins Auftragskiller reihenweise aufdeckte, erzählte bei einer Special Lecture* aus seinen beeindruckenden Recherchen.

Aufdecker Christo Grozev auf einem Bild aus dem Jahr 2022.
APA/AFP/JULIEN DE ROSA

Auftragskiller in der Ukraine

Grozev berichtete etwa in der Concordia, dass der russische Geheimdienst GRU seit 2021 nicht mehr auf seine hochprofessionelle Truppe einer Handvoll Auftragskiller und Bombenbastler zurückgreifen könne, die in den Jahren zuvor rund um den Globus unterwegs waren, um Moskauer Vorstellungen störende Menschen um die Ecke zu bringen, einzuschüchtern oder dies und das in die Luft zu sprengen. Er hat alle oder zumindest viele von ihnen identifiziert, berichtet er, auch wenn er bisher nur einen Teil ihrer Namen veröffentlichte.

Warum sind die Profis nicht mehr verfügbar? Grozev erklärt das so: Zwei Wochen vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sei dieses Killerkommando in die Ukraine vorausgeschickt worden, um die politische Führung auszuschalten und Chaos zu stiften. Aus ihren privaten Mails weiß Grozev, dass das ein Zwei-Wochen-Einsatz werden sollte. Nun säßen sie in der Ukraine fest. Weil der Zwei-Wochen-Einsatz ebenso wenig realistisch war wie der schnelle russische Sieg über die Ukraine. Die GRU-Killer machten miese Informationen des russischen Inlandsgeheimdiensts über den Einsatz dafür verantwortlich, sagt Grozev.

Tiergartenmord, Salisbury, Malaysian Airlines

Christo Grozev ist jener Investigativjournalist aus Bulgarien, der die Identität der russischen Auftragskiller enthüllte, die den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia mit dem Kampfstoff Nowitschok töten wollten. Er hat den Auftragskiller identifziert, der einen ehemaligen Tschetschenien-Kämpfer im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen hat. Er war beteiligt an den Enthüllungen über den Abschuss einer Passagiermaschine der Malaysian Airlines (MH17) über dem Donbass. Auf seinen Recherchen basiert die mit einem Oscar ausgezeichnete Dokumentation Nawalny über den in diesem Frühjahr in einem sibirischen Straflager getöteten russischen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Er hat die Namen von 33 jungen Menschen veröffentlicht, die ihre Jobs als gutbezahlte Programmierer aufgaben, um für die russische Armee noch besser bezahlt Angriffswaffen zu steuern. Um andere davon abzuschrecken, es ihnen gleichzutun, und damit potenziell internationale Strafverfolgung und Sanktionen zu gewärtigen.

Unheimlich unterwandert

Grozev war einer der führenden Köpfe der Rechercheplattform Bellingcat, heute leitet er die Recherchen bei The Insider, er arbeitet für den Spiegel und mit dem STANDARD. Anfang 2023 hat er Wien verlassen, nachdem eine Agentenbande unter mutmaßlicher Anleitung des russischen Geheimdiensts in in seine Wohnung eingebrochen war (wobei die Spione laut Grozev nur einen alten Laptop erbeuteten). Besonders brisant: Der frühere österreichische Verfassungsschützer Egisto Ott fragte zuvor Grozevs Adresse ab, er soll mit der Agentenbande zusammengearbeitet haben. Kein Wunder, dass Grozev in Wien mehr russische Agenten vermutet als Polizisten.

Der "netteste" unter den russischen Geheimdiensten ist für Grozev der SWR (Transkription, Grozev sagt SVR). Denn: "Sie bringen nicht um, jedenfalls nicht seit den 1990ern." Derzeit laufe eine Recherche, wie Unternehmen, auch öffentlich relevante, von diesem Geheimdienst unterwandert würden. Und das findet auch der einiges gewöhnte Grozev nicht mehr "nett", sondern "unheimlich".

Unsicherheitsfaktor FPÖ

Wie beurteilt Grozev den russischen Einfluss auf Österreichs politische Parteien? Auf die Frage aus dem Publikum seufzt er erst einmal lange. "Sie sind offensichtlich", sagt er dann. Und antwortet mit Beobachtungen wie dieser: Ein in Österreich sehr gut vernetzter Freund sei von einem Russen gebeten worden, ihn mit etablierten Politikern aus Österreich zusammenzubringen, um sich über eine Zeit nach Putin zu unterhalten. An Kontakten mit der FPÖ sei der Mann nicht interessiert gewesen – "das wäre zu einfach gewesen", erklärt das Grozev. "Sie wollten mit den anderen reden und hatten da wohl auch ihre Erfolge", bleibt der Aufdecker bei Andeutungen.

Welche Auswirkungen hätte für Grozev eine Regierungsbeteiligung der FPÖ nach der Wahl? Die dann nötigen Sicherheitsmaßnahmen für Aufenthalte in Wien wie jenen Dienstagabend in der Concordia könne er sich nicht leisten, sagt der Investigativjournalist.

Warum er tut, was er tut

Warum macht er diesen hochgefährlichen Job? Grozev erklärt auch das mit einer Geschichte. Alexey Nawalny erinnerte nach der Oscar-Verleihung für den Film in einem Brief daran, wie Grozev den Kreml-Kritiker vom Dokumentarfilmprojekt über ihn überzeugte. Warum willst du einen Film machen, wenn du in der Zeit auch weitere Spione und ihre Taten aufdecken könntest? Man einigte sich auf: weil man mit einem Film einen Oscar gewinnen kann und damit den eigenen Kindern vermitteln kann, warum man tut, was man tut. Damit die Kinder auf einen stolz sein können. Es ist ein kurzer, großer Moment des Gefühls an einem Abend voller Tod, Gewalt und Niedertracht. (Harald Fidler, 26.5.2024)