Österreichs Fußballer haben mit dem Sieg gegen Polen gewissermaßen die Pflicht erledigt, nun wollen sie mehr.
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Berlin/Wien – Österreichs Fußball-Nationalteam hat noch nicht genug. Mit dem 3:1-Sieg am Freitag gegen Polen sind die Österreicher im EM-Turnier angekommen. Am Dienstag (18.00 Uhr/live ServusTV) wollen Marko Arnautovic, Marcel Sabitzer und Kollegen ebenfalls in Berlin gegen die Niederlande nachlegen. Der Einzug ins Achtelfinale ist zum Greifen nah. "Wir haben hart dafür gearbeitet, dass wir hierherkommen und hier dann auch weit kommen", erklärte Sabitzer.

Österreichs EM-Rekordspieler holte in seiner neunten Endrunden-Partie den Elfmeter heraus, den Arnautovic zum Endstand verwertete. "Wenn wir die ersten 20 Minuten verlängert hätten, wäre es nicht so ein krasser Arbeitssieg geworden", meinte Sabitzer. Man wolle weiterhin Siege einfahren – auch gegen die Niederländer. "Das wird ein hartes Stück Arbeit. Sie sind eine sehr gute Mannschaft, die in Ballbesitz sehr gut und kontrolliert von hinten herausspielt. Aber wenn wir die Intensität auf den Platz bringen, wird es schwer für die."

ÖFB-Team aktuell bester Gruppendritter

Österreichs Chancen auf den Achtelfinal-Einzug sind vor der letzten Runde der Gruppenphase intakt. Mit einem Sieg im abschließenden Gruppenspiel gegen die Niederländer würden die Österreicher als einer der beiden Topteams der Gruppe D fix aufsteigen. Bei einer Niederlage stehen die Chancen immer noch gut, führt das ÖFB-Team nach zwei Runden doch die Rangliste der besten Gruppendritten an.

Die vier besten von sechs Gruppendritten schaffen es ins Achtelfinale. Seit Einführung dieses Modus mit der EM 2016 in Frankreich reichten drei Punkte und eine Tordifferenz von -1 als Gruppendritter stets zum Weiterkommen. Österreich hält nach dem 0:1 gegen Frankreich und dem 3:1-Sieg gegen Polen bei drei Punkten und +1 und könnte sich damit wohl auch eine knappe Niederlage gegen Oranje leisten, um aufzusteigen. Dann könnte allerdings das große Rechnen beginnen, zumal drei Gruppen erst danach fertiggespielt werden.

"Fühlen uns sehr geehrt durch die Unterstützung"

Bei der EM 2021 war man gegen Oranje beim 0:2 in der Gruppenphase noch chancenlos gewesen. "Da war nix zu holen für uns", erinnerte Sabitzer. Die Euphorie um das aktuelle Team ist aber ungleich größer. "Wir nehmen das wahr. Wir fühlen uns sehr geehrt durch die Unterstützung", sagte der Borussia-Dortmund-Legionär über die zu Tausenden nach Deutschland gereisten ÖFB-Fans. "Wir wollen da weitermachen und das Vertrauen weiter ausbauen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg."

Die Erleichterung war den ÖFB-Kickern nach dem Schlüsselsieg in den Katakomben des Berliner Olympiastadions anzusehen. "Es ist uns allen ein Riesenstein vom Herzen gefallen. Die drei Punkte waren überlebenswichtig, sonst hätten wir, glaube ich, die Sachen packen können", meinte Rechtsverteidiger Stefan Posch. "Jetzt sind wir im Turnier angekommen und jetzt geht es richtig los."

"Wir verstecken uns vor niemandem"

Ähnlich sah es Philipp Lienhart. "Wir sind froh und glücklich, dass wir die drei Punkte geholt haben. Der Druck war schon da", erklärte der Freiburg-Profi. "Es war ein enorm wichtiger Schritt, aber gegen Holland wartet schon der nächste." Die Niederländer kommen nach einem 0:0 gegen Frankreich noch ungeschlagen nach Berlin. "Wir wissen, wer Holland ist. Holland ist eine Topmannschaft", betonte Arnautovic. "Man kann sagen, sie sind auch ein Favorit bei diesem Turnier. Aber wir verstecken uns vor niemandem."

Seine Unbekümmertheit stellte gegen die Polen einmal mehr der eingewechselte Flügelspieler Patrick Wimmer unter Beweis. "Wir sind ein sehr eingeschworenes Team. Es hilft uns sehr, wenn wir umstellen können und dann auch noch Qualität von der Bank bringen können", meinte der 23-Jährige.

Besonders groß ist die Auswahl in der Innenverteidigung. Lienhart spielte erstmals seit Dezember eine Partie über 90 Minuten. Langwierige Leisten- und Knieprobleme hatten ihn außer Gefecht gesetzt. "Ich habe mich gefreut, dass mir der Trainer das Vertrauen gegeben hat", sagte der Niederösterreicher. Er spüre die Belastung. "Aber ich fühle mich gut."

Scherpen erwartet Niederlande-Sieg

Kjell Scherpen erwartet am Dienstag einen offenen Schlagabtausch – mit leichten Vorteilen für Oranje. "Beide Mannschaften werden volles Pressing machen, die Erwartungen in den Niederlanden sind sehr hoch. Sie sind für mich leichter Favorit", sagte der niederländische Leih-Goalie von Österreichs Meister Sturm Graz vor dem Duell.

Für die Elftal soll das abschließende EM-Gruppenspiel in Berlin nur ein Zwischenschritt sein. "Wenn wir an einem Turnier teilnehmen, dann immer um es zu gewinnen. Das ist auch dieses Jahr der Fall", sagte Scherpen. Der 2,06 m große Tormann hat selbst eine hohe Meinung vom ÖFB-Team. "Dieses Jahr haben sie sich sehr entwickelt, sie spielen richtig guten Fußball. Österreich hat gegen Frankreich sehr aggressiv gespielt, gezeigt, dass man einer Mannschaft gewachsen ist, die eine große Chance auf den Titel hat."

Dennoch wird im Fußballland Holland gegen Österreich "natürlich ein Sieg" erwartet. Auch von Scherpen: "Die Niederlande werden gewinnen." Oranje stelle heuer "viele junge, talentierte Spieler". Hinzu kommen mehrere Stars. Speziell der Defensivverbund vor dem jungen Goalie Bart Verbruggen hat es Scherpen angetan. "Die Abwehr ist ziemlich stark mit Van Dijk, Ake, De Vrij, De Ligt – große Namen, die in großen Ligen spielen. Wenn alle fit und in Form sind, ist heuer vieles möglich."

Sieben Niederlagen in Serie

Ein Blick auf die Statistik drängt das ÖFB-Team in die Außenseiterrolle. Die jüngsten sieben Duelle mit den "Oranjes" wurden allesamt verloren, zuletzt auch bei der EURO vor drei Jahren in Amsterdam mit 0:2. Der bisher letzte Erfolg, ein 3:2 im Wiener Prater im letzten Test vor der WM in Italien, gelang im Juni 1990.

In 20 Partien gegen den Europameister von 1988 gab es sechs Siege, vier Unentschieden und zehn Niederlagen bei einem Torverhältnis von 24:38. Dass diese Bilanz nicht schlimmer aussieht, liegt an ÖFB-Erfolgen in fernerer Vergangenheit. Nach einem 1:3 im Olympia-Viertelfinale 1912 in Stockholm blieb Österreich gegen die Niederländer bis 1978 sieben Partien in Folge ungeschlagen.

Schatten und Licht in Cordoba

Es folgte ein 0:1 in einem WM-Testmatch in Wien im Mai 1978 und nicht einmal einen Monat später bei der Endrunde in Argentinien die bisher höchste und auch bitterste Niederlage gegen die Niederlande. Damals kassierte das ÖFB-Team in Cordoba gegen die von Ernst Happel gecoachten Oranjes ein 1:5-Debakel, eine Woche später glückte ebendort mit dem 3:2 gegen Deutschland immerhin ein mehr als versöhnlicher Turnier-Abschied.

In den darauffolgenden Partien gab es aus ÖFB-Sicht noch zwei Siege und ein Unentschieden, ehe die aktuelle Niederlagenserie gegen die Niederländer begann. Bei einer dieser Pleiten führte Österreich in einem Test im März 2008 in Wien bereits 3:0, musste sich aber noch 3:4 geschlagen geben. (APA, honz, 23.6.2024)

Rangliste der Gruppendritten nach zwei von drei Gruppenspielen:

1. Österreich (Gruppe D) 3:2 Tore, +1 Tordifferenz, 3 Punkte
2. Slowakei (Gruppe E) 2:2 0 3
3. Dänemark (Gruppe C) 2:2 0 2
4. Albanien (Gruppe B) 3:4 -1 1
5. Tschechien (Gruppe F) 2:3 -1 1
6. Schottland (Gruppe A) 2:6 -4 1

Um die Rangliste der besten Gruppendritten zu bestimmen, werden folgende Kriterien herangezogen:

- höhere Punkteanzahl
- bessere Tordifferenz
- mehr geschossene Tore
- höhere Anzahl der Siege
- geringere Punktezahl in Fairplay-Wertung (jeweils drei Punkte für Rote und Gelb-Rote Karten, ein Punkt für Gelbe Karten ohne Gelb-Rot)
- Position in UEFA-Rangliste der EM-Qualifikation