United States Courthouse auf der Insel Saipan
In diesem Gebäude auf Saipan wird Julian Assange am Mittwochfrüh (Ortszeit) erwartet.
REUTERS/Kim Hong-Ji

Vierzehn Jahre lang zog sich die Odyssee von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Für die einen ist er ein gefeierter Held der Pressefreiheit, der unter anderem US-Kriegsverbrechen aufdeckte. Für die anderen, allen voran die US-Behörden, ist er aber Staatsfeind Nummer eins, der mit der Veröffentlichung von über 700.000 als geheim eingestuften Dokumenten aus dem Militärapparat Menschenleben gefährdet habe.

Mit Mittwoch dürfte die lange juristische Reise des Wikileaks-Gründers aber ein Ende finden – und zwar auf der westpazifischen Insel Saipan. Assange hat mit den US-Behörden eine Abmachung getroffen. Er befand sich am Dienstag auf dem Weg von London auf die mehrere Tausend Kilometer entfernte Insel mitten im Ozean, ein US-Außengebiet. Am Mittwoch um neun Uhr (Ortszeit) soll er dort im Rahmen des Deals verurteilt werden.

Frage: Was wird Assange eigentlich vorgeworfen?

Antwort: Die USA werfen Assange Spionage und Geheimnisverrat vor. Assange habe gemeinsam mit Whistleblowerin Chelsea Manning geheime Dokumente zu den US-Einsätzen in Afghanistan und im Irak gestohlen und veröffentlicht. Unter anderem wurde ein Video aus dem Irak von 2007 veröffentlicht, das zeigt, wie US-Truppen aus einem Helikopter auf Zivilisten schießen; auch zwei Reuters-Journalisten wurden dabei getötet. Aufdeckungen zu Folter im Irak und zu Guantánamo gingen ebenfalls auf Wikileaks zurück. Bis zu 175 Jahre Haft drohten dem heute 52-jährigen Australier.

Wie am Dienstag bekannt wurde, einigte sich Assange nun aber mit den US-Behörden auf einen Deal. Dabei würde er sich in einem Anklagepunkt schuldig bekennen, und zwar zur Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von geheimen Dokumenten des US-Verteidigungsapparats.

Frage: Wie kam es, dass Assange so lange in London war?

Antwort: In London versuchte Assange über Jahre, einer Auslieferung in die USA zu entgehen. Ursprünglich hatte die schwedische Staatsanwaltschaft 2010 einen internationalen Haftbefehl gegen Assange erwirkt, wegen Vergewaltigung und sexueller Gewalt – Vorwürfe, die Assange zurückweist. Er stellte sich damals in London der Polizei, befürchtete aber, von Schweden in die USA ausgeliefert zu werden, und floh daher 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London. Dort lebte er bis 2019, als Ecuador ihm das Asyl entzog. In der Zwischenzeit hatte Schweden das Verfahren gegen ihn eingestellt. Assange kam in London danach ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo er bis Montag diese Woche einsaß.

Nach Einigung mit US-Justiz: Julian Assange ist frei
AFP

Frage: Warum fliegt Assange nach all den Jahren in London nun ausgerechnet in den Westpazifik?

Antwort: In den vergangenen Jahren hatte Assange weiter gegen seine Auslieferung in die USA angekämpft, die von einem Londoner Gericht eigentlich schon abgesegnet worden war. Sein Fall befand sich aber weiter in Berufung gegen die Entscheidung. Im Zuge der nun erwirkten Vereinbarung einigte er sich mit den USA darauf, dass er nicht in die USA selbst reisen muss. Um verurteilt zu werden – und damit den Fall nach so langer Zeit endlich zu Ende zu bringen – muss er aber vor ein US-Gericht. Somit fiel die Wahl auf die Insel Saipan im Westpazifik: Das US-Außengebiet liegt relativ nahe an Assanges Heimat Australien, so die offizielle Erklärung. Und die Insel beherbergt, was in dem Fall entscheidend ist, ein US-Bezirksgericht.

Frage: Was sind US-Außengebiete?

Antwort: Saipan ist die Hauptinsel der Nördlichen Marianeninseln, die aus 14 Einzelinseln bestehen. Genauso wie das nahegelegene Guam oder auch Puerto Rico gehören diese Inseln zu den USA, haben aber nicht den vollen Status eines Bundesstaats. Die Bewohner und Bewohnerinnen sind US-Bürger, können aber zum Beispiel bei den Präsidentenwahlen nicht wählen.

Die USA kontrollieren Saipan bereits seit dem Zweiten Weltkrieg, als die Weltmacht dort 1944 in einer blutigen Schlacht die Kontrolle über die Insel übernahm. Zuvor war die Insel eine Kolonie Spaniens, später Deutschlands und dann Japans. Spätestens ab den 1950ern benutzte die CIA die Insel als Trainingsstützpunkt für eigene Truppen, aber auch alliierte Kräfte im Kalten Krieg. 1975 votierten die Bewohner der Insel dafür, an die USA angegliedert zu werden. Erst 2008 schickten die Nördlichen Marianeninseln erstmals einen Abgeordneten ins Repräsentantenhaus, der allerdings kein Stimmrecht im Kongress hat.

Frage: Wie geht es für Assange weiter?

Antwort: Sollte am Mittwoch alles so kommen wie geplant, wird Assange wohl zu fünf Jahren verurteilt werden, die ihm aber bereits durch seine lange Inhaftierung in London angerechnet werden. Er plant, danach als freier Mann nach Australien weiterzureisen. Der australische Premier Anthony Albanese hat am Dienstag angekündigt, dass ihn ein Diplomat des Landes begleiten wird. (saw, 25.6.2024)