Der Betonmisch-Lkw beschleunigt. Auf einer der zahlreichen Baustellen um die Hausfeldstraße werden er und seine Ladung schon dringend erwartet. Es wird betoniert, asphaltiert und gemauert im 22. Wiener Bezirk. Das ist auf der einen Seite nötig, um Wohnraum zu schaffen. Und auf der anderen ein Problem: Die vielen versiegelten Flächen in Städten sind der Grund, warum sich diese in den immer wärmeren Sommern besonders kräftig aufheizen.

Deshalb wird unweit der Hausfeldstraße bald auch aufgerissen, gepflanzt und gepflegt. Von der S2 im Westen bis fast zur Stadtgrenze im Osten zieht sich dort ein Stück Wildnis: Auf dem aufgelassenen Verschiebebahnhof Breitenlee hat sich in den vergangenen rund 80 Jahren Natur ausgebreitet. Echsen, Bienen oder Hasen bevölkern dort Wiesen, Wäldchen und Teichufer.

Das ist nicht nur im Sinne der biologischen Vielfalt, sondern auch des Klimas: Das Grünband, das mit 90 Hektar fast so groß ist wie die Josefstadt, kühlt durch seine Verdunstungsleistung die neu entstehenden Viertel im grünraumarmen Nordosten Wiens.

In Breitenlee wachsen in einem bald geschützten Grünraum seltene Pflanzen.
Stadt Wien/Martin VOTAVA

Damit das dauerhaft so sein wird, päppelt die Stadt Wien das Areal auf und stellt es streng unter Schutz. Technisch formuliert: Sie renaturiert es. Anfang 2025 geht es los. Ab da werden letzte Reste des Bahnhofs und dort wuchernde, eingeschleppte Pflanzen entfernt. Auf den offenen Flächen werden stattdessen heimischen Arten, allen voran Weiden, angesiedelt.

Teil nachhaltiger Stadtentwicklung

Für Brigitta Hollosi, Stadtklimaexpertin bei Geosphere Austria, ist das ein sinnvoller Ansatz: Das Areal in Breitenlee habe eine "wertvolle kühlende Wirkung auf das Mikroklima", sagt sie. Die geplante Unterschutzstellung helfe, "diesen natürlichen Lebensraum als Bestandteil einer nachhaltigen Stadtentwicklung dauerhaft zu sichern."

Große, unversiegelte Grünräume beschreibt Hollosi als Multitalent: "Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Reduzierung des städtischen Wärmeinseleffekts, der Verbesserung der Luftqualität, der Förderung der Biodiversität und tragen wesentlich zur Steigerung des Wohlbefindens der Bewohner bei."

Wo es derart große, offene Grünräume nicht mehr gibt und sie auch nicht wiederherstellbar sind, muss getrickst werden, damit das Klima in Zeiten der Erderwärmung erträglich bleibt. Parks und sogenannte Miniwälder sind alternative Formen, wie seitens des Wiener Rathauses versucht wird, Grünflächen in die Stadt zu integrieren. Demnächst öffnet etwa der einen Hektar große Walter-Kuhn-Park in Favoriten, ab 2025 wird ein weiterer Hektar Park in der Leopoldstädter Meiereistraße gebaut.

Wo große Grünareale nicht mehr herstellbar sind, verbessern Parks und Bäume das Klima.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Ist selbst dafür kein Platz, helfen Bäume. "Sie können in dichtbebauten urbanen Gebieten eine wichtige Rolle bei der Verbesserung des städtischen Mikroklimas spielen", sagt Hollosi. Denn Bäume spenden Schatten und verdunsten über ihre Blätter Wasser – beides kühlt die Umgebung. "Bestandsbäume sollten daher unbedingt erhalten und gepflegt werden."

Im freien Fluss

Entsiegelung beschränkt sich längst nicht mehr auf das Element Erde: Aufgerissen wird auch im Wasser – im großen Stil etwa an der Liesing. Der Bach wurde vor mehreren Jahrzehnten in eine schnürlgerade, gepflasterte Rinne gesteckt. Denn: Fokus sei damals der Hochwasserschutz gewesen, andere Funktionen und Nutzungen von Gewässern seien kaum Thema gewesen, sagt Gerald Loew, Chef der für Gewässer zuständigen Magistratsabteilung 45. Der Ansatz: "Wenn viel Wasser kommt, sollte es schnell durchrauschen." Der Nachteil: Fischen und anderen Lebewesen fehlen in derart gebändigten Bächen und Flüssen Ruhezonen, Pflanzen können sich kaum ansiedeln.

Die Liesing vor der Renaturierung: Der Bach fließt durch ein gepflastertes, gerades Bett.
MA45
Die Liesing nach der Renaturierung: Der Bach schlängelt sich nun über Schotter und Steine dahin.
MA45

Daher werden die damaligen Maßnahmen nun rückgängig gemacht, sprich, die Gewässer renaturiert. Bei neun der in Wien 18 Kilometer langen Liesing ist das bereits geschehen, die zweite Hälfte folgt etappenweise bis 2027. Soeben wurde ein Abschnitt im Bereich der Hochwassergasse fertig. Dort schlängelt sich das Wasser nun durch ein breites, von groben Steinen und Schotter gesäumtes Bett.

Durch die Kurven und mitten im Bach platzierte Stämme und große Steine entstanden Zonen, in denen das Wasser nur langsam fließt. Dort halten sich Fische auf. Und auch die einst karge Uferböschung bekam ein Make-over: Dort dürfen nun Gräser und Blumen gedeihen, im Bereich der Bachaufweitung wachsen 60 neue Bäume.

Maximale Kühlung

So können Wasser und Pflanzen ihre kühlenden Effekte vereinen: "Eine Kombination von Wasser und Bäumen kann synergistische Effekte haben, Verdunstung vom Gewässer sowie durch die Bäume und Schattenwurf wirken zusammen. Das kann zur Maximierung der mikroklimatischen Wirkung beitragen", sagt Expertin Hollosi.

Wirken offene Gewässer und Grün zusammen, kann das den kühlenden Effekt auf das Mikroklima erhöhen.
Peter Pinka

Generell spiele Wasser bei der Verdunstungskühlung eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund sieht sie Potenzial für weitere Entsiegelung: eingewölbte Wienerwaldbäche. "Mikroklimatisch betrachtet können unterirdische Bäche, die an die Oberfläche geholt werden, ihre Kühleffekte entfalten und städtische Hitzeinseln mindern", sagt Hollosi.

Neues Wissen über den Effekt von an die Oberfläche geholten Bächen wird übrigens noch bis Mitte Juli in der Brigittenau gesammelt. Auf dem Gelände des aufgelassenen Nordwestbahnhofs wurde dazu ein Testbach errichtet, mit dem Ziel, einen Leitfaden zu entwickeln – damit der Aufriss in der Praxis tatsächlich klappt. (Stefanie Rachbauer, 28.6.2024)