Mihail Popșoi, Außenminister der Republik Moldau. Im Hintergrund Flaggen Moldaus und der EU.
Mihail Popșoi will die Republik Moldau als Außenminister auf EU-Kurs halten.
IMAGO/Florian Gaertner

Die Europäische Union hat am Dienstag offiziell Beitrittsgespräche mit der Ukraine und der Republik Moldau eröffnet. Im Oktober, parallel zur Präsidentenwahl, soll in Moldau in einem Referendum über die EU-Perspektive abgestimmt werden. Das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine wurde zuletzt in steter Regelmäßigkeit auch direkt aus dem Kreml heraus bedroht. Außenminister Mihail Popșoi war vergangene Woche in Wien.

STANDARD: Die Europäische Union hat gerade die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Moldau gestartet. In Summe bedeutet die EU aber mühsame Verhandlungen, viel Bürokratie und lange Entscheidungswege. Wieso tut man sich das eigentlich an?

Popșoi: Weil die EU bewiesen hat, dass sie ein erfolgreiches Projekt ist, das Frieden, Stabilität und Wohlstand bringt. Moldaus Kultur ist verankert in Europa. Wir haben bereits ein Assoziierungsabkommen mit der EU und haben lange angestrebt, selbst Teil dieser Union zu werden. Jetzt haben wir die Möglichkeit dazu.

STANDARD: Gerade durchlebt diese Union inmitten multipler Krisen ja in sich selbst turbulente Zeiten. Wenn man sich die Handhabe der EU in Sachen Ukraine ansieht: Ist die EU denn letztlich ein überzeugender Partner in Sicherheitsfragen?

Popșoi: Die EU hat sich als sehr konsequent und robust erwiesen, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Freilich: Es gibt immer Raum für Verbesserungen. Aber die Europäische Union hat sehr klar den Pfad vorgegeben – sowohl als Institution als auch durch ihre Mitgliedsstaaten. Wir können darauf zählen, dass unsere Partner in der EU die Ukraine weiter unterstützen, so wie das auch Moldau tut – mit den bescheidenen Mitteln, die wir haben. Das tun wir, weil es moralisch richtig ist und weil für uns nicht abstrakt ist, was in der Ukraine passiert. Wir verstehen also, dass die Ukraine nicht nur für sich selbst kämpft, sondern auch für uns.

STANDARD: Im Oktober finden in Moldau Präsidentenwahlen und ein Referendum über den EU-Beitritt statt. Russland hat auch bereits mehrmals offen versucht, Einfluss zu nehmen. Ist der europäische Weg für Moldau denn unumkehrbar?

Popșoi: Das ist der Grund, wieso wir ein Referendum abhalten: Damit dieser Weg eben unumkehrbar wird; damit der strategische Weg des Landes nach Europa auch in der Verfassung eingemeißelt wird. Aber natürlich wird der Kreml keine Kosten und Mühen scheuen, um diesen Kurs zu unterminieren und Moldau zu destabilisieren – wie sie es ja bereits gemacht haben. Es stimmt sicher, dass ein Teil der moldauischen Bevölkerung unter dem Fluch der russischen Propaganda steht. Der Kreml bearbeitet diesen Boden jedenfalls sehr intensiv. Es liegt an uns, sicherzustellen, dass dieser Einfluss zurückgedrängt wird und diese Propagandanarrative nicht wirken.

STANDARD: Moldau hat zuletzt eine ganze Reihe von Sicherheitsabkommen geschlossen – etwa mit Frankreich und auch mit der EU. Sind das sicherheitspolitische Flicken, oder hat das tatsächlich Substanz?

Popșoi: Es ist leider nicht genug. Aber wir arbeiten hart daran, Moldaus Sicherheits- und Verteidigungssektor zu konsolidieren. Wir haben eine neue nationale Sicherheitsstrategie, in der wir uns zu höheren Verteidigungsausgaben verpflichten. Wir haben Russland als die zentrale Gefahr für die Sicherheit Moldaus identifiziert – zusammen mit Korruption. Und wir arbeiten an der Bekämpfung dieser Gefahren. Der Kreml hat sehr intensiv daran gearbeitet, Korruption zu fördern und zu benutzen, um sich Einfluss zu sichern. Abgesehen von diesen strategischen Schritten haben wir eben Abkommen etwa mit Frankreich und der EU – als erstes Land, das ein solches Abkommen hat. Das ist eine Ehre. Weil dieses Dokument Zeugnis davon ablegt, welchen Herausforderungen wir ausgesetzt sind, aber auch davon, welche Schritte wir unternommen haben, um uns diesen Herausforderungen zu stellen.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass es einen Unterschied im Verständnis Russlands gibt zwischen der "alten EU" und der "neuen", die sowjetische Besatzung und russischen Imperialismus aus der jüngeren Geschichte kennt?

Popșoi: Es gibt natürlich unterschiedliche historische Erfahrungswerte, die unterschiedliche Regionen in Europa gemacht haben. Das spiegelt sich auch in der öffentlichen Meinung wider – die dann wiederum die Politik beeinflusst. Aber wir sehen in Summe riesige Unterstützung und Entschlossenheit in ganz Europa, der Ukraine beizustehen – im Westen wie im Osten. Das ermutigt auch uns. Die Entschlossenheit für die Ukraine und ganz klar auch für Moldau ist da. Jede Hilfe, die wir erhalten, ist ja auch eine Hilfe für die Ukraine. Und jede Hilfe, die die Ukraine erhält, ist auch eine Hilfe für Moldau.

STANDARD: Sie haben einen regelmäßigen Gast im Außenministerium: den russischen Botschafter, den sie aufgrund diverser Zwischenfälle bereits mehrmals einberufen haben. Erst unlängst wurde ein hoher General überführt, der für Russland gearbeitet hat. Wie würden Sie denn Moldaus Beziehungen zu Russland beschreiben?

Popșoi: Moldau will Frieden. Wir hätten gerne gute Beziehungen, aber wir können eine solch barbarische Aggression, wie sie Russland in der Ukraine durchführt, nicht akzeptieren und auch nicht ignorieren. Die Beziehungen sind also auf einem Tiefpunkt, und da werden sie auf absehbare Zeit auch bleiben, bis der Kreml seinen Kurs ändert. In der Zwischenzeit stehen wir an der Seite der Ukraine und bauen auch unsere eigenen Kapazitäten aus, um Russlands hybride Beeinflussungsversuche abzuwehren.

STANDARD: Nachdem Russland den Krieg 2022 eskaliert hat, haben viele sehr besorgt in die (von prorussischen Separatisten kontrollierte, Anm.) Region Transnistrien geblickt – als trojanisches Pferd Russlands in Moldau. Es gab anscheinend auch eine ganze Reihe an russischen Versuchen, diesen Konflikt zu eskalieren. Aufgegangen ist das nicht. Im Gegenteil: Tiraspol hat auf russische Eskalationsversuche eher kalt reagiert. Bietet die aktuelle Lage vielleicht sogar eine Chance zur Beilegung dieses Konflikts?

Popșoi: Diese Chance gibt es sicher – auch wenn wir zuvor bereits Phasen des Optimismus hatten. Aber es stimmt, dass die sogenannte transnistrische Führung versucht hat, sehr ruhig zu bleiben. Und auch wir sind ruhig geblieben. Niemand hat ein Interesse an einer Eskalation. Man muss das auch im Licht der engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU sehen: 70 Prozent der Exporte Transnistriens gehen in die EU – das ist ein höherer Anteil als in Moldau. Diese Zahl zeigt, wie attraktiv der EU-Markt ist. Oder umgekehrt: wie problematisch der russische Markt geworden ist. Viele Menschen in Transnistrien haben erkannt, dass Moldaus Zukunft in Europa liegt. Das erhöht die Chancen auf eine friedliche Beilegung. Letztlich ist von diesem Konflikt auf zwischenmenschlicher Ebene ja nicht viel übrig. Und auch die sogenannte Führung dort hat kein Interesse daran, von Russland niedergewalzt zu werden. (Stefan Schocher, 26.6.2024)