China ist ein wichtiger Markt, den die deutschen und europäischen Autohersteller dringend für ihr Wachstum benötigen.
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Anfang Juni war es so weit. Autobauer Audi nominierte erstmals einen eigenen Software-Vorstand. Die Wahl fiel auf den Franzosen Geoffrey Bouquot, der dem neu geschaffenen Ressort Innovation und Software-Defined-Vehicle Beine oder auch Räder machen sollte. Man brauche als Unternehmen eine strukturelle Neuausrichtung für mehr Tempo in der Entwicklung und einen klaren Fokus auf Software, ließ Audi-Chef Gernot Döllner parallel zur Ressortgründung wissen.

Die Zeichen stehen in jedem Fall auf Sturm. Die deutsche Autobranche und auch die europäischen Zulieferer versuchen im Kampf um die Softwareentwicklung und damit verbundene Zulieferketten zu bestehen. Aber ist es dafür nicht schon zu spät?

Computer mit Auto

Die Branche spricht beim E-Auto schon lange vom Software-Defined-Vehicle (SDV). Salopp ist immer wieder zu hören, dass hier Autos um eine Software – um einen "Computer" – herum gebaut werden. Und genau diese Architektur ist in der Branche mittlerweile zum zentralen Erfolgsfaktor geworden. Hinzu kommt, dass in diesem Zusammenspiel der Systeme alles miteinander funktionieren muss, um ein reibungsloses Fahrerlebnis zu garantieren. Ein Punkt, der zuletzt vor allem bei deutschen Autobauern nicht immer ohne Bauchschmerzen abgehakt werden konnte.

Das liegt wohl daran, dass es unzählige Kombinationen aus Software und Fahrzeugtypen gibt, die beachtet werden müssen. Das Handelsblatt beschrieb es kürzlich so: "Fahrzeugkomponenten für Fahrerassistenzsysteme unterschiedlicher Herkunft müssen mit ihrer Software und dem Zentralrechner reibungslos und in Echtzeit kommunizieren können – egal ob Autohersteller oder Tech-Hersteller sie beisteuern."

Eines der Probleme ist, dass sich große Tech-Konzerne und die Autobauer selbst in der Entwicklung ihrer SDVs nicht gerne reinreden lassen oder allzu viel von extern benötigen. In einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung P3 wird genau beschrieben, wie schlecht es für Zulieferer wie Continental, Bosch und andere bereits steht.

Gutes Image

Dort wird etwa beschrieben, wie sich deutsche Zulieferer China als großen Markt versprochen haben. Diese Rechnung ging aber nicht auf, erklärt etwa Marco Dargel von P3 dem Handelsblatt. Chinesische Hersteller würden sich eher aus "Imagegründen" einen deutschen Zulieferer sichern. "Brauchen" würde man diese schon lange nicht mehr.

Egal ob Huawei, Xiaomi oder BYD, die Softwareintegration gehört mittlerweile zum Tagesgeschäft. Autos sind zu IT-Produkten geworden, die auch von der jeweiligen Abteilung im Konzern betreut werden. So veröffentlichte beispielsweise der Tech-Konzern Xiaomi im März sein erstes Auto, den SU7. Bereits im Mai erhöhte der chinesische Konzern seine Absatzprognose aufgrund der "hohen Nachfrage". 120.000 Autos will Xiaomi im Jahr 2024 noch an Kunden ausliefern. Gebaut wird alles hausintern.

Generell boomt der E-Auto-Markt in China. Nach der Markteinführung des SU7 von Xiaomi kündigten andere chinesische E-Auto-Marken mit vergleichbaren Modellen Preissenkungen an. Im Jahr 2024 werden im Segment zwischen 200.000 und 300.000 Yuan (25.000 bis 39.000 Euro) rund 240 E-Modelle um die Gunst der Kunden in China buhlen, was einem Anstieg von fast einem Fünftel gegenüber dem Vorjahr entspricht, wie die Analysten von Citi erklärten.

Gegenseitige Abhängigkeit

Und auch in wachsenden Software-Bereichen, etwa dem automatisierten Fahren, sieht es schlecht für deutsche Zulieferer aus. Laut P3-Studie kommen die komplexesten Komponenten von Nvidia, dem Drohnenspezialisten DJI oder dem Tech-Giganten Huawei. Die dazugehörige Software kommt fast ausschließlich von den Autobauern selbst, also BYD, dem Startu-up Nio oder Li Auto (Li Xiang). Auch die für moderne Assistenzsysteme benötigte Lidar-Technologie wird bei praktisch allen chinesischen Herstellern ausschließlich im Heimatland produziert.

Widerstand gegen diesen Trend regt sich nur gelegentlich. Contintental, trotz anhaltenden Sparkurses speziell im Bereich Forschung, kündigte schon vor mehr als einem Jahr an, eine exklusive Partnerschaft mit dem US-Unternehmen Aurora zu starten. Die damals ausgeschickte Presseaussendung sprach vom Ziel, kommerziell skalierbare, autonome Lkw-Systeme anbieten zu wollen. Im Jänner 2024 verkündete man das Erreichen des ersten Meilensteins. Laut eigenen Aussagen war das Design des autonomen Fahrsystems Aurora Driver Level 4 erreicht. Im April dann aber die Meldung, dass der Standort Wetzlar geschlossen werden muss. Das Zukunftsprojekt Aurora hängt seitdem in der Schwebe.

Bosch ist von Schließungen bisher verschont geblieben. Bosch-Chef Stefan Hartung gab sich zuletzt in Interviews auch sehr kampfeslustig. "Wir können das Tempo in China mitgehen und sind dort wettbewerbsfähig", ließ er in mehreren Interviews wissen. Hartung geht davon aus, dass in den kommenden Jahren chinesische Autohersteller ihre Produktion in Europa weiter ausbauen werden. "Gegenseitige Abhängigkeit ist so schlecht auch wieder nicht", erklärte der Bosch-Chef. Eine "Abschottung einer Volkswirtschaft" sollte kein Ziel europäischer Hersteller oder Länder sein, betont er. Seinen Blick würde er einstweilen schon weiter schweifen lassen. So sei etwa Indien bereits der drittgrößte Automarkt der Welt. Hier gebe es "großes Potenzial für ein starkes Wachstum".

Hartung hat leicht lachen. Dank eigener Stromsparchips, die derzeit in Autos von BYD verwendet werden, scheint die Zukunft so weit abgesichert. Im Gegensatz zu Continental und ZF hat der Autozulieferer den langen Atem bewiesen, seit rund 60 Jahren eigene Chips und Sensoren zu bauen. In Reutlingen hat man etwa eine eigene Produktion für Stromsparchips aus Siliziumkarbid-Chips (SiC) laufen, die vom ständig wachsenden Markt profitieren. Rivalen wie Infineon oder STMicroelectronics bauen lieber in Malaysia oder China neue Werke.

Zug fährt langsam ab

Im Mai 2024 erschien ein neuer Report vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE), wo es um die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland ging. Das Ergebnis war ernüchternd. Bei den Elektroautos konnten sich deutsche Autobauer bisher wenig auf ihren alten Verbrenner-Lorbeeren ausruhen, in Sachen Software sei man nie Weltspitze gewesen, und bei Künstlicher Intelligenz und autonomem Fahren hinke der Standort sogar deutlich hinterher.

Deshalb stocke auch das Geschäft mit dem Stromer. Weltweit lieferte VW in den ersten drei Monaten des Jahres ungefähr 136.000 E-Autos und damit rund 4500 weniger als im ersten Quartal des Vorjahres aus. Der chinesische Konkurrent BYD verkaufte hingegen allein im letzten Quartal 2023 über eine halbe Million Elektroautos. Bei Mercedes sehen die Zahlen nicht viel anders aus als beim heimischen Mitbewerb. Vor allem im Bereich der günstigen E-Autos würde der Abstand zu China immer größer werden, verrät der Report.

Das liege auch an fehlenden Investitionen, genauer gesagt Risikokapital, um etwa neue Geschäftsmodelle zur Marktreife zu bringen. Fahrerlose Robotaxis würden in China bereits auf den Straßen fahren und bis 2026 wohl landesweit verfügbar sein. Deutsche Komponenten würde man in diesen autonomen Fahrzeugen nicht finden.

Mut würde zudem in der Politik fehlen, die Industrie bei diesem schweren Weg ausreichend zu begleiten. Ein Vorschlag im Report ist etwa eine einheitliche EU-Politik zur Digitalisierung, um die Anwendung von Software zum Beispiel beim autonomen Fahren zu regeln. In Deutschland beziehungsweise der EU würde man stattdessen weiterhin an der Überregulierung scheitern. Auch oder sogar sehr speziell im komplexen Bereich der Auto-Software. Wohl auch deshalb fahren Konzerne wie VW weiterhin eine Doppelstrategie. 60 Milliarden will man in die Entwicklung neuer Verbrenner stecken. Immerhin ein Drittel der Gesamtausgaben. Man wolle die Verbrennerautos "wettbewerbsfähig halten". An einer finalen Strategie im Bereich E-Autos wird offenbar noch gefeilt. (Alexander Amon, 25.6.2024)