Wien – Martin Thür statt Susanne Schnabl und Traunsee statt Parlament. Während im vergangenen Jahr ein Kammerl als Location für die Sommergespräche diente, geht es heuer malerischer über die Bühne. ZiB 2-Moderator Martin Thür empfängt ab 5. August die Parteichefin und die Parteichefs am Fuße des Traunsteins, um ihnen wenige Wochen vor der Nationalratswahl auf den Zahn zu fühlen.

Martin Thür führt heuer die ORF-"Sommergespräche".
Heribert Corn

STANDARD: Sie moderieren heuer erstmals die Sommergespräche. War es eine leichte Entscheidung, Ja zu sagen und sich damit den Sommer mit sehr viel Arbeit zu versauen?

Thür: Na ja, versauen hoffentlich nicht. (lacht) Ich wurde ja bereits 2019 gefragt, ob ich sie moderieren möchte, als ich zum ORF gekommen bin. Damals habe ich Nein gesagt, weil es als Moderator wichtig ist, dass man bereits seine Stimme gefunden hat und mich das Publikum kennt. Das muss zusammenwachsen und braucht Zeit, zumindest bei mir ist das so. Jetzt, nach fünf Jahren im ORF, ist es ein guter Zeitpunkt, meine Version der Sommergespräche zu zeigen.

STANDARD: Welche Version wird man von Ihnen sehen? Eine Kopie der ZiB 2-Interviews?

Thür: Nein, es ist ein Gespräch, obwohl man sich nicht der Illusion hingeben darf, dass es nur ein zurückgelehntes, prinzipielles Gespräch über Themen wird. Das wollen die Politiker nicht zu diesem Zeitpunkt. Mein Job ist es, die Dinge anzusprechen, die wehtun und wo es der Bevölkerung wehtut. Wir haben wahnsinnig viele Krisen, die uns im Alltag beschäftigen und das Leben beeinflussen. Hier müssen wir über Konzepte und Verantwortungen reden. Wichtig ist es auch, in die Zukunft zu blicken. Wir stehen vor einer der schwierigsten Regierungsbildungen, die das Land je gesehen hat. Auch das wird Thema sein.

"Wir haben keine Pyrotechnik und keine Showtreppe, sondern es wird ein Gespräch bleiben."

STANDARD: Im vergangenen Jahr hat Susanne Schnabl die Sommergespräche in einem kleinen Kammerl im Parlament moderiert. Wird es heuer ein pompöseres Ambiente?

Thür: Das Schöne an den Sommergesprächen ist, dass es jedes Jahr anders ist. Heuer haben wir einen wunderschönen Drehort am Fuße des Traunsteins mit Blick auf den Traunsee. Wir möchten bewusst raus aus Wien kommen, geografisch gesehen sind wir beim Mittelpunkt Österreichs. Was ist schon pompös? Wir haben keine Pyrotechnik und keine Showtreppe, sondern es wird ein Gespräch bleiben. Der Ort ist wahnsinnig schön, und wir wollen weg von den immergleichen Debatten. Wir hoffen, dass sich die Wahl des Ortes auch auf die Gespräche übersetzt und wir von den Wahlkampfreden wegkommen, die die Politiker ausarbeiten. Wir sind mit diesen Sommergesprächen ja mitten im Wahlkampf.

Martin Thür im Interview.
Martin Thür im Interview.
Heribert Corn

STANDARD: Wie haben Ihnen die Sommergespräche im vergangenen Jahr gefallen, als die Reduktion das Interview selbst noch mehr in den Fokus rücken sollte?

Thür: Ich fand es großartig. Das zeichnet die Sommergespräche aus. Es ist jedes Mal Reibung da, man diskutiert darüber und stößt Debatten an. Und die Interviews, die Susanne Schnabl macht, sind sowieso fantastisch. Ich finde es schön, dass der ORF ein Format hat, bei dem er jedes Jahr andere, manchmal auch mutige Wege geht. Das ist doch etwas Schönes.

STANDARD: Hat es auch einen Matchcharakter, ob der Politiker oder der Journalist besser aussteigt?

Thür: Nein, auch wenn das bei der ZiB 2 öfter so dargestellt wird. Mein Job ist es, darauf zu drängen, dass Fragen beantwortet werden und dass Themen, über die Politiker nicht reden wollen, angesprochen werden. Es soll kein Match sein, wo einer gewinnt, sondern im besten Fall gewinnen die Zuseher, weil sie besser verstehen, wie alles funktioniert.

STANDARD: Ein harter Brocken ist sicher FPÖ-Chef Herbert Kickl, den Sie Anfang des Jahres zu Gast in der ZiB 2 hatten und der das Interview mit ständigen Unterbrechungen und Gegenfragen zerstören wollte. Fanden Sie das Interview gelungen?

Thür: Ich finde praktisch kein Interview gelungen. Und ich habe aus diesem Interview viel gelernt.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Thür: Das werden wir vielleicht sehen. (lacht)

"Gut möglich, dass manche Politiker versuchen, ein Match mit dem Journalisten zu inszenieren, um ihrer Anhängerschaft zu gefallen, aber darauf muss ich ja nicht reagieren."

STANDARD: Herbert Kickl nutzt seine Interviews gerne, um selbst Kritik zu formulieren – etwa am ORF, das wird sicher wieder der Fall sein. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Thür: Indem man bei seinen eigenen Themen bleibt. Nicht ich bin der Interviewpartner, und nicht die Fragen zum ORF sind relevant, sondern jene zur Politik sind für die Menschen relevant, und über die werden wir sprechen. Gut möglich, dass manche Politiker versuchen, ein Match mit dem Journalisten zu inszenieren, um ihrer Anhängerschaft zu gefallen, aber darauf muss ich ja nicht reagieren. Im Fokus stehen meine Themen, die ich ansprechen möchte.

STANDARD: Hat Ihnen eigentlich SPÖ-Chef Andreas Babler jemals dafür gedankt, dass Sie die Wahlpanne bemerkt hatten, die Hans Peter Doskozil den SPÖ-Vorsitz gekostet hat?

Thür: Nein, dafür besteht kein Anlass, ich habe einfach meine Arbeit gemacht und an diesem Samstag nachgerechnet und mich gefragt, wie kommt das zustande, und dann Fragen gestellt. So mache ich das bei vielen Themen. Dass das in diesem Fall solche enormen Ausmaße hat, damit hätte ich nicht gerechnet. Ich dachte, da fehlt eine Stimme, und das kann man irgendwie erklären. Dass man das nicht konnte und alles völliger Humbug war, das hätte ich nicht ahnen können. Ich habe meinen Job gemacht, dafür muss mir niemand danken.

STANDARD: Im Nachhinein gesehen ist das immer noch schwer zu glauben.

Thür: Das ist eine völlig verrückte Geschichte, und ich finde sie so wahnsinnig toll, weil niemand zu Schaden gekommen ist – außer vielleicht Hans Peter Doskozil – oder sein Geld verloren hat. Am Ende des Tages können alle darüber lachen, und es ist eine Geschichte, die man sich merkt. Schön, dass es solche Sachen auch gibt. Gerade in unserem Job, wo wir in jeder Nachrichtensendung darüber berichten müssen, dass Menschen zu Schaden kommen.

Sommergespräche 2024 mit Martin Thür
ORF Presse

STANDARD: FPÖ-Stiftungsrat Peter Westenthaler lässt keine Gelegenheit aus, um gegen den ORF und die ORF-JournalistInnen zu wettern. Lässt Sie das kalt, und wie gehen Sie damit um?

Thür: Indem ich meine Arbeit sauber mache. Es gibt nur eine Antwort auf Kritik, indem man seine Arbeit so gut und so korrekt wie möglich macht, dann geht diese Kritik ins Leere. Die FPÖ ist aber nicht die einzige Partei, die Journalistinnen und Journalisten angreift und als parteipolitisch motiviert punziert. Das greift um sich. Wenn man faktentreu berichtet, kann die Politik sagen, was sie will. Die Fakten sind die Fakten, fertig.

STANDARD: Nehmen diese Angriffe zu?

Thür: Es wird generell mehr. Wenn die Politik versucht, Journalismus in die parteipolitische Arena reinzuziehen und ihn zu punzieren, macht sie das, um die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. Das kann man als das benennen, was es ist: ein politisches Mobilisierungsmittel.

"Mein Job ist es, sauberen Journalismus zu machen und keine Angriffspunkte zu liefern, dass man uns unterstellen könnte, parteipolitisch motiviert zu arbeiten."

STANDARD: Sie haben immer wieder kritisiert, dass die ORF-Gremien parteipolitisch besetzt sind. Eine Entpolitisierung wird in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr gelingen, auch nicht nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Schade?

Thür: Selbstverständlich. Die ORF-Redaktion fordert seit vielen Jahren, dazu gibt es zahlreiche Aussendungen, dass in ein Aufsichtsgremium eines so großen und wichtigen Unternehmens Expertinnen und Experten gehören, die eine Ahnung von Medien haben und davon, was wir hier den ganzen Tag tun. Und nicht Leute, die sich die Politik aussucht. Mein Job ist es, sauberen Journalismus zu machen und keine Angriffspunkte zu liefern, dass man uns unterstellen könnte, parteipolitisch motiviert zu arbeiten.

STANDARD: Sie sind 2019 unter ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz zum ORF gekommen, jetzt ist Roland Weißmann ORF-Chef. Hat sich durch den Wechsel etwas geändert?

Thür: Nein, man hat davor nicht in unsere Geschichten interveniert und tut das jetzt auch nicht. Ulla Kramar-Schmid etwa und ich berichten über Dinge, die politisch höchst brisant sind, aber all das geht und ist kein Thema. Ich bin seit fünf Jahren im ORF und habe nicht den Eindruck, dass jemand versucht, Geschichten von uns abzudrehen.

STANDARD: Ihr Name taucht mehrfach in den Chats der FPÖ-Chatgruppe zum ORF auf. Ex-Stiftungsrat Norbert Steger schrieb etwa 2018, dass Sie als ORF-Moderator verhindert werden sollten, denn: "Freund ist der nicht." Wie gehen Sie mit so etwas um? Ist das eine Ehre?

Thür: Nein, das ist tatsächlich irrelevant, weil du als öffentliche Person immer damit leben musst, dass Menschen dir Dinge zuschreiben, ob das stimmt oder nicht, aber ich habe mich immer darum bemüht, saubere Arbeit zu leisten. Und der Chat zeigt ja gut, dass das nicht erfolgreich war, denn ich sitze ja hier.

"Ich habe 18 Jahre in der Privatwirtschaft gearbeitet und mache mir keine Sorgen, dass ich keine Jobs mehr finde."

STANDARD: Werden Sie auch noch hier sitzen, wenn die FPÖ die Wahl gewinnt und als Kanzlerpartei den ORF auf einen "Grundfunk" schrumpft, wie sie ankündigt?

Thür: Ich habe generell keine Angst um meinen Job. Ich habe 18 Jahre in der Privatwirtschaft gearbeitet und mache mir keine Sorgen, dass ich keine Jobs mehr finde. Die Belange der Geschäftsführung und diese Dinge belasten mich sehr wenig. Ich bin gestählt, weil ich aus dem Privatfernsehen komme, wo es immer die Debatte gab, wie lange man etwas noch machen kann. Der ORF muss sich adaptieren, dann wird er auch noch in 30, 40 Jahren eine hohe Relevanz haben.

STANDARD: Finden Sie die derzeitige Finanzierung des ORF über die Haushaltsabgabe richtig, oder könnte sie auch über das Budget erfolgen?

Thür: Der ORF-Redakteursrat weist zu Recht darauf hin, dass eine Finanzierung über das Budget nicht ideal wäre, weil das die Abhängigkeit von der Politik erhöhen würde. Was die ORF-Journalistinnen und -Journalisten wollen, ist eine klare Trennung zur Politik. Wir machen unseren Job, die Politik macht ihren.

STANDARD: Bekommen Sie als Gesicht des ORF die Reaktionen des Publikums jetzt noch mehr mit, weil jetzt alle – unabhängig vom Empfang – für den ORF zahlen müssen?

Thür: Bei einem ZiB 2-Interview ist es in der Regel immer so, dass es Menschen gibt, die das gut finden, und solche, die es nicht gut finden. Das führt dann manchmal dazu, dass es heißt: Warum pflaumen Sie meinen Politiker so an, und warum muss ich dafür auch noch zahlen? Diesen Konflikt wirst du nicht wegbekommen. Ich möchte alle Interviews möglichst gleich, kritisch und kontrovers führen.

Martin Thür moderiert seit 2019 die
Martin Thür moderiert seit 2019 die "ZiB 2".
Heribert Corn

STANDARD: Der ORF muss jetzt einmal pro Jahr einen Transparenzbericht veröffentlichen und die Namen jener Mitarbeitenden publik machen, die mehr als 175.000 Euro brutto pro Jahr verdienen. Werden wir Ihren Namen im kommenden Jahr auf der Liste finden?

Thür: Leider nein. (lacht) Der Bericht ist bereits öffentlich, aber auch im nächsten Jahr wird mein Name nicht dort zu finden sein. Ich bin erst seit fünf Jahren hier, und jene, die zur jüngeren Generation im ORF gehören, sind Teil eines neuen Kollektivvertrags, der Marktverhältnisse abbildet, um das jetzt positiv zu formulieren. Und die Marktverhältnisse sind, dass man weit nicht mehr so gut verdient im Journalismus wie früher. Das war bei Zeitungen auch so, wo es 15 Monatsgehälter gab. Die Zeiten sind in Print vorbei und auch im ORF. Es gibt Menschen mit älteren Verträgen, da bin ich leider weit davon entfernt. (lacht)

"Jemand, der solche Summen verdient, kann das in aller Regel gut rechtfertigen, dann ist das auch kein Problem. Kann man es nicht rechtfertigen, wird man darüber diskutieren."

STANDARD: Kommt da Neid auf?

Thür: Nein, gar nicht. Ich finde diese Liste tatsächlich super, weil das ein großer Schritt in Richtung mehr Transparenz von Unternehmen im öffentlichen Bereich ist. Ich beschäftige mich viel mit Auskunftspflichtverfahren und sehe ganz gute Chancen, sollte es vor Gericht halten, dass wir das auch bei anderen öffentlichen Unternehmen bekommen. Und das finde ich gut. Jemand, der solche Summen verdient, kann das in aller Regel gut rechtfertigen, dann ist das auch kein Problem. Kann man es nicht rechtfertigen, wird man darüber diskutieren.

STANDARD: Diese Transparenz sollte nicht nur den ORF betreffen?

Thür: Genau. Transparenz finde ich immer wichtig und kämpfe auch sehr dafür. Erst unlängst haben wir die Liste zu den Corona-Hilfen eingeklagt und recht bekommen. Wir haben groß darüber berichtet, wer die Kurzarbeitshilfen erhalten hat. Öffentliche Unternehmen, die Rechnungshof-geprüft sind, müssen mehr Transparenz haben. Aber das betrifft natürlich auch den ORF. Er muss transparenter sein als in der Vergangenheit, das finde ich völlig richtig.

STANDARD: Viele kritisieren, dass öffentliche Gehälter die Neiddebatte entfachen.

Thür: Das sehe ich gar nicht so. Ich finde das Argument "Neiddebatte" immer schwierig. Jemand, der Förderungen oder Löhne aus unseren Steuern bekommt, der muss das rechtfertigen können. Wir alle sagen, dass die Corona-Förderungen richtig waren, um durch diese schwierige Zeit zu kommen, man muss aber im Nachhinein darüber diskutieren können, ob sie richtig aufgesetzt und zielgerichtet waren. Auch der ORF muss sich dieser Transparenz stellen. (Oliver Mark, 26.6.2024)