Wien – Die Regierungsparteien befeuern ihren Konflikt weiter. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler stellte in einem Ö1-Interview am Samstag die Objektivität des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt infrage. Dieser hatte ihre Rechtsmeinung in Hinblick auf die umstrittene Abstimmung zum EU-Renaturierungsgesetz nicht geteilt.

"Beim Verfassungsdienst arbeiten viele hochkarätige Juristen, aber sie arbeiten dort nicht unabhängig", sagte Gewessler. "Wir haben einen Verfassungsdienst, der dem Bundeskanzleramt weisungsgebunden ist und es ist im Endprodukt dann oft so, dass an Rechtsinterpretation das rauskommt, was der ÖVP passt."

Werner Kogler und Leonore Gewessler beim Grünen Bundeskongress
Werner Kogler und Leonore Gewessler glauben nicht, dass die Rechtsmeinung des Verfassungsdienstes der Weisheit letzter Schluss ist.
Heribert Corn

Gewessler forderte, den Verfassungsdienst unabhängig zu machen und weisungsfrei zu stellen – ein Vorschlag, der laut dem Juristen Walter Obwexer von der Uni Innsbruck allerdings bereits erfüllt ist: Der Dienst sei ohnehin verpflichtet, "jede ihm gestellte Rechtsfrage auf der Grundlage des geltenden Rechts und im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung objektiv zu beantworten". Weisungsgebunden sei er nur in dem Punkt, zu welchen Fragestellungen er arbeitet – nicht darin, was in seinen Stellungnahmen inhaltlich steht.

"Recht folgt der Politik"

Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler stellte am Bundeskongress der Partei die Deutungshoheit der Juristinnen und Juristen im Bundeskanzleramt infrage: Es könne "nicht das alleine der Mittelpunkt des Sonnensystems" sein, "und kein Gott darf daneben akzeptiert werden", sagte er in seiner Bewerbungsrede für die grüne Spitzenkandidatur für die Nationalratswahl. Er nehme aber auch den Regierungspartner ernst: "Es ist möglich, das auch anders zu sehen."

Die ÖVP reagierte mit scharfer Kritik auf die Äußerungen der Grünen. "Das ist eine Entwicklung, die tatsächlich furchterregend ist, denn der Verfassungsdienst ist mit den besten Juristinnen und Juristen ausgestattet", sagt Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zur "Kleinen Zeitung". Was von den Grünen versucht werde, sei "eine Institution der Republik mit juristischen Privatgutachten zu konterkarieren. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die Umweltministerin Leonore Gewessler zu verantworten hat."

Grüne "disqualifiziert"

"Wenn wir zentrale Institutionen offen infrage stellen, unterwandern wir nichts Geringeres als den Rechtsstaat", sagt Edtstadler, deren Partei noch vor wenigen Monaten die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit deren Ermittlungen gegen die ÖVP angegriffen hat.

Ob ein strafrechtlich relevantes Vorgehen vorliegt, werden letztlich Gerichte klären müssen. Die ÖVP-Ministerin hätte sich gewünscht, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen "ein klares Wort" dazu sagt. Eine künftige Zusammenarbeit zwischen ÖVP und Grünen scheint jedenfalls mehr als unwahrscheinlich: "Aus meiner Sicht disqualifiziert das die Grünen für jede weitere Regierungszusammenarbeit."

"Die unterstellten Verdächtigungen der Parteilichkeit des Verfassungsdienstes sind eines Vizekanzlers und einer Bundesministerin unwürdig", sagt Generalsekretär Christian Stocker. Kogler und Gewessler fehlten offenbar jegliches Rechtsbewusstsein. "Wenn es um ihre grüne Ideologie geht, gilt der Rechtsstaat für die Grünen nicht mehr." Sowohl auf linker als auch auf rechter Seite würde der Grundsatz "Das Recht folgt der Politik" gelten, erinnert Stocker an Aussagen von Herbert Kickl in seiner Funktion als Innenminister. (red, APA, 23.6.2024)