Endlich Ferien! Das heißt: Die Österreicherinnen und Österreicher wollen weg, an den Strand, ans Meer. Auch wenn's heuer noch mehr kostet als im Vorjahr. Die Durchschnittspreise liegen um vier Prozent über 2023. Aber nicht überall. Es darf auch ein bisserl mehr sein. Zahlte eine vierköpfige Familie mit zwei Schulkindern für eine zehntägige Pauschalreise nach Kreta in den Sommerferien 2023 inklusive Flug und Verpflegung im Durchschnitt noch (oder schon) 3700 Euro, dann muss sie heuer mit 4300 rechnen. Ein Plus von 16 Prozent. Dafür erhofft sie sich dann: Sonne, Strand, Meer, gastfreundliche Menschen.

Demonstranten, Spanien
In Barcelona wurde im Juni gegen die Auswüchse des Massentourismus protestiert.
IMAGO/Paco Freire

Diese Erwartungshaltung trifft aber auf einen spürbar wachsenden Unmut der lokalen Bevölkerung. Schon im vergangenen Sommer gab es auf einigen griechischen Inseln Proteste für freie Strandzugänge. Ähnliches spielte sich jüngst in Italien ab: Dort wehrt man sich dagegen, dass sich Badeanstalten immer mehr Küstenabschnitte unter den Nagel reißen, in denen man als Einheimischer Liegen und Sonnenschirme teuer mieten muss.

Gefühl des Missbehagens

Schärfer fielen die Proteste in Palma de Mallorca aus. 10.000 Demonstranten waren Ende Mai auf den Straßen der mallorquinischen Hauptstadt unterwegs. Ihre Botschaft: Der Tourismus macht das Leben in Palma für die lokale Bevölkerung unerträglich. Ähnliche Bilder kamen aus Teneriffa. Die Demonstranten forderten, die Zahl der Touristen vorübergehend zu begrenzen, um den Boom bei Kurzzeitvermietungen und Hotelbauten einzudämmen. Damit soll der Wohnraum für Einheimische bezahlbar bleiben. Auf einem Plakat war zu lesen: "Wir wollen nicht, dass unsere Insel stirbt." In Barcelona findet man Graffiti mit einer eindeutigen Botschaft: "Tourist go home!"

Sonnenschirme, Sonnenliegen, Meer, Strand
In Griechenland formiert sich der Widerstand der Einheimischen gegen die Vereinnahmung der Strände durch Sonnenschirm- und Liegestuhlvermieter.
REUTERS/Stringer

Aber warum gibt es plötzlich ein so starkes Gefühl des Missbehagens an Orten, an denen jahrzehntelang eine große Zahl von Touristen die Norm war? Wo der Tourismus ein nicht unwesentlicher Wirtschaftsfaktor ist? Immerhin: EU-weit den größten Anteil an der Bruttowertschöpfung hatte das Gastgewerbe 2022 nach Eurostat-Daten in Griechenland mit 7,1 Prozent, gefolgt von Kroatien, Portugal und Spanien. Da ist der Rekordsommer von 2023 noch nicht einmal eingepreist.

"Der Tourismus ist seit vielen Jahren eine Wachstumsbranche – selbst die Pandemie und andere Krisen haben nur kurzfristig zu einer Wachstumsverlangsamung geführt", erläutert Oliver Fritz vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). "Reisen wurde von einem Luxusgut zu einem Gut, das Haushalte regelmäßig in Anspruch nehmen wollen." Und die Touristen kommen längst nicht mehr aus dem "Westen": Fotos von chinesischen Reisegruppen etwa in Hallstatt sind, neben Kreuzfahrtschiffen in der Lagune von Venedig, zum Sinnbild für Massentourismus und dessen systemische Mängel geworden – Stichwort Overtourism.

Das Verhältnis kippt

Von Overtourism spricht man, schreibt Fritz, der zur Tourismusökonomie forscht, "wenn die Lebensqualität der Bevölkerung erheblich durch eine hohe Anzahl von Touristinnen und Touristen leidet, aber auch das touristische Erlebnis der Gäste durch eine Überlastung der lokalen Infrastruktur oder einen Verlust an Authentizität einer Destination beeinträchtigt wird". Hallstatt sei ein gutes Beispiel dafür, sagt der Experte. Die Einwohnerinnen und Einwohner fühlen sich belästigt, vermissen Orte, wo sie unter sich sein können. Selbiges könne man auch für Destinationen wie Mallorca sagen.

Dazu kämen Lärm, Schmutz, ökologische Schäden, zunehmende Versiegelung von Flächen und vieles mehr. "Das hat man lange hingenommen, weil der Tourismus aus wirtschaftlicher Sicht großen Nutzen stiftet – mit der Einschränkung, dass die Erträge oft nicht in der Region verbleiben und auch nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner zu gleichen Anteilen davon profitieren." Offensichtlich sei in den letzten Jahren in vielen Destinationen dieses Kosten-Nutzen-Verhältnis gekippt – und das führe zu den Protesten, die wir nun sehen, sagt Fritz.

Protestzug
"Mallorca ist nicht zu verkaufen": Demonstrierende in Palma de Mallorca.
AFP/JAIME REINA

Sieht man sich die Zahlen an, dann kann man nachvollziehen, warum es vielen Einheimischen reicht: So haben etwa Spanien mehr als 16,1 Millionen ausländische Touristen besucht – allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres. Um ein gutes Sechstel mehr als 2023. Gemessen an den absoluten Zahlen sind die Kanarischen Inseln das meistbesuchte Reiseziel in der EU. Pro Tag übernachteten 2022 durchschnittlich rund 245.000 Menschen auf einer der Inseln. Der Tourismus sorgt für 35 Prozent des BIP des Archipels und für 40 Prozent der Arbeitsplätze. Allerdings: Die Kanaren sind trotz des Besucheransturms die ärmste Region Spaniens.

Ins Leere laufen

Der Protest der Bevölkerung richtet sich daher weniger gegen den einzelnen Touristen als gegen die Branche: "Es ist keine Botschaft gegen die Touristen, sondern gegen ein Tourismusmodell, das diesem Land nicht guttut und geändert werden muss", sagte einer der Demonstranten zur Nachrichtenagentur Reuters während eines Protestmarschs in Teneriffas Hauptstadt Santa Cruz de Tenerife. Man verlangt, dass die lokalen Behörden die Besucherzahlen vorübergehend begrenzen, um den Druck auf die Umwelt, die Infrastruktur und den Wohnungsbestand der Inseln zu verringern, und zudem den Immobilienerwerb durch Ausländer einschränken. Doch die Behörden stehen den Massen ratlos gegenüber. Viele Maßnahmen scheinen ins Leere zu laufen.

Andernorts versucht man die Besuchermassen zu lenken. Das seit Jahren vom Massentourismus geplagte Venedig – in der Altstadt hat die Zahl der Touristenbetten längst die Einwohnerzahl überholt – hat vor wenigen Monaten als erste Stadt der Welt ein Bezahlsystem für Tagestouristen eingeführt. Fünf Euro muss man an bestimmten Tagen für den Eintritt in die Lagunenstadt bezahlen. Davon erhofft man sich einen Lenkungseffekt hin zur Nebensaison. Ob das klappt, wird sich weisen.

Protestierende, Menschen, Schilder
Auch auf Teneriffa fordern Einheimische ein Umdenken in der Tourismusbranche.
EPA/ALBERTO VALDES

Oliver Fritz ist skeptisch: "Ein Eintrittsgeld von fünf Euro ist eher symbolisch bzw. soll zusätzliche Einnahmen für die Stadt generieren, wird aber kaum jemanden davon abhalten, dorthin zu reisen." Habe man es einmal eingeführt, könne man die Höhe auch verändern. Er ist sich sicher, dass das in den nächsten Jahren auch der Fall sein wird. Tatsächlich rechnet die venezianische Stadtverwaltung damit, aussagekräftige Daten über den Tourismus zu sammeln, um Phase zwei der Eintrittsgebühr zu organisieren: 2025 soll die Zahl der Tage mit Anmeldung und Bezahlung erhöht werden. Eingeführt wird eine Höchstzahl von Touristen im historischen Zentrum, ab der die Gebühr von fünf auf zehn Euro steigt.

Eintritt ist der eine Weg, Entzerrung der andere: In Portugal zum Beispiel will man mit speziellen Angeboten Reisende von der überfüllten Algarve ins weniger touristisch erschlossene Hinterland locken, etwa mit einem neuen, rekordverdächtigen Weitwanderweg. Einem ähnlichen Konzept folgt der Cammino Retico in Italien. Ist diese Umlenkung sinnvoll? Grundsätzlich brächten solche Maßnahmen einen "double benefit", hält Fritz fest: "Die Hotspots werden entlastet, andere, noch unbekannte Regionen profitieren von touristischen Einnahmen."

Schiff, Menschen
Symbol für Overtourism: Ein Kreuzfahrtschiff fährt auf dem Giudecca-Kanal in Venedig vorbei. Mittlerweile hat die Lagunenstadt die Riesenschiffe aus der Altstadt verbannt.
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Aber spielen die Touristen überhaupt mit? "Ob die Gäste das annehmen, wird man von Fall zu Fall beurteilen müssen. Wenn es sich um ganz einzigartige Ziele handelt, dann wird es weniger gut funktionieren", meint der Freizeitökonom. Venedig sei eben einzigartig, kein "Ausweichziel" kann da mithalten. Sein Fazit: Eine einzelne Maßnahme werde wenig bringen, man müsse mehrere kombinieren und dabei die spezifischen Gegebenheiten einer Destination im Auge behalten.

Der Ton wird rauer

So wurde etwa in Amsterdam zunächst versucht, Besuchenden konkrete Alternativen anzubieten. Im "Untourist Movement Amsterdam" schlossen sich ab 2018 gemeinnützige Organisationen, alternative Hotels, Herbergen und Stadtführende zusammen, um eine Vielzahl ungewöhnlicher Aktivitäten und sogar einen gedruckten Reiseführer anzubieten. Doch nachdem Corona diese Angebote stärker dezimiert hat als bewährte touristische Verlockungen, wurde der Ton rauer: So hat Amsterdam im März 2023 unter dem Slogan "Stay Away" eine Demarketing-Kampagne gestartet, die vor allem auf Gruppen junger Männer abzielte. Die klare Botschaft: "Bleibt besser daheim, wenn ihr nur wegen Drogen, Alkohols und Prostitution in unsere Stadt kommen wollt."

Zwei Monate später folgten konkrete Verbote: In den Straßen des Stadtkerns von Amsterdam dürfen seither keine Joints mehr geraucht werden, an vielen öffentlichen Plätzen gilt Alkoholverbot. Dieses relativ rasche Aufeinanderfolgen vom Anbieten von Alternativen bis hin zu Verboten legt nahe, dass offensichtlich nur noch strenge Regularien helfen – auch in der touristischen Brennpunktstadt Barcelona.

Viele Menschen in der Stadt Amsterdam
Touristenmassen in Amsterdam: Die Stadt greift härter gegen Partytouristen durch.
IMAGO/Robin Utrecht

Während Familien mit Kindern im Sommer 2024 noch darauf hoffen, sich den Aufenthalt in einer Ferienwohnung in der katalanischen Hauptstadt überhaupt leisten zu können, ist deren künftiges Verbot seit wenigen Tagen beschlossene Sache. Ein annehmbares Appartement mit zwei Schlafzimmern wird dort im kommenden August für Urlauber nicht unter 1500 Euro pro Woche zu bekommen sein. Das hat nun auch Jaume Collboni, Bürgermeister von Barcelona, indirekt dazu bewogen, die Notbremse zu ziehen. Ab 2029 solle es in der Stadt keine Ferienwohnungen mehr geben, weil die regulären Mieten dadurch in den vergangenen zehn Jahren um 70 Prozent gestiegen sind. Rund 10.000 Unterkünfte (Eigentum und zur Miete) würden den Einwohnenden aktuell fehlen, weil sich diese über Dienste wie Airbnb lukrativer an Urlauber vermieten lassen, lautet die Kritik der Stadtverwaltung. Ob das Verbot auch kontrolliert und durchgesetzt werden kann, ist noch unklar.

Bedeutet das am Ende, dass kinderreiche Familien, für die Ferienwohnungen die einzig leistbare Alternative zu Hotels rund ums Mittelmeer sind, bald gebeten werden, zu Hause zu bleiben? Die Frage ist falsch gestellt. Sie müsste eher lauten, ob sich urlaubende Familien Kurzzeitmieten, wie sie auf Airbnb zu finden sind, überhaupt noch leisten können. Jeder dritte österreichische Haushalt mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 2000 Euro sieht sich laut der Johannes-Kepler-Uni Linz in diesem Sommer finanziell außerstande, Nächtigungen auswärts zu buchen. Und Familien mit Kindern können sich heuer selbst bei einem Haushaltseinkommen von 5000 Euro den Urlaub kaum mehr leisten. (Sascha Aumüller, Markus Böhm, 29.6.2024)