Jan Aage Fjörtoft (links im Bild) und Steffen Freund gehören zum Expertenteam bei Servus TV.
Jan Aage Fjörtoft (links im Bild) und Steffen Freund gehören zum Expertenteam bei Servus TV.
Philipp Carl Riedl / ServusTV

Team ORF:
Ein Hauch von Verzweiflung

Als am vergangenen Montag wenige Minuten vor Anpfiff der Partie Frankreich gegen Österreich der Bär steppte in Düsseldorf und live bei Servus TV angesichts der dem Spielfeld zustrebenden Mannschaften Schnappatmung um sich griff, da ging in ORF 1 gerade Sportredakteurin Karoline Rath-Zobernig in einem Beitrag der Frage nach, wie man Fußball erlebt, wenn man ihn "nicht schauen kann", präziser formuliert, "wenn man nicht sehen kann". Schließlich, so ward die gut fünfminütige Einspielung von Alina Zellhofer anmoderiert, laute ein Motto der EM "United by Football". Also sah man, während in Düsseldorf die Hymnen angestimmt wurden, Rath-Zobernig bei einem Training von Blindenfußballerinnen sowie auf einer Tribüne in Gesellschaft eines blinden Fans, der eindrücklich sein Fußballerleben schilderte.

Prinzipiell konnte die Sportredaktion des ORF ihrem Bildungsauftrag, ja einer gesellschaftspolitischen Verpflichtung kaum besser nachkommen. Klar wurde in diesen Minuten, als man mit Bedauern, aber doch, zur privaten Konkurrenz wechselte, auch das Dilemma des ORF. Der muss und will die EM zwar bestmöglich über die Rampe bringen, kann aber nicht das gegenwärtig Wichtigste bieten – Livebilder von Spielen der österreichischen Nationalmannschaft und anderen wichtigen Partien. Die Not wird umso größer, je weiter das Turnier fortschreitet. Je zwei Achtel- und Viertelfinale darf der ORF dann noch live zeigen – Halbfinale, Finale? Nada!

Vielleicht auch deshalb umweht die gesamte EM-Berichterstattung des ORF ein Hauch von Verzweiflung, wirken vor allem die Analysen im Studio merkwürdig leblos und – ränge sich Herbert "Old Schneckerl" Prohaska nicht hin und wieder einen Joke ab – völlig humorbefreit.

Die prinzipiell gute Idee, je nach Ansetzung Experten und, nun ja, Prominente mit Bezug zu den jeweils Spielenden einzuladen, zündet nicht, weil die kundigen Gäste mangels Bildschirmerfahrung nur in den seltensten Fällen auch unterhaltsam sind. Und so hoch der Expertisegewinn durch Analysen der ehemaligen Teamkapitänin Viktoria Schnaderbeck und Sargon Duran ausfällt, so wenig Unterhaltungstalent hat vor allem der staubtrockene Taktikfuchs und Trainer der Frauen von Sturm Graz. Roman Mählich ist als Stimmungsausreißer nach oben zu wenig, um den Gesamteindruck aufzuhellen, der sogar das neue, gewiss alle Stückeln spielende EM-Studio wie die freudlose Gasse wirken lässt.

Vielleicht hätte der ORF ja doch von der Tagespresse abkupfern sollen, also Prohaska, Rainer Pariasek und all die anderen EM-Spiele mit Puppen aus dem Kasperltheater nachstellen lassen. Schließlich sind sich bei Servus TV die unsäglichen, aber im Grunde erwachsenen Männer Jan Age Fjörtoft und Steffen Freund auch nicht zu schade dafür, im Bemühen, einzelne Szenen nachzustellen, im Studio herumzuhampeln. (Sigi Lützow)

Team Servus TV: Harnik liegt immer richtig

Martin Harnik! Bis dato eindeutig die größte Überraschung dieser Endrunde. Wer hätte gedacht, dass der Ex-ÖFB-Teamspieler bei der EM eine solche Performance abliefern würde? Harnik kommentiert auf Servus TV mit, als hätte er sein Lebtag lang nichts anderes getan. Schnell auf den Beinen war er immer, und wie schnell sein Kopf arbeitet, das ist jetzt festzustellen. Der Mann konstatiert Abseits, Fouls und Fehlentscheidungen im Blitztempo, und immer, immer, immer liegt er richtig. Wer Harnik hat, braucht nicht darauf warten, ob der VAR ein Tor gibt oder nicht, wer Harnik hat, der kann sich in der Zwischenzeit etwas aus dem Kühlschrank holen gehen.

Man fragt sich, wie viele Ex-Teamfußballer Servus TV getestet hat, damit die drei Volltreffer Florian Klein, Sebastian Prödl und Harnik herauskommen konnten. Gut, man konnte damit rechnen, dass Harnik nicht nur Expertise, sondern auch Emotion mitbringen würde. Als er im Herbst 2020 als Profi aufhörte, übersiedelte er in den Amateurbereich, zum TuS Dassendorf in die fünftklassige Oberliga Hamburg. Weil ihm der Fußball einfach Spaß macht. Das merkt man ihm auch beim Kommentieren an, und da reiht er sich ein in die Servus-TV-Kollegenschaft. Es ist, als hätten sie das Infotainment erfunden, diesen Zwitter aus Unterhaltung und Information.

Ich mag das. Bei einer Fußball-EM mag ich das, bei Eishockey-Übertragungen mag ich es auch. Da will ich unterhalten werden, die Welt bläst Trübsal genug.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Über Sportübertragungen hinaus brauche ich Servus TV nicht wirklich. Auch die meisten Sportdiskussionsrunden dort sind mir zu unkritisch, zu mainstreamig, zu unpolitisch, zu distanzlos. Aber die Aufbereitung von EM oder Champions League – Hut ab! Dem Duo Jan Age Fjörtoft und Steffen Freund im Studio könnte ich ewig folgen. Die beiden erklären ein Spiel und erzählen es nicht nur nach. Ich liebe Fjörtofts Akzent, das kommt noch dazu, und wenn Freund gar zu laut schreit, dreh ich kurz leiser.

Manchmal weiß ich nicht, wo ich zuerst hinschauen soll, im Hintergrund laufen Spielszenen, sind Grafiken zu sehen, Studiopublikum klatscht, Fjörtoft und Co tragen weiße Sneaker. Doch ein bisserl Reizüberflutung darf schon sein, dafür hab ich keine Konsole in der Hand, sondern maximal das Handy, um dem STANDARD-Liveticker zu folgen – übrigens auch das reinste Infotainment.

Natürlich weiß ich, dass Servus TV gegenüber dem ORF einen unschätzbaren Vorteil hat, nämlich finanzielle Möglichkeiten gefühlt ohne Ende und vor allem ohne Rechenschaftspflicht. Sonst würden nicht die österreichischen Spiele und die meisten EM-Schlagerspiele dort laufen. Doch auch aus all der Kohle muss man erst etwas machen. Wenn sich Servus TV aus dem Stadion meldet, hab ich das Gefühl, ich bin dort. (Fritz Neumann, 23.6.2024)