Vibrator
Erst die Praxis und dann die Theorie: Viele Vibratoren operieren mit Schwingungen von 40 bis 80 Hertz. Wie man erst jetzt weiß, ist das auch die Frequenz, auf die sogenannte Krause-Körperchen unter der Haut von Klitoris und Penis reagieren.
AFP/MIGUEL MEDINA

Vibratoren sind längst raus aus dem Schmuddeleck, in dem sie früher einmal standen oder lagen. Mittlerweile werden die handlichen Geräte nicht mehr nur in Sexshops oder von Versandkaufhäusern angeboten, sondern seit einigen Jahren auch im nächsten Drogeriemarkt. Schließlich geht es um ein Milliardengeschäft: Laut verschiedenen Umfragen hat eher die Mehrheit als die Minderheit der Frauen das wohltuende Sexspielzeug bereits verwendet.

Dazu beigetragen hat gewiss auch die Serie Sex and the City, in der 2002 die magische Wirkung des Hitachi Magic Wand angepriesen wurde, der dadurch zum wohl berühmtesten elektromechanischen Lustspender avancierte. Hitachi war davon wenig begeistert und stellte 2013 die Produktion ein, um das Image des "Sexspielzeugerzeugers" abzuschütteln, weshalb das Ding heute von einer anderen Firma nur noch als Magic Wand (Zauberstab) erzeugt und vertrieben wird.

Neurobiologische Rätsel

Warum die angenehmen Vibrationen sexuell erregend sein können, ist freilich nicht so ganz klar. Offensichtlich ist, dass es bestimmte Mechanorezeptoren unter der Haut sind, die sich für die Vibrationen empfänglich zeigen. Aber welche das sind und wie der Signalweg bis ins Hirn funktioniert, ist erstaunlich wenig erforscht. In einschlägigen Lexika ist von den sogenannten Vater-Pacini-Körperchen die Rede und von den Meissner-Körperchen in Klitoris und Eichel.

Doch das sind vielfach Spekulationen, denn die Aktivierung spezifischer Neuronen und die Verfolgung der Reize im Gehirn war bis vor rund 20 Jahren nahezu unmöglich. Erst rund um das Jahr 2000 kamen neue molekularbiologische Techniken wie die Optogenetik auf, die solche Untersuchungen – zumindest bei Tieren – umsetzbar machten.

Sexstudien an Mäusen

Genau damit hat David Ginty (Harvard Medical School in Boston) Untersuchungen an Mäusen durchgeführt und neues Licht ins Dunkel der angenehmen Vibrationen gebracht. Der auf haptische Reize spezialisierte Neurobiologe hat dabei mit seinem Team unter anderem herausgefunden, dass es sich bei den zu erregenden Mechanorezeptoren um die sogenannten Krause-Körperchen (oder Krause-Endkolben) handelt, die der deutsche Anatom Wilhelm Krause 1860 erstmals beschrieben hat und bei denen es sich um Nervenenden in eng umhüllten Kügelchen handelt, die sich direkt unter der Haut befinden. (23 Jahre nach Krauses Entdeckung wurde übrigens der Vibrator erfunden.)

Für ihre kürzlich im Fachblatt Nature veröffentlichte Arbeit aktivierten Ginty und seine Mitarbeiter die Krause-Körperchen in männlichen und weiblichen Mäusen mit verschiedenen mechanischen und elektrischen Reizen. Die Neuronen feuerten dabei als Reaktion auf niederfrequente Vibrationen im Bereich von 40 bis 80 Hertz. Das sind im Übrigen auch jene Frequenzen, die bei vielen Sexspielzeugen verwendet werden (die des Magic Wand liegen etwa zwischen 80 und 100 Hertz). Menschen haben also lange vor Veröffentlichung der neuen Erkenntnisse erkannt, wie sich die Krause-Körperchen am besten stimulieren lassen.

Krause-Körperchen
Krause-Körperchen in der Klitoris eines Mäuseweibchens (links) und im Penis einer männlichen Maus. Im Gewebe der Weibchen sind die Korpuskeln weitaus enger gepackt.
Lijun Qi, Michael Iskols, and David Ginty

Ginty und sein Team fanden zudem heraus, dass die Genitalien von männlichen und weiblichen Mäusen in etwa die gleiche Anzahl dieser Korpuskeln enthalten, die sich während des Wachstums der Organe während der Entwicklung der Tiere räumlich verteilen. Da die Klitoris deutlich kleiner ist, sind die Krause-Körperchen 15-mal so konzentriert wie auf dem Penis. "Auf der Klitoris gibt es fast nur Krause-Körperchen", sagt Ginty im Gespräch mit Nature News, "und wir glauben, dass jedes einzelne ein Vibrationsdetektor ist." Das würde auch erklären, warum das Organ so empfindlich ist.

Ohne Krause-Körperchen kein Sex

Um herauszufinden, welche Rolle die Krause-Endkolben beim Sex spielen, hat das Team Mäuse genetisch so verändert, dass die Neuronen der Korpuskeln feuern, wenn sie einem Lichtblitz ausgesetzt werden. Tatsächlich lösten solche Aktivierungen bei betäubten männlichen Mäusen Erektionen aus und bei den Weibchen vaginale Kontraktionen. Mäuse, die gentechnisch so verändert wurden, dass ihnen die Krause-Körperchen fehlten, konnten sich nicht normal paaren, was darauf hindeutet, dass diese Mechanorezeptoren für die Sexualität notwendig sind.

Damit nicht genug, warten die Forschenden mit einer weiteren bemerkenswerten Erkenntnis auf: Obwohl sich die meisten sensorischen Neuronen bereits vor der Geburt entwickeln, stellten sie fest, dass sich die Krause-Körperchen bei Mäusen erst im Alter von vier bis sechs Wochen entwickelten – kurz bevor die Tiere die Geschlechtsreife erreichten. Ginty und seine Mitarbeiter wollen nun weitere Aspekte der Krause-Körperchen untersuchen – unter anderem ob die Neuronen Lustempfindungen im Gehirn auslösen und ob sie ihre Empfindlichkeit im Alter beibehalten. "Jede Entdeckung führt zu neuen Erkenntnissen", resümiert Ginty in Nature News. Und es gebe noch so viel, das wir nicht wissen. (Klaus Taschwer, 29.6.2024)