90 Kilometer vor der nördlichen Küste Israels ist man auf die Überreste eines antiken Schiffes gestoßen. Die ersten Bilder lieferten Hinweise auf ein bronzezeitliches Wrack inklusive Ladung. Mehr ließ sich zunächst nicht herausfinden, denn das Schiff liegt in einer Tiefe von 1800 Metern. Was nach einem unterwasserarchäologischen Albtraum klingt, ist in Wahrheit ein einzigartiger Glücksfall. Ungestört von oberflächlichen Turbulenzen, kann ein Schiff dort Jahrtausende überdauern.

Tatsächlich schlossen Fachleute aus den Aufnahmen, dass das Schiff seit rund 3300 Jahren dort liegen muss. Das Wrack war im Sommer 2023 nach Beobachtung einer Anomalie am Meeresgrund ins Blickfeld eines ferngesteuerten Tauchroboters geraten. Die Bilder des britischen Erdgasunternehmens Energean zeigten zahlreiche von Sedimenten bedeckte Amphoren, die israelische Altertümerbehörde IAA wurde informiert – und die ist begeistert.

Amphoren im Mittelmeer
Die Aufnahmen aus 1,8 Kilometer Tiefe zeigen hunderte teilweise unbeschädigte kanaanäische Amphoren.
Foto: Energean

Konservierende Tiefsee

Seine letzte Ruhestätte in 1800 Meter Tiefe hat das Schiff seit seinem Untergang vor Wellen, Strömungen, Stürmen, vor allem aber vor Taucherinnen und Tauchern bewahrt – zerstörerische Kräfte, unter denen marine Fundstätten in flachen küstennahen Gewässern zu leiden haben. Die besonderen Bedingungen dort unten haben nicht nur die Ladung konserviert, sondern könnten auch dazu beigetragen haben, dass Teile des Rumpfes erhalten geblieben sind.

"Hier gibt es so viel zu erforschen", sagte Jacob Sharvit von der Meeresabteilung der IAA. "Das Schiff liegt in einer so großen Tiefe, dass es erscheint, als wäre nach seinem Untergang die Zeit stehengeblieben."

Doch der konservierende Segen kommt mit einem archäologischen Fluch: 1,8 Kilometer sind keine Kleinigkeit. Um dort unten Forschung betreiben zu können, braucht es hochspezialisiertes Equipment, Technik, über die die israelische Altertumsbehörde nicht verfügt. Zum Glück sprang die Firma, die die Entdeckung gemacht hatte, in die Bresche.

Tauchboot
Mithilfe eines ferngesteuerten U-Boots gelang es nicht nur, den Fundort zu kartieren und fotografisch zu erfassen, sondern auch, zwei der Amphoren an die Oberfläche zu holen.
Foto: Emil Eljams / Israel Antiquities Authority

Schwierige Untersuchung

Energean erklärte sich bereit, für die Wissenschaft erneut einen ferngesteuerten Tauchroboter zum Meeresgrund zu schicken, diesmal ausgestattet mit Bergungsausrüstung. Nach einem dreistündigen Abstieg kartierte das Unterwassergefährt die Fundstätte und dokumentierte per Foto und Video die Umgebung. Zum Schluss barg man mithilfe des Roboters zwei der Amphoren und brachte sie sicher an die Oberfläche.

Aus den bisher gesammelten Informationen lässt sich ein, wenn auch lückenhaftes, Bild rekonstruieren. Allem voran steht die Tatsache, dass man es hier mit einem Rekordhalter zu tun hat: Es ist das älteste Wrack, das je in der Tiefsee erspäht wurde. Aufgrund der Aufnahmen schätzen die Fachleute das ursprüngliche Schiff auf eine Länge von zwölf bis vierzehn Metern. Die Ladung bestand aus hunderten Amphoren.

Amphoren aus dem Mittelmeer
Die beiden aus der Tiefe heraufgeholten Tonbehälter sollen nun näher untersucht werden. Dass sich von ihrem ursprünglichen Inhalt etwas erhalten konnte, glauben die Forschenden allerdings nicht.
Foto: Emil Eljams / Israel Antiquities Authority

Tongefäße für Landwirtschaftsgüter

Dieser spezielle Typus kanaanäischer Amphoren wurde in der späten Bronzezeit im 14. Jahrhundert im Nahen Osten verwendet, was eine zeitliche und ungefähre regionale Einordnung des Funde erlaubt. In solchen Tongefäßen wurden viele Arten von Waren verschifft, darunter Wein, Öl, Honig oder Harz. Versiegelt war das Behältnis üblicherweise mit einem Lehmdeckel. Die geborgenen Amphoren hatten allerdings keinen Verschluss mehr, über ihren ursprünglichen Inhalt lässt sich daher vorerst zumindest nichts sagen.

Planken des Schiffs wurden noch nicht entdeckt, doch die Forschenden vermuten, dass sich hölzerne Reste unter den Sedimenten erhalten haben. "Der anhand der Ladung identifizierte Schiffstyp wurde während dieser Ära als effizientes Transportmittel für relativ billige und massenproduzierte Produkte wie landwirtschaftliche Erzeugnisse eingesetzt", erklärte Sharvit.

Bronzezeitpiraten

Herkunft, Zielhafen und Auslöser des Untergangs sind unklar. "Vieles spricht aber dafür, dass das Schiff unter dramatischen Umständen gesunken ist", meinte Sharvit gegenüber Haaretz. "Vielleicht in einem Sturm oder durch einen Piratenangriff, was in der späten Bronzezeit durchaus häufig vorkam. Was auch immer tatsächlich geschehen ist, es dürfte schnell gegangen sein."

Video: Aufnahmen von der Fundstelle.
Associated Press

Dass das Schiff so tief gesunken ist, macht es zu einem einzigartigen Fund. Bisher waren alle Überreste von Wasserfahrzeugen aus der Bronzezeit in flachen Gewässern in Küstennähe entdeckt worden. Das älteste bekannte Wrack liegt vor der Küste der griechischen Insel Dokos und soll vor etwa 4200 Jahren untergegangen sein. Zwei ähnlich alte Schiffe wurden vor der türkischen Küste gefunden, beide in seichtem Wasser und stark mitgenommen.

Handelsfahren über das offene Meer?

Für Sharvit und seine Kolleginnen und Kollegen ist der Fund so weit draußen vor der Küste vor allem aus einem Grund so bedeutsam: "Bislang war man weitgehend davon ausgegangen, dass sich die Handelsfahrten übers Meer in dieser Zeit in Küstennähe abgespielt haben – immer von Hafen zu Hafen und nie ohne Blickkontakt zum Ufer", sagte Sharvit. "Doch die Entdeckung dieses Bootes verändert alles: Es ist das allererste, das in so großer Entfernung und ohne Sichtverbindung zu einer Landmasse gefunden wurde."

Wenn sich dieses Schiff nicht mächtig verfahren hat, dann rüttelt sein Fundort mitten auf dem Meer nach Ansicht der Forschenden am etablierten Bild über die Fähigkeiten antiker Seefahrer. "Um zu navigieren, nutzten sie vielleicht den Himmel, indem sie die Positionen der Sonne und der Sterne anpeilten", spekuliert der Archäologe. Jedenfalls spreche die umfangreiche Ladung für bedeutende Handelsbeziehungen zwischen der Herkunftsregion des Schiffes und der antiken Levante. (Thomas Bergmayr, 24.6.2024)