Sigrid Maurer und August Wöginger
Nur noch Zank in der Regierung? Während seine Partei mit der Klage gegen Gewessler ernst macht, klingt Klubchef Wöginger versöhnlich. Seine grüne Lieblingspolitpartnerin Maurer sagt: "Wir haben beide kein Interesse an Theater und Eskalation."
APA/ROBERT JAEGER

Bevor die Grünen die Bombe platzen ließen, war ein unverzichtbarer Anruf fällig. Umweltministerin Leonore Gewessler war noch nicht vor die Medien getreten, um ihre eigenmächtige Zustimmung zur umstrittenen Renaturierungsverordnung der EU anzukündigen, da setzte Sigrid Maurer ihr Gegenüber August Wöginger ins Bild. Ohne Animositäten sei das Telefonat von Klubchefin zu Klubchef abgelaufen, erzählt die Anruferin: "Wir haben beide kein Interesse an Theater und Eskalation." Zumindest nicht in unkontrollierter Form.

Brücken schlagen, Kopf abkühlen, das Gemeinsame suchen: Dieser Tage ist die Kernkompetenz des parlamentarischen Führungsduos mehr gefragt denn je. Gewesslers Alleingang hat die Emotionen aufwallen lassen – auf beiden Seiten der Koalition. Während die ÖVP ein rotwürdiges Foul beklagt, bejubeln die Grünen einen Coup: Da hat es der David dem Goliath aber gezeigt.

Viele gewonnene Wetten

Doch Wöginger und Maurer, vom STANDARD getrennt befragt, sind dazu da, sich nicht mitreißen zu lassen. Er hakt die Episode mit einem mehr pflichtschuldig als empört klingenden Satz über den "Vertrauensbruch" ab, sie kanalisiert die Lust am Triumphalismus in eine andere Richtung. Was habe sie in vergangenen viereinhalb Jahren nicht an Wetten mit Zweiflern gewonnen, die einen baldigen Bruch der Regierung prophezeit hatten: "Manche schulden mir gleich mehrere Abendessen und Flaschen Wein."

Dass dieses Durchhaltevermögen viel mit dem 49-jährigen Oberösterreicher und der um zehn Jahre jüngeren Tirolerin zu tun hat, scheint in den türkis-grünen Reihen breiter Common Sense zu sein. Mindestens so wichtig wie einzelne Minister seien die beiden, ist da zu hören, kaum eine bedeutende Entscheidung laufe an ihnen vorbei. Kompromisse finden und diese in der eigenen Abgeordnetenriege durchbringen: In dieser Disziplin hätten die koalitionären Troubleshooter eine erstaunliche Kunstfertigkeit entwickelt – und das, obwohl ÖVP und Grüne ideologisch oft in entgegengesetzte Richtungen wollen.

Sigrid Maurer und August Wöginger
Obwohl ÖVP und Grüne oft in entgegengesetzte Richtungen wollen, dürfte die Regierung über die volle Distanz halten. Dass dies mit dem Duo Wöginger-Maurer zu tun hat, ist in türkis-grünen Reihen Common Sense.
APA/ROLAND SCHLAGER

An den Stellschrauben drehen

Von einem "Glücksfall für beide Seiten" spricht gar der ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka, der in konfliktreichen großkoalitionären Zeiten selbst in dieser Rolle steckte. Vertrauen sei die wichtigste Währung in der Politik, sagt der vom Nationalrat ins Europaparlament wechselnde Routinier: Nur wenn es auch auf der menschlichen Ebene vorhanden sei, könne das koalitionäre "Scharnier" ohne Quietschen funktionieren.

In den Biografien zeichnet sich dieser Paarlauf nicht unbedingt ab. Der Innviertler Wöginger, Sohn einer Hausfrau und eines Schichtarbeiters, der später Donaufährenbetreiber wurde, gehört fast ein Leben lang zum Apparat seiner permanent staatstragenden Partei. Bereits als Teenager spult er Hausbesuche ab, um Unterschriften für die erste Kandidatur zu sammeln. Vom zerrissenen Tennisnetz bis zum holprigen Gehsteig: Von Anfang an habe es ihn gereizt, etwas ohne Umschweife für die Leut' zu tun, ließ er einmal wissen.

Was Wöginger in der hohen Politik darunter versteht, ist keinesfalls immer nach dem Geschmack der Grünen. Als Sozialsprecher seiner Partei, der er zusätzlich immer noch ist, war er einer der Köpfe hinter der von Schwarz-Blau verfügten Demontage der Mindestsicherung. Dennoch gilt der auf Volksfesten schmähbegabte, in Interviews aber hoch kontrollierte "Gust" beim Regierungspartner als einer, dem es im Kern um die Sache statt nur um den inszenierten Schein geht. Mit Maurer verbinde ihn das "tiefe Bedürfnis, an den Stellschrauben der Republik zu drehen", glaubt der grüne Abgeordnete Michel Reimon.

Vom Stinkefinger zur Pragmatik

Als "bodenständigen Kommunal- und Wahlkreispolitiker" beschreibt Parteifreund Georg Strasser den Typus Wöginger. Größer könne der Kontrast zum "Kopfmenschen" Maurer kaum sein, sagt der Bauernbundchef, dennoch überzeuge auch sie als Verbinderin: "Das hat keiner geglaubt."

Am allerwenigsten der damalige Chefarchitekt von Türkis-Grün. Sebastian Kurz hat Maurer einst präventiv als mögliche Ministerin ausgeschlossen. Eine Politikerin, die in den Augen der breiten Masse vor allem für den Stinkefinger stehe, erschien dem einstigen Kanzler als inakzeptabel.

Nachgehangen war ihr jenes berüchtigte Foto, zu dem sie sich nach dem Rauswurf der Grünen aus dem Parlament durch die Wahlniederlage von 2017 hatte hinreißen lassen. In der einen Hand hält Maurer ein Glas Sekt, aus der anderen reckt sich der Mittelfinger empor. Das konnte man leicht als trotzige Abschiedsgeste einer schlechten Verliererin verstehen. Tatsächlich aber, betonte Maurer stets, habe es sich um eine Antwort auf die vielen Hassposter gehandelt, die eine "linke Feministin" (Eigendefinition, Anm.) wie sie heimsuchten.

Sigrid Maurer und August Wöginger
Begegnung auf Augenhöhe, nicht nur beim Fotoshooting: Sich in die Gedankenwelt des anderen hineinzuversetzen, sehen beide als Schlüssel.
Cremer/Standard

Weniger radikal als gedacht

Das Bild fügt sich nur bei einem flüchtigen Blick nahtlos in die Vorgeschichte. Ihre ersten politischen Spuren hinterließ die Lehrertochter aus dem Stubaital bei den grünen Studierenden (Gras). Natürlich war diese Truppe weit linker gepolt als die Mutterpartei. Doch gelernt habe sie damals das Gegenteil von radikaler Kompromisslosigkeit, sagt Maurer. In einer strikt basisdemokratischen Organisation, in der jedes einzelne Mitglied ein Vetorecht genoss, wäre sie sonst nicht weit gekommen.

Der Wandel zur Superpragmatikerin, die nach jedem Schlag in die Magengrube sofort wieder funktioniere, sei konsistenter, als es scheine, befindet ein Parteikollege. Maurer habe schlicht verstanden, dass unterschiedliche Ziele unterschiedlicher Strategien bedürften. Mit der rebellischen Attitüde, die ihr einst eine Bühne gebracht habe, stünde sie in ihrer heutigen Rolle auf verlorenem Posten.

Als "aufrichtig und intelligent" habe er Maurer in den gemeinsamen Jahren kennengelernt, sagt Verhandlungspartner Wöginger. So wie er selbst bemühe sich "die Sigi", sich in den Kopf anderer hineinzuversetzen: "Deshalb hat sie auch Verständnis dafür, was der Gegenseite wichtig ist – und wo die Schmerzgrenzen liegen. Wir verstehen uns sehr gut und begegnen uns auf Augenhöhe."

An letzterem Begriff kommt – diesmal unabgesprochen – auch Maurer nicht vorbei. Sie habe es sehr geschätzt, wie Wöginger von Anfang an auf sie zugekommen sei: "Er hat keinen Moment versucht, mir zu zeigen, wer die kleinere Fraktion in der Koalition ist. Das hätte er so nicht machen müssen."

Sigrid Maurer und August Wöginger
Böse Miene zum guten Spiel? Maurer und Wöginger ärgert, dass die Arbeit der Koalition in den Augen des Publikums unter Wert geschlagen werde.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Aufruhr blieb aus

Aus rein machttechnischer Sicht trug dieses Einvernehmen zweifellos Früchte. Wie immer man die türkis-grüne Politik inhaltlich bewerten mag: Den Laden haben Wöginger und Maurer zusammengehalten. Rufschädigende, weil öffentlich zelebrierte Streitereien erreichten nie das chronische Ausmaß aus den schlechtesten Zeiten der großen Koalition. Innerparteilicher Aufruhr blieb aus – was vor allem für die einst notorisch undisziplinierbaren Grünen bemerkenswert ist.

Dabei gab es aus Koalitionsräson manches zu verdauen. Auf ÖVP-Seite sticht die vom Regierungspartner erzwungene Ablöse des Kanzlers Kurz hervor. Die Grünen wiederum mussten sich mit dem Nein zur Aufnahme von Kindern aus dem überfüllten griechischen Flüchtlingslager Moria ebenso abfinden wie mit dem ÖVP-Widerstand gegen zentrale Klimaschutzmaßnahmen. Dazu kam das Risiko, als Mehrheitsbeschafferin einer korruptionsumwölkten Partei abgestempelt zu werden.

Krisenfeuerwehr im Einsatz

Wie viel Strenge die Klubchefs benötigten, um ihre Mandatarinnen und Mandatare da auf Linie zu halten? "Mit der Sigi ist jeder schon einmal zusammengekracht", sagt ein Abgeordneter. Doch wer Peitschenknallereien vermute, liege falsch. Dass sich die grüne Riege nicht wie ein Flohzirkus gebärde, dafür sorge schon die bittere Erfahrung aus dem von Querelen angebahnten Wahldebakel von 2017: "Das sitzt noch vielen in den Knochen."

ÖVP-Pendant Wöginger gilt schon gar nicht als Zuchtmeister. Sondern eher als Hirte, der seine Herde sorgsam umkreist.

In den drei Monaten bis zur Wahl werden Wöginger und Maurer ihre integrativen Fähigkeiten aufbieten müssen, um das beim großen Krach entstandene Bild zu korrigieren – und etliche bereits konkret angebahnte Vorhaben abzuhaken. Bei allen Revanchegelüsten wird eines auch ÖVPlern dämmern: Der Eindruck des zerstrittenen Haufens, der sich wie beim letzten Ministerrat nicht einmal mehr persönlich treffen will, droht zuallererst einer zur Konstruktivität verpflichteten Kanzlerpartei auf den Kopf zu fallen.

An Wöginger sollte es nicht scheitern. Während die Parteizentrale mit der Amtsmissbrauchsanzeige gegen Gewessler Ernst macht, klingt der Klubchef geradezu versöhnlich. In jeder Koalition gebe es ein Auf und Ab, sagt er, doch dergleichen habe man schon mehrfach gemeistert: "Wir spielen nicht zum ersten Mal die Krisenfeuerwehr." (Gerald John, 21.6.2024)