Mann im Anzug rennt durch einen Wald
Raus aus dem Hamsterrad und rein in neue Abenteuer? Millennials erleben eher eine Sinnkrise, in der sie die Welt verbessern möchten.
Getty Images

Irgendwann war bei Jonas eine Art Leere da, die er kaum zuordnen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war er 37 Jahre alt. War es vielleicht ein neues Hobby, das ihm fehlte? Er versuchte es mit einem Aquarellmalkurs, dann mit einem Backkurs, ging sogar in Streichelzoos, um sich abzulenken. "Ich hatte in meinem Leben eigentlich erreicht, was ich wollte", erzählt der Mittdreißiger, "aber es passte trotzdem nicht." Der gelernte Ingenieur vergaß die Lust am Leben, hatte das Gefühl, nichts zur Gesellschaft beizutragen.

Die Gefühle, die in Jonas hochkamen, kennen viele andere in seiner Alterskohorte oder Generation auch. Die Millennials, um die Jahrtausendwende Großgewordene, sind gerade in der Mitte ihres Lebens angekommen, zwischen 30 und 45 Jahre alt. Bei Sinnkrisen denkt man oft an Männer in ihren 50ern, die sich eine ausgefallene Frisur schneiden lassen oder plötzlich einen teuren Sportwagen kaufen. Ein Klischee.

Die Midlife-Crisis bei den jüngeren Generationen entfaltet sich teils anders: weg von Ferraris und verrückten Haarschnitten hin zu einer tiefen Sinnkrise oder finanziellen Sorgen und der Suche nach Auswegen aus einer krisengebeutelten Welt. So stellt es eine Untersuchung aus den USA des Thriving Center of Psychology dar. In einer Befragung unter 1000 Millennials wurden die Teilnehmenden gefragt, wie sie eine mögliche Midlife-Crisis verspüren.

64 Prozent gaben an, bereits durch eine Lebenskrise gegangen zu sein. Zwei von fünf erklärten, diese in 2024 gehabt zu haben. Laut der Studie korreliert diese sogenannte Millennial-Midlife-Crisis häufig mit Gefühlen wie Angst, Depressionen, der Ansicht, den Sinn im Leben verloren zu haben, Traurigkeit und einem Burnout. Allerdings gaben auch 80 Prozent der Teilnehmenden an, sich eine solche Sinnkrise nicht leisten zu können. Vor allem, weil sie Teil einer Generation sind, die zwar früh aus dem Elternhaus ausgezogen ist, aber häufiger nicht die Ressourcen hat, sich selbst zu erhalten, erklärt es in der Studie Tirrell De Gannes, klinischer Psychologe am Thriving Center of Psychology.

Weniger Einkommen, keine Zeit

Millennials haben häufig weniger Einkommen als ihre Vorgänger und seien im Gegensatz zu diesen mit den sozialen Medien älter geworden – mit Effekt auf ihre mentale Gesundheit. Einer von zehn Millennials gab an, schon im Alter von 34 Jahren eine Midlife-Crisis erlebt zu haben. Sie berichteten zum Beispiel, mehr Alkohol zu trinken, eine Therapie zu machen oder ihr Aussehen zu verändern, wie etwa einen neuen Kleidungsstil zu entwickeln.

Bei Jonas ging das letztlich ins Extreme: exzessiver Alkoholkonsum, übermäßiges Sporttreiben, unstillbares Verlangen nach sexuellen Erlebnissen. "Man testet die Grenzen in seinem Leben." Aber eigentlich führte alles nur dazu, dass er sich schlechter fühlte. Er war nur noch genervt von den Menschen um sich. "Du entfremdest dich von Freunden, bist irgendwann allein in einem Leben, in dem eigentlich alles passen sollte." Er kündigt irgendwann seinen Job, sucht sich Psychotherapie und ist eine Zeitlang arbeitslos.

"Ich wollte eine Arbeit, die für die Gesellschaft einen Mehrwert hat." Jonas wechselte in eine große Beratungsfirma, die Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz behandelt. Das Geld hatte er gut gebrauchen können, er zog aus seinem gewohnten Umfeld. Bei einem Event lernte er seine heutige Freundin kennen, fand durch sie neue Freunde. Er entschied sich, wie er erzählt, seinem Leben einen eigenen Sinn zu geben. Weg von der Suche nach einem Statussymbol, mehr hin zu Kontakten mit Menschen, die ihm ein gutes Gefühl vermitteln.

Viele Verpflichtungen

Die Generation der Jahrtausendwende rutscht also früher als ihre Eltern in eine Midlife-Crisis und sucht nach mehr Sinn? "Wir sprechen in der Wissenschaft ungern von Midlife-Crisis, eher von einer krisenanfälligen Zeit", sagt Pasqualina Perrig-Chiello, Entwicklungspsychologin und ehemalige Professorin an der Universität Bern in der Schweiz. In der Altersspanne von etwa 40 bis 50 Jahren hätten viele Menschen eine sehr intensive Zeit mit zahlreichen Aufgaben und Verpflichtungen. Viele hätten eine Sandwichposition in der Familie, würden körperliche Veränderungen spüren, auch im Job würde man mit zunehmendem Alter oft als "Problemgruppe" gelten.

"Mit der Dynamik des Arbeitsmarktes heute wird es vielleicht gar nicht solche typischen Krisen wie bei früheren Generationen geben." – Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin für Entwicklungspsychologie

Eine besondere "Millennial-Midlife-Crisis" sehe sie nicht. "Bei Personen Anfang 40 ist es noch zu früh, um über mögliche Krisen zu sprechen." Generell sei die Generation später aus dem Elternhaus ausgezogen, hätte ihre Ausbildung später abgeschlossen als ihre Eltern. "Mit der Dynamik des Arbeitsmarktes heute wird es vielleicht gar nicht solche typischen Krisen wie bei früheren geben", fügt sie hinzu. Boomer etwa seien schon früher in den Arbeitsmarkt eingestiegen, Jüngere hingegen würden heute öfter Jobs wechseln. Möglicherweise gebe es bei ihnen gar keine typische Mittfünfziger-Krise später. "Entwicklungspsychologisch macht es keinen Sinn, schon mit 35 eine Sinnkrise zu bekommen", sagt sie. Die Empirie würden ein anderes Bild zeigen.

Geprägt von Instabilität

In den sozialen Medien hat die Millennial-Midlife-Crisis längst für Diskussionen gesorgt. Lauren Cook, Psychotherapeutin mit Fokus auf Ängste von Millennials und Autorin des Buches Generation Anxiety, warnt in einem Instagram-Interview davor, die frühe Sinnkrise von Millennials zu ignorieren. Die Pandemie, die politische und ökonomische Instabilität, die Klimakrise, die immer höher werdenden Wohnkosten würden bei vielen eine Art Midlife-Crisis auslösen, in der sie nach Sicherheit und Freude im Leben streben.

Kolumnistin Amil Niazi schreibt im Magazin The Cut, die Midlife-Crisis bei älteren Millennials komme oft daher, dass sie mit etwa 40 Jahren kaum mehr Ressourcen hätten, als sie mit 30 gehabt hatten. Während Niazis Vater das Gefühl von Sinnlosigkeit mit blonder Haarfarbe bekämpfte, könnten sich Freunde der Autorin heute ihre Scheidung nicht leisten.

Suche nach Sinn

Alter und Generation können bei Lebenskrisen aber durchaus eine Rolle spielen. Das zeigt der World Happiness Report 2024 von Gallup, dem Wellbeing Research Centre und dem UN Sustainable Development Solutions Network. Demnach bewerten Generationen, die vor 1965 geboren wurden (Boomer und ihre Vorgänger), ihr Leben deutlich positiver als die nach 1980 Geborenen (Millennials und Gen Z). Innerhalb jeder Generation steigt die Bewertung ihres Lebens mit dem Alter für die älteren Generationen und sinkt mit dem Alter für die Jüngeren.

Die Lust zur Veränderung, sich neu zu erfinden, die ist aber bei vielen da – auch bei Menschen, die heute 35 sind. "Auch jüngeren Generationen müssen bereits viele Kompromisse eingehen und sich irgendwo verorten", sagt Perrig-Chiello. Und irgendwann frage man sich: Wozu eigentlich all die Kompromisse im Leben? Gefühle wie bei einer Midlife-Crisis seien sehr individuell, manche wären in der Arbeit stark unzufrieden, andere in ihrer Langzeitbeziehung unglücklich. Auch bei Jonas waren es ähnliche Faktoren. Am Schluss fragte er sich, warum er eigentlich so viele Veränderungen durchgemacht hatte. "Du suchst den einen Grund", sagt er. "Es ist aber einfach die Summe an Lebensentscheidungen, das Lernen, auch mal Nein zu sagen, und die Kontrolle über sein eigenes Leben zu übernehmen." (Melanie Raidl, 27.6.2024)