Wollen bis zum Wahltermin am 29. September Regierungspartner bleiben: Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
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Seit einer Woche ist in der türkis-grünen Regierung nichts mehr, wie es einmal war. Nachdem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Montag vor einer Woche der Renaturierungsverordnung der EU ihre Zustimmung erteilt hatte – und zwar gegen den expliziten Willen der ÖVP –, stand die Koalition auf der Kippe. Doch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte sich trotz emotionaler Gelüste dagegen entschieden, die Koalitionsehe aufzukündigen – aus staatspolitischer Verantwortung, wie er sagt.

Stattdessen folgten eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Gewessler und eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof. Die Fronten waren bis vor wenigen Tagen derart verhärtet, dass man sich vergangenen Mittwoch nicht einmal mehr zum wöchentlichen Ministerrat persönlich zusammensetzen wollte. Noch am Wochenende hagelte es Unfreundlichkeiten aus der türkisen Parteizentrale gegen die grüne Parteispitze, auch in Interviews teilte die Volkspartei gegen den Koalitionspartner aus.

Ein Ende dieser Partnerschaft ist jedenfalls absehbar, und zwar deshalb, weil es in drei Monaten wahlbedingt besiegelt ist. Eine künftige Zusammenarbeit hält bei ÖVP und Grünen eigentlich kaum jemand für realistisch oder wünschenswert.

Neue Woche, neues Glück?

Und dennoch: Langsam will man wieder zu einem Modus Operandi zurückfinden, wird auf beiden Seiten betont. Neue Woche, neues Glück also? Man will es zumindest versuchen. Zwar wird die Stimmung in der Koalition von vielen als "eisig" bezeichnet, trotzdem sei man aber bestrebt, sich zusammenzuraufen – nicht zuletzt deshalb, um bis zur Wahl am 29. September noch die notwendigsten und in Aussicht genommenen Beschlüsse und Vorhaben durchzubringen.

Eine Sprecherin von Klubobmann August Wöginger (ÖVP) verweist im STANDARD-Gespräch auf die etwa 50 Gesetzesvorhaben, die allein kommende Woche im Nationalrat – den letzten Sitzungstagen vor der Sommerpause – beschlossen werden sollen. Als Beleg dafür, dass man weiterhin konstruktiv weiterarbeiten will und dazu auch in der Lage ist, führt man bei ÖVP und Grünen auch die fortlaufende Arbeit in den Ausschüssen an, die vergangene Woche getagt hatten und die auch in dieser Woche in gewohnter Manier ablaufen werden.

Ganz ähnlich klingt das von Wögingers Konterpart, der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer. "Die Koalition arbeitet konstruktiv weiter, nach einem regulären Ministerrat morgen mit drei dicht gefüllten Plenartagen", sagt Maurer zum STANDARD. "Ungeachtet des öffentlichen Getöses halten wir unser Versprechen und arbeiten bis zum Schluss", beteuert sie.

Ministerrat wieder in Präsenz

Zum nächsten Ministerrat wollen ÖVP und Grüne am Mittwoch wieder persönlich zusammenkommen. Wenngleich einer hier bestimmt fehlen wird: Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler (Grüne) reiste nämlich am Montag für drei Tage nach Berlin, wo Österreich am Dienstag um den Aufstieg ins Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft kämpfen wird. Ein Sprecher Koglers betont in diesem Zusammenhang, dass die Reise bereits vor Monaten fixiert worden sei, Kogler dem Ministerrat also nicht aufgrund der jüngsten Ereignisse fernbleiben würde. Ansonsten dürften dem Vernehmen nach aber alle Regierungsmitglieder an diesem wöchentlichen Fixtermin teilnehmen.

Welche Themen am Mittwoch im Ministerrat auf der Tagesordnung stehen werden, war am Montag offiziell noch nicht in Erfahrung zu bringen – das ist allerdings nicht unüblich, für gewöhnlich stehen die inhaltlichen Beschlüsse tatsächlich erst am Dienstag oder Mittwoch fest. Die Koordinierungssitzung dazu findet erst am Dienstag statt.

Spitzenjobs für Nationalbank

STANDARD-Informationen zufolge soll unter anderem die Besetzung der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) ein Thema im Ministerrat werden. Der Generalrat der OeNB tagte jedenfalls am Montagnachmittag, und dabei soll es um die Personalliste für das neue Direktorium gegangen sein. Eine Liste, die man der Regierung als Vorschlag übermittelt, an den diese aber nicht gebunden ist. Die derzeitige Funktionsperiode läuft zwar noch bis 2025, man hatte sich dem Vernehmen nach aber wegen der Nationalratswahl im Herbst schon jetzt auf die Suche nach Nachfolgern gemacht.

Zuletzt wurde Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) als neuer Gouverneur gehandelt, der "einfache Direktor" Thomas Steiner für die Bankenaufsicht in der OeNB zuständig werden.

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) wird als neuer OeNB-Gouverneur gehandelt.
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ÖVP und Grüne betonen jedenfalls, dass im Ministerrat am Mittwoch wieder mit inhaltlichen Beschlüssen zu rechnen ist – und nicht nur mit Berichten und Resolutionen wie in der Vorwoche. Die ÖVP befindet sich am Montag und Dienstag übrigens noch auf einer Klubklausur in St. Wolfgang, an der auch sämtliche ihrer Regierungsmitglieder teilnehmen.

Ein kleiner Stimmungsbericht, den ein Abgeordneter dem STANDARD von dort übermittelte, zeigt, dass zwar "große Verärgerung" herrsche über den "Rechtsbruch" der Klimaministerin, man sich aber auch einig darüber ist: "Wir stehen weiter zur Regierungszusammenarbeit."

Abgrenzen und Profil schärfen

Dass die Koalition nun bis zur Wahl ohne weitere Scharmützel, Unfreundlichkeiten und Unstimmigkeiten auskommen wird, darf aber bezweifelt werden. "Es ist Wahlkampf, natürlich werden wir uns weiter voneinander abgrenzen und unser Profil schärfen", bringt es ein grüner Funktionär nüchtern auf den Punkt.

Und auch in der türkisen Parteizentrale hat man nicht vor, nun auf Kuschelkurs mit den Grünen zu gehen, sondern entsprechend Position zu beziehen und scharf zu schießen, "wenn es der Anlass gebietet" – der Koalitionspartner also aus türkiser Sicht Grund dafür liefert, heißt es. Und einen solchen sieht man jedenfalls nicht erst dann gegeben, wenn das Abstimmungsverhalten einer Ministerin oder eines Ministers auf EU-Ebene nicht den Wünschen der ÖVP entspricht. (Sandra Schieder, Colette M. Schmidt, 24.6.2024)