„Law & Order“: Steven Hill, Angle Harmon, Jerry Orbach, Sam Waterston, Benjamin Bratt, S. Epatha Merkerson.
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Ich war bis dahin noch niemals in New York. Es war eine ziemlich aufregende Reise, auf die mich dann Law & Order mitgenommen hat. Ich hatte als Rookie im Journalismus nicht allzu viel Interesse an Krimi-Drama-Serien. Doch dann kam Law & Order. Vor allem Staatsanwalt Jack McCoy (Sam Waterston) veränderte im Lauf der Staffeln meine Interessen. Nachhaltig.

"Das Rechtssystem kennt zwei wichtige, voneinander unabhängige Behörden, die dem Schutz der Bürger dienen: die Polizei, die begangene Straftaten aufklärt, und die Staatsanwaltschaft, die die Täter anklagt. Dies sind ihre Geschichten." Noch zweimal tam, tam, und schon war ich auf den Straßen New Yorks mit verschiedenen Detectives, am liebsten mit Lennie Briscoe (Jerry Orbach) und Ed Green (Jesse L. Martin) oder davor mit Mike Logan (Chris Noth).

So hatte ich mir das vorgestellt: das ziemlich abgerockte Polizeirevier mit einer Menge Zettelwerk und Papiertürmen nebst Kaffeemaschine mit der Leiterin Lieutenant Anita Van Buren (Sharon Epatha Merkerson) einerseits. Die holzgetäfelten Büros der Staatsanwaltschaft mit ihren immer verfügbaren Whiskeyschwenkern, der Truppe der Juristen im feinen Tuche und ihrer politischen Positionierung unter dem Bezirksstaatsanwalt andererseits. Natürlich die jungen, aufstiegswilligen, makellos schönen Staatsanwältinnen, die McCoy assistieren. All die Karrieristen. All das "echte" Leben im Revier.

Großartige Plädoyers

Alle arbeiten sie Tag und Nacht. Was die Detectives zutage fördern, die Staatsanwaltschaft in Anklagen gießt, das landet dann im Gerichtssaal. Dort amtieren meist kauzige, meist ältere Richterinnen und Richter. McCoy hält dort die großartigsten Plädoyers. Immer spielt es sich ab an der Bruchlinie von Milieus, Ethnien, es dominieren die eigentlich immer unaufgelösten Widersprüche zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen Privilegien und Emanzipation, zwischen Klassen- und Rassenschranken. Es wurde alles serviert in den Staffeln der 90er- und frühen 2000er-Jahre: Hassverbrechen. HIV, Aids. Missbrauch. Vergewaltigung. White Supremacy. Drogen. Einwanderer und ihr geplatzter Traum vom besseren Leben. Elend. Vernachlässigte, gequälte Kinder. Hoffnungslose Existenzen. Korrupte Bauunternehmer. Väter, die ihre Schwiegertöchter schwängern. Die Todesstrafe. Die Rolle, die Behandlung und die Verfasstheit von Veteranen.

Gelöst wurden die vielen Fragen, ob mit oder ohne eindeutige Geschworenenentscheidung, oft nicht zweifelsfrei zufriedenstellend. Immer waren die vielen Hundert Episoden ein Schlaglicht auf gesellschaftliche Entwicklungen, Schieflagen, darauf, was eben noch nicht gelöst ist. So richtig eindeutig war Gut und Böse auch nicht zuzuordnen. Tendenziell erwies sich allerdings Reich und Mächtig als böse. Die Verbrechen hatten ihre sichtbar gemachten Wurzeln – in der Gesellschaft, in individuell erlittenen schlechten Karten. Aber es gab nie die finale Erlösung, immer blieb es ein Ausschnitt aus dem Prozess jahrelanger, rumpeliger Verbesserung von gesellschaftlichen Schieflagen. Stoff zum Nachdenken statt Unterhaltung zum Schnell-wieder-Vergessen.

Schon damals fand ich toll, dass ich als Zuseherin nie klüger oder weiter war als die Detectives und dass ich auf der Straße und im Gericht live dabei war. Keine Rückblenden, keine Sprünge, kein Tschingbum. Klassische Dramaturgie in einer Einheit von Zeit, Ort, Handlung. Privates kommt in Law & Order kaum vor, wenn, dann nur um zu verstehen, wie sie wurden, was sie sind. McCoy, der Unerbittliche, etwa durch die eiserne Hand des Vaters, wie er einmal betrunken beim Darts-Spiel verrät. Oder der lebensweise, zynische Detective Briscoe, das alte Ross mit seinen Scheidungen.

Wiedergesehen nach all den Jahren habe ich meine alte Fankarte gleich mehrmals gestempelt. Vor allem die Anfang der 2000er-Jahre gedrehten Folgen catchen mich. Nahezu prophetisch, vor Jahrzehnten Fälle aufzurollen, die sich etwa mit den Konsequenzen der Stammzellenforschung beschäftigen oder mit der Frage, wer über eingefrorene Eizellen verfügen darf, lange bevor Social Freezing Thema war. Oder darüber zu verhandeln, ob Kinder eingesperrt werden sollten. Ziemlich aktuelle Fragen aus heutiger Sicht. Es wurden Schwurbler und Verschwörungstheoretiker vorgeführt, die Joghurt gegen HIV empfehlen, das Virus als Strategie zur Reduktion der Weltbevölkerung qualifizieren. Kommt uns aktuell auch irgendwie bekannt vor ...

Law & Order (Revival) S3 | Official trailer | SkyShowtime
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Ach und dann sagt McCoy einmal: "Vielleicht sollten wir Roboter engagieren, um Strafprozesse zu führen und das Menschliche auszuschalten." Von KI konnte er ja wirklich noch nichts gewusst haben. So viele Episoden der frühen 2000er-Jahre sind ein Schubs auf eine gesellschaftliche Diskursplattform, auf der wir heute noch verhandeln.

Aus heutiger Sicht nicht weniger prophetisch, dass im aufstrebenden Internetzeitalter verhandelt wird, ob und welchen Einfluss Videospiele auf tatsächliches Gewaltverhalten haben, wie ein in der Schule herumgeschicktes Handyfoto zu Mord führen und das Leben von jungen Menschen ruinieren könnte. Wie mächtig Hass im Netz werden kann – hatte sich das damals schon abgezeichnet? Ob es denn möglich sei, dass Bisexuelle Rechte haben, wurde jedenfalls noch heiß diskutiert.

Ethik wird debattiert

Wohlwollend bewerte ich heute die schablonenhafte Milieutrennung, ein bisserl Schwarz-Weiß-Malerei, okay. Der lange Fluss des ewig gleichen Settings, in dem sich die Tragödien aufspannen. Tja, bleibt noch der durchgängige Aspekt der reichlichen Aufladung mit Gerechtigkeit im Sinne einer Vergeltung. Hat mich das damals auch schon so gestört? Obwohl: Die Zustände in der Haft und die Folgen von Inhaftierung haben ja ihren Raum. Die Todesstrafe ist Streitthema. Ethische Aspekte sind immer die Frage.

Nicht ganz hellsichtig war Dick Wolf als Mastermind und Executive Producer in den 1990 bis 2010 produzierten Staffeln bei Umweltverbrechen und der sich anbahnenden Klima- und Ressourcenkrise. Das kommt eigentlich nur am Rande vor, und die großen Fragen von heute werden im Gegensatz zu so vielen anderen Themen, an denen wir immer noch arbeiten, die wir immer noch – auch nach #MeToo – lösen müssen, nicht wirklich aufgeworfen. Frauenkarrieren sind hier noch ziemlich problematisch. Gleichstellung wird so nicht thematisiert. Dass die jungen, karriereeifrigen Staatsanwältinnen relativ unhinterfragt "outmale the males" betreiben, steht auch nicht zur Debatte. Weibliche Identifikationsfiguren zu schaffen war offensichtlich nicht Priorität, auch wenn Afroamerikanerin Anita Van Buren als Lieutenant das Zeug dazu hat. Möge es als Zeitdokument so stehen bleiben und bescheinigen, dass sich etwas getan hat. Eigentlich sind es kleine Abstriche bei dieser vielfach ausgezeichneten Krimi-Drama-Serie und ihren vielen Ablegern nach diesen Jahrzehnten, von Special Victims Unit bis zu Criminal Intent. Es funktioniert noch immer. Kein Wunder, dass Staffel 24 (angeblich) in Arbeit ist und die guten, alten Staffeln auf vielen Sendern on the loop weiterlaufen. (Karin Bauer, 29.6.2024)