Die derzeit laufende Fußball-Europameisterschaft in Deutschland hat nicht nur sportlich viel zu bieten, sie ist auch in wirtschaftlicher Hinsicht äußerst interessant. Und dazu muss man nicht einmal besonders genau hinschauen. Unübersehbar prangen zigmillionenteure Bandenwerbungen am Spielfeldrand. Sie stammen durchwegs von chinesischen Konzernen, und die Chinesen wirken, von ein paar Ausnahmen abgesehen, dominant.

Sie sind zwar nicht in der Überzahl, aber prominent vertreten. Laut Veranstalterverband Uefa stammen fünf der 13 weltweiten Sponsoren der Uefa Euro 2024 aus China (siehe Infokasten unten). Die da wären: die Onlineverkaufsplattform Aliexpress samt dem dazugehörigen Zahlungsdienstleister Alipay, der TV-Hersteller Hisense, das Handyunternehmen Vivo und der E-Autobauer BYD (Build Your Dreams). Letzterer soll kurioserweise Anfang Juli von der EU mit Strafzöllen belegt werden – wegen unfairer Handelspraktiken.

Lewandowski bei der EM
Die Träume von Polen bei der EM – hier Robert Lewandowski im Spiel Frankreich gegen Polen – sind mittlerweile ausgeträumt. Jene des chinesischen Autoherstellers BYD (Build Your Dreams) hingegen sind es ganz und gar nicht.
IMAGO/Joris Verwijst

Europäische Unternehmen hingegen spielen nicht mehr die erste Geige – wohlgemerkt ist hier die Rede von einer Veranstaltung, die sich um europäischen Fußball dreht. Unter den besagten 13 weltweiten Sponsoren sind laut Uefa fünf europäische Unternehmen, also nicht mehr als chinesische: etwa der IT-Konzern Atos aus Frankreich und die deutsche Supermarktkette Lidl. Auf den Banden macht vor allem Engelbert Strauss, ein deutscher Ausrüster für Arbeitsbekleidung, auf sich aufmerksam.

Unsummen für Werbung

Wie viel Werbeengagements bei der EM genau kosten, ist Geheimsache, ebenso wie sämtliche Rahmenbedingungen der Werbedeals. Kolportiert werden Kosten von bis zu 200 Millionen Euro je Engagement. Die chinesischen Konzerne wenden höchstwahrscheinlich Unsummen auf, um potenzielle Kundschaft in Europa zu gewinnen. Europäer hingegen legen tendenziell den Rückwärtsgang ein. So hat sich der Autokonzern VW als Sponsor zurückgezogen. Grund dafür: Kosten sparen, wie das Unternehmen selbst einräumte. Ein eindrücklicheres Zeichen, woher der Wind auf dem internationalen Automarkt weht, ist kaum denkbar. VW wurde von BYD abgelöst.

"So ein Rückzug führt zwar nicht direkt zu einem Imageschaden, aber derartige Veränderungen fallen den Menschen schon auf", sagt Tim Ströbel, Professor für Marketing und Sportmanagement an der Universität Bayreuth, zum STANDARD. "Wer im Wettbewerb steht, versucht, sich auf allen möglichen Ebenen zu übertrumpfen. In dem Fall geht der Punkt an BYD." Ein anderes Beispiel: Als im Frühjahr bekannt wurde, dass die deutsche Nationalmannschaft von Adidas zu Nike wechselt, habe das auch zu sehr emotionalen Diskussionen bis in die hohe Politik geführt.

Milliardenschwere Werbeoffensive

Warum tun die Chinesen das? Die milliardenschwere Werbeoffensive fügt sich in die Geschäftsstrategie vieler chinesischer Konzerne ein: Es gilt, Marktanteile um jeden Preis zu gewinnen. Was für Billigwaren von Onlineshops à la Temu und Shein oder für billige Photovoltaikpaneele chinesischer Provenienz gilt, die gerade den internationalen Markt zupflastern – das trifft etwa auch auf BYD, Alipay und Hisense zu.

"Die tatsächlichen Effekte von solchen Werbemaßnahmen sind schwer zu messen, vor allem weil große Konzerne auch sonst sehr viel Kommunikation betreiben", erklärt Ströbel. Aber Unternehmen schaffen es auf diese Weise, ihre Marke mit positiven Emotionen des Sports oder des Events zu verbinden. Booking und Lidl beispielsweise gelinge das bei dieser EM gut. Mit anderen Unternehmen, wie etwa BYD, kämen viele Menschen so erstmals überhaupt in Kontakt. Das sei für Unternehmen dann ein Erfolg.

BYD – neue E-Autos für Europa

BYD etwa will groß nach Europa expandieren – nachdem man auf dem weltgrößten E-Automarkt China VW bereits von der Spitze verdrängt hat. In Europa plant BYD eine Fabrik im ungarischen Szeged, die nächstes Jahr eröffnen soll. Bis dahin sollen fünf Prozent der verkauften E-Automobile in Europa von BYD stammen, plant das Unternehmen. Es wäre ein rasanter Aufstieg: 2023 kamen EU-weit von rund drei Millionen verkauften E-Autos lediglich knapp 16.000 von BYD. In Österreich wurden im Vorjahr nur 1024 BYD-Fahrzeuge angemeldet. Das Ziel ist also ehrgeizig, erscheint aber trotzdem erreichbar – und publikumswirksame Werbung wie bei der EM trägt dazu bei. Der baldige EU-Strafzoll von stolzen 27,1 Prozent auf BYD-Autos dürfte dem Aufschwung dabei vorerst keinen Abbruch tun. Denn laut Unternehmensangaben sind die Lager der Händler noch bis zum dritten Quartal dieses Jahres gefüllt – und auf bereits ausgelieferte Autos fällt kein Zoll an.

Viele BYD Autos in einem Hafen vor einem Schiff
BYD will den Absatz in Europa massiv steigern – und lässt sich das einiges an Werbegeldern kosten.
VIA REUTERS/CHINA DAILY

Alipay – bezahlen wie in China

Auch Alipay, die Bezahlsparte des Onlineriesen Alibaba, drängt nach Europa. Man wolle die Erfolge auf dem Heimmarkt China "im Mittleren Osten, in Lateinamerika und Europa replizieren", sagte ein Vertreter kürzlich zum Fernsehsender CNBC. Die Expansion soll zunächst über chinesische Touristen erfolgen. Speziell an sie richtet sich Alipay+, ein Service, der darauf ausgelegt ist, mit der chinesischen Alipay-App in aller Welt wie gewohnt bezahlen zu können. Später könnte Alipay auch versuchen, den Zahlungsdienstleistermarkt in Europa aufzumischen, auf dem derzeit etwa Klarna, Apple Pay und Paypal dominieren.

Hisense – mehr Fernseher verkaufen

Hisense, ein Konzern für Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik, "baut derzeit seine Globalisierungsstrategie aus", heißt es in einer Presseaussendung von Mitte Juni. Die Partnerschaft mit der Uefa läuft aus diesem Grund bereits seit dem Jahr 2016; damals war Hisense noch der einzige Sponsor aus China. Heute wirbt der Konzern nicht nur bei der EM, sondern stattet auch das videogestützte Schiedsrichtersystem (Video-Assisted Referee, VAR), dessen Zentrale sich in Leipzig befindet, mit Geräten aus.

Schiedsrichter schaut in einen Bildschirm
Der VAR spaltet seit seiner Einführung die Geister der Fans. Das ist auch bei dieser EM nicht anders. Hisense jedenfalls dürfte es freuen, dass es ihn gibt.
REUTERS/Piroschka Van De Wouw

Auf Teufel komm raus nach Europa zu expandieren – das ist also das Credo jener Unternehmen, die viel Geld bezahlen, um im Fußball auf dem Kontinent präsent zu sein. Aber es gibt noch eine zweite Komponente: Sie wollen auch Botschaften an den chinesischen Heimmarkt senden. Rund 200 Millionen Menschen in China gelten in nationalen Statistiken als Fußballenthusiasten; die Zahl wird immer größer. Bereits im Jahr 2016 präsentierte das Regime von Präsident Xi Jinping einen Plan, bis zum Jahr 2050 zur "Fußballweltmacht" aufsteigen zu wollen. Zuvor möchte man bis 2030 fußballerisch an die Spitze Asiens aufsteigen. Zu diesem Zweck, so der Plan von 2016, sollen rund 50 Millionen junge Chinesinnen und Chinesen zum Fußballspielen motiviert und zahlreiche neue Plätze angelegt werden.

Freilich, derzeit liegt China nur auf Platz 88 der Fifa-Weltrangliste, knapp vor der Karibikinsel Curaçao (Österreich liegt auf derselben Liste auf Rang 25). Es ist noch ein weiter Weg, bis das Land auf dem Spielfeld ebenso präsent sein wird wie am Spielfeldrand. (Joseph Gepp, Andreas Danzer, 28.6.2024)