Anzug der in zwei geteilt ist. Aus der Mitte kommt ein Regenbogen heraus.
Auch in der Arbeitswelt wird die Zweigeschlechtlichkeit zunehmend infrage gestellt.
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"Viele Menschen stoßen sich immer noch an Geschlechtsidentitäten – und damit an trans, inter oder nichtbinären Personen", sagt Mika*. Mika hat Germanistik und Gender-Studies studiert, ist an einer Hochschule im Bereich Antidiskriminierung tätig und nichtbinär (siehe Glossar).

Diese Wahrnehmung bestätigt auch eine aktuelle Umfrage von Marketagent im Auftrag von Nivea unter rund 2500 Personen. Demnach empfinden vier von zehn Befragten die zwischenmenschliche Toleranz beim Thema sexuelle Orientierung sowie in Bezug auf junge Menschen als (sehr) wichtig. Die Geschlechtsidentität nannten hingegen nur rund ein Drittel. Zum Vergleich: Als am wichtigsten schätzen die Teilnehmenden laut der Umfrage tolerantes Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung (68,1 Prozent) und Älteren (63 Prozent) ein.

Woran liegt das? "Ich denke, es hat vor allem damit zu tun, dass man sich auf die Person einstellen muss, auch einmal Dinge fragen, die man sonst nicht fragt", sagt Mika. Die Frage nach den Pronomen und der gewünschten Ansprache falle aber vielen schwer. "Man macht sich zu einem gewissen Grad auch selbst verletzlich, wenn man zeigt, dass man etwas erfragen muss, weil man es sonst nicht weiß." Auf der anderen Seite würden sich Mitmenschen im Arbeitsalltag oft nicht an Vorgaben halten, auch wenn direkt darauf hingewiesen werde. "In meiner E-Mail-Signatur habe ich meine Pronomen und gewünschte Ansprache genannt. Aber manche können es wohl nicht ablegen, Nachrichten mit 'Lieber Herr' oder 'Sehr geehrte Frau' anzufangen, dabei wäre ein 'Guten Tag' genauso höflich und geschlechtsneutral", sagt Mika.

Diskriminierung im Job

Informationen rund um Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierung stellt unter anderem Sam Vincent Schweiger von der Beratungsstelle Transgender Team Austria bereit. In seinen Beratungsgesprächen würden trans Personen oft von positiven Erfahrungen im Arbeitskontext berichten, aber er habe auch schon von Kündigungen wegen der Geschlechtsidentität gehört. Dies werde zwar nicht als offizieller Grund genannt, viele Betroffene wüssten aber dennoch, dass der Verlust des Arbeitsplatzes darauf zurückzuführen sei.

"Meist werden wirtschaftliche Gründe oder eine verringerte Arbeitsleistung vorgeschoben", erklärt Schweiger. "Manchmal sagen Firmen aber auch, dass der direkte Kontakt mit der Person von der Kundschaft nicht gewünscht sei", fährt er fort. Anderen wurde der Arbeitsalltag auch so unerträglich gemacht, dass sie selbst gegangen sind.

Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität haben mehr als 60 Prozent der queeren Personen laut Nivea-Studie bereits erlebt – ein Drittel davon auch am Arbeitsplatz. Unangebrachte Witze, auffällige Tuscheleien, falsche Nennung der gewünschten Pronomen oder des Namens bis hin zu verurteilenden Blicken und Mobbing sind ein paar der Beispiele, von denen Betroffene berichten. Sie werden teils auch ausgegrenzt oder schotten sich selbst ab, um sich von respektlosen und kränkenden Erlebnissen und Personen zu distanzieren.

Angst vor Ausgrenzung

Ein Drittel der Befragten gibt zudem an, sich bislang nicht im Job geoutet zu haben – auch aus Angst vor Ausgrenzung. "Viele kündigen vor oder nach dem Outing oder der Geschlechtsangleichung", erzählt Astrid Weinwurm-Wilhelm aus ihrer Tätigkeit als Beraterin und Vizepräsidentin von Pride Biz Austria. Die Betroffenen hätten Sorge, wie der Arbeitgeber und die Angestellten mit den persönlichen Veränderungen umgehen. "Viele suchen sich deshalb ein neues Unternehmen, das von vornherein Offenheit und Engagement für die LGBTIQ+-Community kommuniziert und lebt", erzählt Weinwurm-Wilhelm.

Eine weitere Herausforderung, vor der viele queere Personen im beruflichen Kontext stehen: "Ich sehe oft, dass es vor allem Betroffene selbst sind, die sich gegen Diskriminierung einsetzen müssen. Dabei sollte es in unser aller Interesse sein, dass alle Angestellten sich wohlfühlen, ernst genommen werden, respektiert werden und die gleichen Chancen bekommen. Nur dann können auch alle ihr Bestes geben", sagt Manisha Joshi, Head of Diversity, Equity & Inclusion bei der Beratungsagentur Ketchum.

Viele Firmen würden nicht diskriminieren wollen, stünden aber dennoch vor Herausforderungen, wenn es um inter, trans oder nichtbinäre Personen gehe, sagt Sam Vincent Schweiger: "Oftmals haben Betriebe noch keine Unisex-Toiletten oder nur Uniformen für Männer und Frauen." Manche Unternehmen hätten aber auch ein Problem mit Fehlzeiten, wenn sich Termine rund um den Transitionsprozess häufen würden. "Das ist dann vielleicht auch gar nicht immer böse gemeint, aber für queere Personen ist es dennoch eine Belastung, wenn sie dann das Gefühl bekommen, dass ihr Job in Gefahr ist."

Blick nach vorn

"Es ist aber nicht nur alles negativ", möchte Schweiger hervorheben. In vielen Firmen stehe nun immer mehr im Vordergrund, was Personen können – und nicht, was sie sind. Zudem sei die Zahl an Vorträgen und Workshops, die er und sein Team bei Organisationen halten, um ein Vielfaches angestiegen. "Egal ob öffentliche oder private Unternehmen, bei der Berufsberatung oder in Schulen: Wir kommen überall hin."

Ganz oben auf der Wunschliste an Unternehmen steht für Sam Vincent Schweiger, aber auch für Mika mehr Bewusstsein für die Thematik, ebenso wie Ansprechpersonen in den Unternehmen. "Diversity-Beauftragte gibt es immer öfter, und das finden wir auch wichtig", sagt Schweiger. Gerade bei Konflikten und Mobbing sei eine neutrale Person wichtig, die vermitteln könnte, ebenso, wenn es darum geht, Anliegen an die Führungsetagen zu kommunizieren.

"Um die Inklusion aller Menschen im Unternehmen wirklich voranzutreiben, braucht es eine Strategie", sagt Manisha Joshi. Und diese müsse zahlenbasiert sein, damit die Wirkung auch nachgewiesen werden könne. Das sorge nicht nur für ein besseres Arbeitsklima, sondern lohne sich auch wirtschaftlich. Eine Vielzahl an Studien hat bereits gezeigt, dass diverse Teams nicht nur kreativer und innovativer, sondern auch produktiver sind. Für die Zukunft wünscht sich die Diversitätsexpertin daher vor allem eines: "Mehr Mut von Verantwortlichen, Anderssein zuzulassen und wertzuschätzen!" (Anika Dang, Natascha Ickert, 28.6.2024)