Köpfe von Barbie-Puppen
Genug "weibliche" Köpfe? Das allein kann oft wenig aussagen.
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Endlich ist sie da, jetzt wird sich alles ändern! Diese Hoffnung verbreiteten einige Protagonist:innen in der aktuellen Dokumentation Black Barbie (Netflix), als Mattel 1980 die erste schwarze Barbiepuppe auf den Markt brachte. In knallrotem Outfit, mit kurzen – nicht geglätteten – Haaren und einigem Goldschmuck. "Sie ist da, und deshalb ist es Fortschritt", sagt Soziologe Atwann Michael Simpkins, eine der wenigen kritischen Stimmen in der Doku. Er sagt diesen Satz auch nur, um ihn ordentlich zu zerlegen.

Brooklyn, jene Black Barbie, die nun auch in der Serie Barbie prominenter vorkommt, konkurriert beim Ballett mit einem weißen Mädchen, dem es im Gegensatz zu Brooklyn völlig an Talent und Übung fehlt. Trotzdem tanzen sie im selben Kurs, haben dieselben Chancen. "Schwarze Frauen machen diese Erfahrung jeden Tag", sagt Simpkins. Eine weiße Person kann in einer Rolle ungeeignet sein und wird trotzdem einer qualifizierten schwarzen Person gleichgestellt. Und das nennt man dann Fortschritt. "Doch das ist es nicht!", sagt Simpkins.

Simpkins dreht die herkömmliche Argumentation also um, statt zu sagen, seht her, es geht nur um das Können und die Kompetenz und längst nicht mehr um Geschlecht oder die Hautfarbe. Mit diesem Beispiel weist der Soziologe auf den vermeintlich "natürlichen" Platz und die Sichtbarkeit von weißen Menschen hin. Denn dieser Platz scheint ihnen völlig selbstverständlich, auch ungeachtet ihrer Kompetenz, zuzustehen.

Sogar Rechte sind schon Frauen!

Tatsächlich wird schnell gejubelt, wenn auch andere als weiße Männer Sichtbarkeit erlangen – auch in wichtigen Positionen. Nach der EU-Wahl werden wohl vier von sechs Topjobs mit Frauen besetzt, es gibt diverse Barbies, die kommerziell erfolgreichste Musikerin aller Zeiten ist mit Taylor Swift auch eine Frau. Und selbst bei den Rechten sind die Frauen längst nicht mehr außen vor, siehe Marine Le Pen, Giorgia Meloni oder Alice Weidel.

Und damit landet man direkt beim ersten Problem mit der Repräsentation, die oft bereits an sich als feministische Sache gehandelt wird. Auch Frauen können frauenfeindliche Politik machen, ihre Präsenz kann auch ein Feigenblatt sein oder den Blick auf politische Positionen oder Weltanschauungen verstellen.

Bei Kommissionschefin Ursula von der Leyen, EZB-Chefin Christine Lagarde und EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola handelt es sich durchwegs um Frauen aus bzw. mit Nähe zu konservativen Parteien – und diese standen bei zahllosen feministischen Forderungen meist auf der Bremse. Für viele Frauen in der Spitzenpolitik oder auch in Chefinnenetagen spielt Feminismus kaum eine Rolle – außer, dass sie als Frauen in bestimmten Positionen sind.

Aktivistisches Lüftchen

Trotzdem taugen etwa Zusammenschlüsse von Frauen in Spitzenpositionen gut für ein beinah aktivistisches Lüftchen. Etwa, wenn Verfassungsministerin Karoline Edtstadler eine Initiative namens "The Next Generation in Female" anpreist, bei der es unter anderem um die Vernetzung weiblicher Führungspersönlichkeiten in der EU geht. Auf dem Foto ist die ÖVP-Ministerin unter anderem mit ihrer nicht minder konservativen Parteikollegin und niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner abgebildet sowie der britischen Ex-Premierministerin Theresa May aus der konservativen Tory-Partei.

Doch auch mächtige Frauen vergessen Frauen in weit weniger privilegierten Positionen. Etwa, wenn sie sich nicht vorstellen können, dass 400 Euro für einen Schwangerschaftsabbruch eine schwer stemmbare Summe sein kann. Dass man bei einem gewalttätigen Partner bleibt, weil man Sorge hat, eine leistbare Mietwohnung zu finden. Oder dass man als Alleinerzieherin mit Teilzeitjob in einem schlecht bezahlten Pflegeberuf geradewegs in die Altersarmut schlittert – und kaum etwas dagegen tun kann.

Fragwürdige Version von Chancengleichheit

Eine Paradebeispiel für das Vergessen solch frauenfeindlicher Strukturen ist die Aufforderung eines Bestsellers aus dem Jahr 2013 der Facebook-Spitzenmanagerin Sheryl Sandberg. "Lean in" lautete diese und meinte konkret: Arbeitet hart, verkauft euch gut, mischt ganz vorn mit – macht es wie die Männer! Damit steht sie für eine Form von Elitenfeminismus, der Frauen dazu aufruft, es zu schaffen – und zwar innerhalb der bestehenden Verhältnisse.

Ein anderer Feminismus fordert allerdings, genau diese Verhältnisse zu ändern, statt sich bestmöglich dem männlichen System anzupassen. "Sandberg und ihresgleichen begreifen den Feminismus als Magd des Kapitalismus." So drastisch formulieren es die Autorinnen Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser in ihrem Manifest "Feminismus für die 99 %". Damit gemeint ist: eine Welt, in der sich Männer und Frauen gleichberechtigt die Aufgabe aufteilen, Ausbeutung am Arbeitsplatz und gesellschaftliche Unterdrückung zu verwalten – das sei eine fragwürdige Version von Chancengleichheit. Es "trotzdem" zu schaffen habe mit frauenpolitischem Fortschritt nichts zu tun. Denn so würde am System nichts geändert, auch alle Nachfolgenden müssten es "trotzdem" schaffen – gegen die weiter bestehenden Widerstände und gegen unfaire Hindernisse.

Einige gemeinsame Erfahrungen

Aber natürlich ändert sich auch der Inhalt der Politik, abhängig davon, wer sie macht: Mit einer schwarzen Frau an der Spitze fließen automatisch andere Erfahrungen und neue Perspektiven ein, scheinbar Selbstverständliches wird als falsch erkannt – oder zumindest als nicht allgemeingültig. Denn auch wenn das Leben der meisten nichtweißen Spitzenpolitikerinnen völlig anders verläuft als das von Arbeiterinnen, teilen sie bestimmte Erfahrungen: die des Marginalisiert- und Frau-Seins und das damit verbundene Erleben von Sexismus und Rassismus.

Frauen an der Spitze können neue Blickwinkel und andere Prioritäten für bestimmte Themen liefern, Women of Color erst recht. Dabei geht es auch um Themen, deren Existenz Nichtbetroffenen oft nicht einmal bewusst ist. Wer die Probleme nicht kennt, kann sie auch nicht aufgreifen. Grundlegende Änderungen sind aber nur möglich, wenn die Chance zum Gestalten auch nachfolgende Frauen bekommen.

"The Future is female" – das ist so ein Satz, der gern geäußert wird, wenn es hier oder dort mal mehr Frauen sind. Doch was das genau heißt, bleibt meist offen. Arbeit an einer Neubewertung von Arbeit? Genug Kinderbetreuungsplätze? Höhere Löhne für frauendominierte Berufe? Man weiß es nicht. Und das scheint auch ganz praktisch zu sein. (Beate Hausbichler, Noura Maan, 2.7.2024)