Es ist wohl Zeit, das Buch Die Schlafwandler von Christopher Clark oder andere Werke über die Ursachen des Ersten Weltkriegs wieder in die Hand zu nehmen. Auch wenn sich vieles in den vergangenen 110 Jahren verändert hat, gibt es damals wie heute geopolitische Entwicklungen, die einen Weltenbrand wahrscheinlicher machen.

Bei seinem jüngsten Staatsbesuch in Pjöngjang hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin fest an Nordkoreas Diktator Kim Jong-un gebunden.
Bei seinem jüngsten Staatsbesuch in Pjöngjang hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin fest an Nordkoreas Diktator Kim Jong-un gebunden.
AP/KCNA

Das ist in erster Linie das Entstehen fester Blöcke, die sich feindlich gegenüberstehen. Vor 1914 waren es die Mittelmächte gegen die Triple Entente. Heute bildet sich eine globale Allianz heraus, die sich gegen den von den USA geführten Westen richtet. Russland, China und der Iran, die ideologisch nicht viel gemein haben, sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine näher zusammengerückt.

Dazu kommt ein Sicherheitsabkommen zwischen Russland und Nordkorea, das Wladimir Putin bei seinem Staatsbesuch in Pjöngjang unterschrieben hat und das viel Grund zur Sorge bietet. Die Koreanische Halbinsel bleibt der gefährlichste Ort der Welt, denn das Reich von Kim Jong-un ist aufgrund seiner maroden Wirtschaft und der Attraktion des reichen Südkoreas stets vom Kollaps bedroht. Gegen ein Schicksal wie das der DDR wappnet es sich mit besonders brutaler Repression und einem wachsenden Atomarsenal. Ein Angriff auf Südkorea würde die USA vertraglich zum Eingreifen verpflichten, und nun womöglich Russland auf der anderen Seite.

Noch gibt es viele Staaten, die zwischen den Blöcken lavieren, aber Druck, sich zu entscheiden, üben beide Seiten aus – wie etwa Putins Besuch in Vietnam zeigt. Und während Russland auf eine volle Kriegswirtschaft umstellt und China sein Aufrüstungsprogramm vorantreibt, drängen die USA mit zunehmendem Erfolg ihre Verbündeten in Europa und Ostasien, ebenfalls die Verteidigungsausgaben aufzustocken.

Nun gab es auch während des Kalten Krieges zwei hochgerüstete feindliche Blöcke, aber beide waren ab den 1960er-Jahren bereit, den Status quo zu akzeptieren. Russland und China streben – wie das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm II. – heute hingegen nach Veränderung: Sie wollen die seit 1990 vom Westen dominierte Weltordnung umstürzen. Das gibt auch regionalen Konflikten viel Potenzial zur Eskalation.

Wo China provoziert

So bedroht China nicht nur das für die Weltwirtschaft so wichtige Taiwan, sondern provoziert auch die mit den USA vertraglich verbündeten Philippinen im Südchinesischen Meer, das es ohne jedes Recht für sich beansprucht. Fast wirkt es so, als würde Xi Jinping die USA in eine Intervention in seiner Nachbarschaft hineinlocken wollen.

Und je fester die Achse zwischen Moskau, Teheran und Peking wird, desto größer die Gefahr, dass auch Israels Kampf gegen die iranischen Verbündeten an seinen Grenzen globale Auswirkungen zeigt.

Unvorstellbar, aber nicht unmöglich

Der große Unterschied zu 1914 ist, dass heute die Politiker wissen müssen, wie leicht Krisen außer Kontrolle geraten können. Dazu kommen die riesigen Atomarsenale, die einen Weltkrieg so gut wie unvorstellbar machen – aber leider nicht unmöglich.

All das stellt die USA sowie die Nato unter ihrem zukünftigen neuen Generalsekretär Mark Rutte vor eine besonders schwierige Hausforderung: Sie müssen neue Aggressionen der Diktatoren in Moskau, Peking und anderswo abschrecken, ohne globale Konflikte zu provozieren. Wie das gelingen kann, dafür bietet die Geschichte keinen Leitfaden. (Eric Frey, 23.6.2024)