Wladimir Putin war zwar nicht anwesend in Vilnius, aber trotzdem sehr präsent.
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Angesichts des dramatischen Rechtsrucks in Europa wirkt dieser Appell zunehmend verzweifelt. Doch die eindringliche Botschaft des zehnten jährlichen Russland-Forums, das im Juni in der litauischen Hauptstadt Vilnius stattfand, war einhellig: "Wir müssen die Ukraine unterstützen und Putins Regime besiegen. Es gibt keine andere Möglichkeit."

Das Forum brachte 120 Politiker, Aktivisten, Journalisten, Juristen und Akademiker zu einer Reihe von Diskussionen über Russland zusammen – in erster Linie über den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Da mehrere der Teilnehmer auf russischen Todeslisten stehen, waren die Sicherheitsvorkehrungen streng. Zu den geladenen Gästen gehörten die Witwe von Alexej Nawalny, Julija Nawalnaja, der ehemalige Oligarch und heutige Oppositionsaktivist Michail Chodorkowski, der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis, der langjährige russische Menschenrechtsaktivist Lew Ponomarjow und der Gründer und Aktivist von Pussy Riot, Pjotr Wersilow.

Schallenberg nicht dabei

Zu den weiteren Gästen gehörten schwedische und italienische Parlamentarier, Vertreter der Nato, des Europarats, der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Skandinaviens und der baltischen Staaten sowie Vertreter europäischer Thinktanks. Exilierte russische Oppositionspolitiker und unabhängige Journalisten kamen aus Paris, den USA, dem Vereinigten Königreich und der Ukraine. Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) war zwar eingeladen, nahm aber nicht teil.

Das Gefühl der Dringlichkeit unter den Konferenzteilnehmern war deutlich spürbar. Vor allem Russen und Litauer forderten den Westen auf, mehr für die Ukraine zu tun. Der ständige Refrain lautete: "Es wird nicht genug getan, und was getan wird, ist zu wenig und kommt zu spät. Es gibt nicht genug militärische Hilfe, es gibt nicht genug Sanktionen, und es gibt nicht genug Unterstützung für Putins Gegner im Exil. Der Schlüssel, um den Krieg zu gewinnen, liegt darin, den Kreislauf des Zu-spät-Kommens zu durchbrechen." Die Gespräche fanden nach den Chatham-House-Regeln statt, was bedeutet, dass nur berichtet werden kann, "wer anwesend war und was gesagt wurde, aber nicht, wer was gesagt hat".

"Putin hasst den Westen"

Für äußerst besorgniserregend wurde befunden, "dass der Westen Putin unterschätzt". Der russische Staatschef sei "auf einen langen Krieg vorbereitet und kümmert sich nicht um sein Volk oder darum, wie viele Menschen sterben". Die Botschaft eines russischen Oppositionspolitikers war eindeutig: "Putin hasst den Westen, und je mehr er ihn als schwach ansieht, desto mehr wird er weiter kämpfen. Seine Mission ist, den Westen zu vernichten. Sein System kann ohne Krieg nicht überleben. Psychologisch ist er auf einen Krieg mit der ganzen Welt vorbereitet. Wenn er in der Ukraine gewinnt, wird er noch weiter gehen. Der Westen muss sich engagieren und die Ukraine wirklich unterstützen, nicht so, wie er es jetzt tut."

Ein Akademiker eines britischen Thinktanks äußerte sich ebenso eindringlich: "Wir müssen aufhören, das zu tun, was wir jetzt tun, nämlich auf ein Unentschieden zu spielen." Ein ehemaliger litauischer Politiker betonte die Notwendigkeit, in die Veränderung Russlands von innen heraus zu investieren. "Diejenigen, die glauben, dass Russland sich wirklich ändern kann, sind in der Minderheit. Man hat Angst davor, was passieren wird, wenn Putins Regime zusammenbricht. Aber wir müssen daran glauben, dass Russland sich verändern kann, und in diesen Prozess investieren."

Litauens Vorreiterrolle

Litauen ist eine kleine und kämpferische Nation, die stolz auf ihre Geschichte der Rebellion und des Widerstands gegen die imperialistischen Ambitionen ihres östlichen Nachbarn ist. In der Gegenwart nimmt es eine Vorreiterrolle in den baltischen Staaten und in Europa ein, wenn es darum geht, sich gegen Putin zu stellen.

Ein US-Beamter sprach von der "Notwendigkeit, der russischen Aggression gemeinsam entgegenzutreten, indem man ihre diplomatische Isolierung sicherstellt", sowie von den Herausforderungen bei der Erörterung wichtiger Fragen mit Russland. "Die USA nehmen die Gefahr einer nuklearen Eskalation sehr ernst, und dies ist einer der Gründe für unsere Überlegungen. Wir sind bereit, mit Russland über Rüstungskontrolle zu sprechen, aber wir werden immer wieder abgewiesen."

Kritik am Westen

Am Rande des Forums erklärte John Lough vom Russland-Eurasien-Programm des Londoner Chatham House gegenüber dem STANDARD, dass der Westen nicht genug tue. "Wenn er den Ukrainern nicht das gibt, was sie brauchen, lädt er die russische Seite zur Eskalation ein. Die USA und Deutschland glauben immer noch, dass beide Seiten an den Verhandlungstisch kommen werden. Für sie wäre dies ein 'Sieg'."

Unter den Einwohnern von Vilnius ist die Meinung mitunter eine andere. Ein ehemaliger Ingenieur in seinen 60ern, der jetzt Brot in der Markthalle von Vilnius verkauft, ist unzufrieden mit der Haltung seiner Regierung gegenüber Russland: "Unsere Regierung provoziert Russland. Wenn Putin einmarschiert, wird die Führung das Land verlassen, und was wird dann mit uns, den einfachen Leuten, geschehen? Die Grenze zu Belarus ist nur 30 Kilometer entfernt. Wenn Putin will, können Panzer in fünf Stunden hier sein. Unsere Regierung glaubt, dass die USA uns retten werden, aber wie? Sie sind weit weg. Die Juden haben ein Sprichwort: Ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Krieg."

Mehr Mut

Trotz seiner Kritik an den bisherigen zögerlichen Reaktionen des Westens sieht John Lough eine gewisse Bewegung. Angesichts des möglichen Falls von Charkiw seien die westlichen Länder mutiger geworden und hätten den Einsatz von Waffen gegen Ziele jenseits der Grenze zugelassen. Aber erst nach dem Verlust von Menschenleben in der Zivilbevölkerung und immensen Schäden an der kritischen Infrastruktur sei dieser Punkt erreicht. Lough glaubt, dass nur "die Aussicht auf eine militärische Niederlage" Putin dazu bringen würde, seine Mission aufzugeben und die besetzten Gebiete an die Ukraine zurückzugeben. (Kate Manchester, 24.6.2024)