Andreas Babler
Andreas Babler im Gespräch auf dem Donauinselfest: Hat der SPÖ-Chef taugliche Antworten auf die allgegenwärtige Migrationsfrage?
APA/FLORIAN WIESER

Andreas Babler redete sich den Mund fusselig. Wortreich pries der SPÖ-Chef seine Partei als einzige des Landes an, die ein schlüssiges Konzept zur mutmaßlichen Hauptfrage des Wahlkampfes besitze. Doch schon während der ersten Antwort war genervtes Stöhnen des Interviewers zu hören. Prompt kam der Einwurf: "Das werden vermutlich nur Sie so sehen."

Das montägige Gespräch im Ö1-Morgenjournal war symptomatisch. Geht es um Migration, Asyl und Integration, kann es Babler offenbar niemandem recht machen. Das maue Ergebnis bei der Europawahl hat eine alte Kritik wieder anschwellen lassen. Kommentatoren – der Autor dieses Textes eingeschlossen – machten das Reizthema als wunden Punkt der größten Oppositionspartei aus. Dem stimmen durchaus manche hohen Sozialdemokraten zu, wenn auch nicht alle offen: Die Strategie der SPÖ, der von der FPÖ getriebenen Debatte über die Sorgen und Probleme rund um Zuwanderung und Integration auszuweichen, sei gescheitert.

Babler reagierte. Am Wochenende stellte er einen "Masterplan" vor, der "für Ausgleich und Ordnung" sorgen soll. Bringt das Papier eine rote Wende in der – wenn man so will – "Ausländerpolitik"?

Hoffnung auf Europa

Zu Beginn des Konzepts steht ein griffiges und damit gut verkaufbares Ziel: Um 75 Prozent will die SPÖ die Zahl der Asylanträge senken. Doch was danach kommt, wird aufmerksamen Politikkonsumenten über weite Strecken bekannt vorkommen. Das Argumentarium ist kein neuer Wurf, sondern baut auf dem sogenannten Kaiser-Doskozil-Papier auf. Bereits 2018 hatte die SPÖ unter der Anleitung der Landeshauptleute von Kärnten und des Burgenlands einen gemeinsamen Nenner gesucht.

Wie das Vorläuferkonzept setzt auch der nunmehrige Masterplan in erster Linie auf europäischer Ebene an. Dreh- und Angelpunkt bleiben Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen, wo Asylanträge entgegengenommen und geprüft werden sollen. Erst wenn ein Asylstatus ohne Wenn und Aber erteilt ist, soll den Flüchtlingen ein Weg in die EU offenstehen – und zwar via "fairer" Verteilung auf die einzelnen Staaten. Gegen Ungarn, das sich den Pflichten des europäischen Asylrechts verweigere, fordert die SPÖ eine Klage vonseiten der Bundesregierung.

Dienen soll der skizzierte Weg nicht nur der Entlastung von Staaten wie Österreich, sondern auch den betroffenen Menschen: Niemand solle seine Leben riskieren und sich etwa mit 50 anderen Menschen in einen Lastwagen pferchen müssen, um illegal ins Land zu kommen.

Kein nationaler Plan B

Ebenso bekannt ist der Ruf nach mit den Herkunftsstaaten auszuhandelnden Rückführungsabkommen. Das Grundrecht auf Asyl dürfe niemals hinterfragt werden, hält die SPÖ fest, doch klar auszusprechen sei auch: Wer keinen Schutz benötige, solle in sein Heimatland zurückkehren. Der im Kaiser-Doskozil-Papier verbuchte Zusatz, dass im Zweifel Humanität vor Härte stehen müsse, ist nun nicht mehr zu finden.

Wenn Rückführungen in Herkunftsstaaten nicht möglich seien, seien "neue Wege" zu beschreiten, heißt es weiter: Mit sicheren Drittstaaten sollen "Unterstützungsabkommen" ausgehandelt werden, auf dass diese von der EU abgewiesene Migrantinnen und Migranten bei sich aufnehmen.

Doch um die gerechtere Verteilung von Flüchtlingen und Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern bemüht sich die EU seit langem. Was, wenn die angepeilte europäische Lösung scheitert? Ein nationaler Plan B fehlt. Den Genossen in Dänemark, die als eine der wenigen Schwesterparteien in der EU noch eine Regierung anführen, eifert die SPÖ folglich nicht nach: Signale der Abschreckung und im Inland verhängte Restriktionen bietet das aufgefrischte Konzept keine. Dafür aber einen "Integrationskompass", der ab dem ersten Tag in Österreich nicht nur intensive Deutsch-, sondern auch Wertekurse mit sich bringen soll.

Hört die Signale!

Bleibt in der Asyl- und Migrationspolitik der SPÖ also doch alles beim Alten? Das hängt in erster Linie wohl kaum von den Papieren in der Schublade ab. Bablers Gegenspieler Hans Peter Doskozil steht nicht etwa deshalb im Ruf, eine restriktivere Linie zu verfolgen, weil er völlig andere Konzepte vertreten würde. Entscheidend sind die Signale im politischen Alltag. Spricht ein Politiker von sich aus Probleme an? Oder weicht er aus?

Babler baut dabei auf ganz anderen Voraussetzungen auf als der Ex-Polizist Doskozil. Einen Namen hat er sich mit seinem von Humanität getriebenen Umgang mit dem Flüchtlingsaufnahmezentrum im von ihm als Bürgermeister regierten Traiskirchen gemacht. Es wäre keine leichte Übung, mit einer strengeren Linie glaubwürdig zu werden.

Sein Signal vom Wochenende deutet allerdings darauf hin, dass Babler das ohnehin nicht vorhat. "Es gibt keine Verschärfung, es gibt Klarheit", betonte der Parteichef bei der Präsentation des Masterplans. Seine linksliberalen Anhängerinnen und Anhänger werden diese Botschaft gerne hören. Aber gilt das auch für Wählergruppen aus der Mittelschicht, die Bablers SPÖ für eine kanzlerschaftsrelevante Größe brauchen wird? (Gerald John, 24.6.2024)