Ronaldo ist beliebt. Neben den Vorkommnissen beim Match gegen Türkei stürmten auch beim Training der Portugiesen Selfiejäger den Platz.
AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Dortmund – Über Cristiano Ronaldos Charakter als Fußballer kann man geteilter Meinung sein. So wollen die einen seine Vorlage für Kollege Bruno Fernandes vor dem Tor zum 3:0-Endstand für Portugal gegen die Türkei am Samstagabend als schönen Beweis dafür sehen, wie edel gereift der Torjäger mit seinen 39 Jahren nicht sei.

Andere – ORF-Experte Roman Mählich zum Beispiel – brachten die Erklärungsvariante ins Spiel, dass Ronaldo den Ball in höchst aussichtsreicher Schussposition nur abgegeben hat, weil er mit einer Aberkennung des zu erzielenden Tores wegen Abseits gerechnet hat und sich angesichts dieser günstigen Gelegenheit einfach einen schlanken Fuß machen wollte.

Es wäre noch eine dritte Erklärungsvariante denkbar: Ronaldo wurde mit der Vorlage zum Assistrekordler bei Europameisterschaften (acht Vorlagen). Hätte er selbst genetzt, wäre nur sein eigener Rekord (14 Tore bisher) verbessert worden. Zudem gibt es im Turnier in Deutschland noch zumindest zwei Gelegenheiten für Ronaldo, zum ältesten Torschützen bei einer Europameisterschaft zu avancieren.

Allerdings ist den Portugiesen in der Verfassung, die sie gegen die Türkei zeigten, auch noch viel mehr zuzutrauen – nicht zuletzt wegen Ronaldos Ehrgeiz.

Lehrbeispiel

Selbstredend hielt Portugals Teamchef Roberto Martinez die für seinen Superstar günstigste Auslegung als einzig mögliche. Ich glaube, wir haben heute etwas ganz Besonderes gesehen", sagte der Spanier, "ein großartiger Stürmer geht auf den Torwart zu und sucht nach einem Assist. Was für ein großartiges Beispiel!" Die Szene solle "in den Akademien in ganz Portugal gezeigt werden, diese Selbstlosigkeit – die Tatsache, dass es immer um das Team geht." Ronaldos Aktion zeige, "was es für uns bedeutet, Spiele zu gewinnen – mehr als nur Tore zu schießen", sagte Schütze Fernandes.

Dass es, wenn Portugal spielt, fast immer in erster Linie um Ronaldo geht, bewiesen dagegen die zahlreichen Versuche, während des Spiels gegen die Türkei zu einem Selfie mit dem fünfmaligen Weltfußballer zu kommen. Beim ersten Wagemutigen lächelte Ronaldo noch freundlich in die Handykamera und bescherte einem Buben einen gewiss unvergesslichen Moment. Doch dann hatte der Superstar bald genug vom Trubel.

Fünf weitere Selfiejäger stürmten in Dortmund noch auf das Feld, CR7 reagierte zunehmend genervt. Die Ordner bildeten zwar noch während des Spiels vor den Tribünen enge Ketten, konnten die stürmischen Fans aber nicht aufhalten. Mit kuriosen Folgen: Nach dem Schlusspfiff wich ein eigens abgestellter Ordner "Fotomodel" Ronaldo nicht mehr von der Seite.

Trainer Martinez richtete daher nach dem ab der 70. Minute mehrmals unterbrochenen Spiel eine Botschaft an die Fans "Es ist nicht der richtige Weg, ihr habt nichts davon. Das sorgt dafür, dass es in der Zukunft schwieriger wird."

Sicherheitsvorkehrungen

Die europäische Fußballunion Uefa kündigte am Sonntag als Reaktion stärkere Vorkehrungen in den Stadien an. Das Betreten des Spielfelds stellt laut Uefa schließlich einen Verstoß gegen die Stadionordnung dar und führt zu einem Stadionverweis, einem Ausschluss von allen Turnierspielen und zu einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Prekärer noch ist die Situation im portugiesischen Teamquartier bei Marienfeld, das ständig regelrecht belagert wird.

Ronaldos Nebenmann Bernardo Silva ist allerdings eher genervt als besorgt. "Das ist wohl der Preis, den du zahlen musst, wenn du so anerkannt bist in der Welt des Fußballs – und der Preis, den wir dafür zahlen müssen, einen solchen Spieler bei uns zu haben." Eine Gefahr sehe er aber nicht.

Zumal es am Samstag eher die Ordner waren, die für Gefahr sorgten – wenn auch unfreiwillig. Einer der Männer, die Ronaldo nach dem Spiel beschützen sollten, rutschte direkt vor Stürmer Goncalo Ramos aus und krachte dann mit vollem Tempo in den Spieler von Paris Saint-Germain. Nach seinem schmerzhaften Sturz rappelte sich Ramos wieder auf, warf dem Ordner einen bösen Blick zu und humpelte anschließend vom Platz. (Sigi Lützow, 23.6.2024)