Gut möglich, dass am Dienstag Marko Arnautovic (li) und Memphis Depay (re) auf Torejagd gehen.
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Berlin – Montag, 24. Juni, 14 Uhr, in den Katakomben des Berliner Olympiastadions: Die Abschlusspressekonferenz der natürlich nicht vollzählig erschienenen österreichischen Fußballnationalmannschaft vor dem Match am Dienstag gegen die Niederlande (18 Uhr, Servus TV) geriet zu einer recht launigen Veranstaltung, dafür sorgten die Protagonisten Teamchef Ralf Rangnick und Stürmer Marko Arnautovic. Die Frage, ob der Kapitän von Beginn an spielt, hat Rangnick natürlich nicht beantwortet. Den Ausfall von Innenverteidiger Gernot Trauner hat er bestätigt. Es dürfte auch knapp fürs höchst wahrscheinliche Achtelfinale werden.

Der 35-jährige Arnautovic wurde von einem Falter sekkiert ("Ich werde attackiert"), Rangnick blieb von dem lästigen Vieh verschont. Die Ausgangslage in der Gruppe D ist relativ klar: Frankreich und die Niederlande haben je vier Punkte, Österreich drei, Polen ist weg, muss aber noch das Parallelmatch in Dortmund gegen Frankreich bestreiten. Rang drei sollte fürs Weiterkommen reichen.

Ob sich Marko Arnautovic auf die Abwehr der Niederlande stürzt, ist offen.
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Rangnick lehnt Rechenbeispiele ab, wobei ihm Platz zwei oder gar eins lieber wäre. Man sei "zu 98,6 Prozent" für die nächste Runde qualifiziert, sagte der 65-Jährige. "Aber das sind nicht 100 Prozent. Wir brauchen aus eigener Kraft zumindest einen Punkt." Gleichzeitig tat er kund, dass die Spielweise nicht auf einen, sondern auf drei Zähler ausgerichtet ist. "Am liebsten würden wir Erster werden, aber das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Als Nächstes würden wir Platz zwei wählen. Alles, was Platz drei ausmacht, ist mir zu kompliziert. Ich hab's mir einmal angeschaut, aber dann irgendwann aufgehört." Die jüngsten sieben Vergleiche mit den Niederlanden gingen allesamt verloren, was für die laufende EM aber keine Auswirkungen hat.

Liverpools Star Cody Gakpo wird sich mit Gebrüll auf Österreichs Abwehr stürzen.
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Rangnick akzeptiert die Stärke des Gegners. "Sie sind top besetzt, in der Breite nicht ganz so stark wie Frankreich. Sie haben internationale Spitzenspieler, suchen nach spielerischen Lösungen. Seit Johan Cruyff stehen sie für variablen und flexiblen Fußball. Wir brauchen eine absolute Topleistung, physisch, psychisch. Es wird darauf ankommen, dass wir uns gut abstimmen, dass das Timing stimmt, dass wir Balleroberungen kreieren." Rangnick zählte einige der klingenden Namen der "Elftal" auf, die Liste blieb unvollständig.

Zweite Heimat

Arnautovic ist einst von den Niederlanden aus in die große Welt gezogen, seine Karriere begann 2006 bei Twente. Er lebte drei Jahre lang bei einer Gastfamilie. "Eine tolle Zeit, meine zweite Heimat, ich habe dort die Technik gelernt." Damals habe er als Flügelstürmern agiert. "Da war ich halt noch schnell." Rangnicks Einwurf: "Du bist noch immer schnell." Gesprochen wurde über den rekonvaleszenten Teilzeitbetreuer David Alaba, der am Montag seinen 32. Geburtstag gefeiert hat. Arnautovic hat seinem Spezi relativ spät gratuliert. "Weil ich in der Früh kaum sprechen kann. Ich wünschte ihm Gesundheit. Wir brauchen David, Real Madrid braucht David, alle brauchen David."

DER STANDARD hat natürlich Empfehlungen, die die Aufstellung betreffen, sie sind völlig unverbindlich, maximal ein Denkanstoß. Alexander Prass könnte links in der Verteidigung Phillipp Mwene ablösen, wobei der bisher durchaus solide gespielt hat. Es geht bei einem Turnier aber auch um Belastungssteuerung. In der Innenverteidigung drängen sich, da Trauner ausfällt, Kevin Danso und Philipp Lienhart auf. Florian Grillitsch sollte der Startformation eher nicht angehören, er hat zweimal keinen gigantischen Eindruck hinterlassen. Patrick Wimmer drängt sich hingegen auf. Konrad Laimer möge Dauerbrenner Nicolas Seiwald im zentralen Mittelfeld unterstützen.

Christoph Baumgartner wird/muss von Anfang an der zentrale Zehner sein, beim 3:1 gegen die Polen irrte er in der ersten Halbzeit auf der rechten Seite durchs Olympiastadion. Rangnick hat den Fehler korrigiert, Baumgartner schoss dann mittig das 2:1, wurde zum "Man of the Match" gewählt. Arnautovic wäre als Sturmspitze erste Wahl. Fitness vorausgesetzt. Also könnte doch Micheal Gregoritsch beginnen, man kann sich Arnautovic fürs Achtelfinale aufheben. Fußball braucht Weitblick. In die Aufstellung der Niederlande mischt sich der STANDARD nicht ein, er lässt Teamchef Ronald Koeman alleine. Der 61-Jährige sagt: "Wenn wir das Turnier nicht gewinnen, werden die Kritiker kommen." Doch "diesen Druck" hätten auch seine Kollegen "aus Spanien, Deutschland, England oder Frankreich". Rangnick hat ihn nicht. Sollte es schiefgehen, da ist sich Koeman, der 1988 als Spieler Europameister wurde, sicher: "Es würde mein Vermächtnis nicht zerstören."

Der Zeitplan

Der Match-Tag ist durchgetaktet. Die Grundvoraussetzung ist das Erwachen, das Aufstehen. Gefrühstückt wird zwischen 8 und 9.30 Uhr. Um 10 Uhr folgt eine Lagebesprechung. Rangnick wird noch einmal ins Detail gehen, ohne zu langweilen. Das kann bis zu 45 Minuten dauern. Um elf wird aktiviert, zwischen 11.30 und zwölf Uhr Mittag gegessen. Auf dem Speiseplan stehen Nudeln (Kohlehydrate!) und Huhn, das sind die Klassiker.

Zweieinhalb Stunden später wird schon wieder gespeist, eine Jause steht auf dem Programm, Toasts und Reisgerichte werde angeboten. Die Gefahr des Mästens ist nicht gegeben, wer am Abend viel laufen soll, braucht Reserven, das ist alles wissenschaftlich durchdacht und belegt. Um 15.45 Uhr ist eine bündige Besprechung vorgesehen, Rangnick wird die Motivationskeule auspacken. Kurz nach 16 Uhr wird mit dem Bus samt Polizeieskorte vom Hotel Grunewald ins Olympiastadion gefahren, das dauert circa 20 Minuten. Um 17.15 Uhr wird das Spielfeld betreten und 25 Minuten lang aufgewärmt.

Um 18 Uhr pfeift Schiedsrichter Ivan Kruzliak an. Knapp vor 20 Uhr ist es auch schon wieder vorbei, dann weiß man mehr. Die Mehrheit der 70.000 Zuschauern wird den Niederlanden zugetan sein, die Farbe Orange ist angesagt. Rangnick hat damit kein Problem: "Ich leide an einer Rot-Grün-Schwäche, kann Orange von Rot kaum unterscheiden."

Einige Fragezeichen bei Frankreich

Frankreichs Starensemble ist bisher vor allem Tore schuldig geblieben. Die zunehmende Skepsis in der Grande Nation nach den bisherigen Null-Treffer-Auftritten von Les Bleus soll im letzten Gruppenspiel gegen die bereits ausgeschiedenen Polen ausgeräumt werden. Nach dem 1:0 gegen Österreich dank eines Eigentors von Maximilian Wöber und dem 0:0 gegen die Niederlande liegt der Vizeweltmeister in der Gruppe D auf Platz zwei – vom Gruppensieg bis Platz drei ist noch alles möglich.

Wie die Niederlande hat Frankreich vier Punkte am Konto, braucht also noch einen Punkt, um als einer der Top zwei ins Achtelfinale einzuziehen. Der Zeitpunkt und die Konstellation könnte also kaum besser sein für ein Comeback von Superstar Kylian Mbappé. Frankreichs Torschütze vom Dienst saß nach seinem gegen Österreich erlittenen Nasenbeinbruch zuletzt auf der Bank, eine Einsatzgarantie für den "Maskenmann" wollte Teamchef Didier Deschamps am Montagabend nicht abgeben. Die Schwellung an der Nase nehme jedenfalls weiter ab, berichtete der Trainer. Und Mbappé werde sich auch weiter an die Maske und das veränderte Sichtfeld gewöhnen. (Christian Hackl aus Berlin, 24.6.2024)

Mögliche Aufstellungen - Gruppe D, 3. Runde:

Niederlande - Österreich (Berlin, Olympiastadion, 18.00 Uhr/live ServusTV und RTL, SR Kruzliak/SVK)

Niederlande: 1 Verbruggen (Brighton/9 Länderspiele) - 22 Dumfries (Inter Mailand/55/6 Tore), 6 De Vrij (Inter Mailand/66/3), 4 Van Dijk (Liverpool/70/9), 5 Ake (Manchester City/47/5) - 24 Schouten (PSV Eindhoven/7/0), 14 Reijnders (AC Milan/11/1), 7 Simons (RB Leipzig/16/1) - 12 Frimpong (Bayer Leverkusen/6/1), 9 Weghorst (TSG Hoffenheim/35/12), 11 Gakpo (Liverpool/26/10)

Ersatz: 13 Bijlow (Feyenoord Rotterdam/8), 23 Flekken (Brentford/7) - 2 Geertruida (Feyenoord Rotterdam/10/0), 3 De Ligt (Bayern München/45/2), 15 Van de Ven (Tottenham/5/0), 17 Blind (Girona/107/3), 20 Maatsen (Borussia Dortmund/0), 8 Wijnaldum (Al-Ettifaq/KSA/95/28), 16 Veerman (PSV Eindhoven/12/1), 26 Gravenberch (Liverpool/12/1), 10 Depay (Atletico Madrid/94/45), 18 Malen (Borussia Dortmund/33/7), 19 Brobbey (Ajax Amsterdam/2/0), 25 Bergwijn (Ajax Amsterdam/33/8)

Fraglich: 21 Zirkzee (Bologna/0 - erkrankt)

Österreich: 13 Pentz (Bröndby IF/8) - 5 Posch (Bologna/34/1), 4 Danso (RC Lens/22/0), 15 Lienhart (SC Freiburg/22/1), 8 Prass (Sturm Graz/7/0) - 20 Laimer (Bayern München/38/4), 6 Seiwald (RB Leipzig/26/0) - 23 Wimmer (VfL Wolfsburg/14/1), 19 Baumgartner (RB Leipzig/40/16), 9 Sabitzer (Borussia Dortmund/80/17) - 7 Arnautovic (Inter Mailand/114/37)

Ersatz: 1 Lindner (Union Saint-Gilloise/37), 12 Hedl (SK Rapid/1) - 2 Wöber (Borussia Mönchengladbach/26/0), 14 Querfeld (SK Rapid/2/0), 16 Mwene (FSV Mainz/14/0), 21 Daniliuc (Red Bull Salzburg/3/0), 10 Grillitsch (TSG Hoffenheim/45/1), 17 Kainz (1. FC Köln/28/1), 18 Schmid (Werder Bremen/13/0), 22 Seidl (SK Rapid/4/0), 24 Weimann (West Bromwich/24/2), 26 Grüll (SK Rapid/5/0), 11 Gregoritsch (SC Freiburg/57/15), 25 Entrup (TSV Hartberg/3/1)

Frankreich - Polen (Dortmund, 18.00 Uhr, live ORF 1 und ZDF, SR Guida/ITA)

Frankreich: 16 Maignan - 5 Kounde, 4 Upamecano, 17 Saliba, 22 T. Hernández - 11 Dembélé, 13 Kanté, 8 Tchoumèni, 14 Rabiot - 7 Griezmann - 15 Thuram

Polen: 12 Skorupski - 5 Bednarek, 3 Dawidowicz, 14 Kiwior - 19 Frankowski, 10 Zielinski, 24 Slisz, 6 Piotrowski, 21 Zalewski - 9 Lewandowski, 16 Buksa