Südkorea, ein Land zwischen Hammer und Amboss: Auf der einen Seite Nordkorea, mit dem Seoul seit dem Ende der Kampfhandlungen im Koreakrieg nur ein Waffenstillstand vom katastrophalen Krieg trennt. Zu den Seiten China und Russland, beide keine Freunde der demokratischen Entwicklung, aber wichtige Handelspartner und bisher mäßigende Einflüsse auf die Regierung in Pjöngjang ausübend. Und schließlich, durch ein Meer getrennt, auf dessen Namen sich die beiden Länder nicht einigen können, Japan: einst Kolonialmacht, mit der Seoul heute ein sehr gespaltenes Verhältnis, aber doch auch eine US-geführte militärische Allianz verbindet. Dass Südkorea sich in den vergangenen Jahrzehnten wirtschaftlich und demokratisch zur Regionalmacht entwickeln konnte, gilt nicht von ungefähr als "Wunder am Han-Fluss".

Hilfe "mit allen Mitteln"

Dieser Tage allerdings bekommt Seoul die Nachteile seiner geopolitischen Situation wieder deutlich zu spüren. Der Besuch, den Russlands Präsident Wladimir Putin Anfang der Woche Diktator Kim Jong-un in Nordkorea abgestattet hat, sorgt in Seoul für angespannte Nerven. Noch immer versuchen die Fachleute aus dem Seouler Wiedervereinigungsministerium, das für den Umgang mit Nordkorea zuständig ist, das Kommuniqué zu entschlüsseln, das die beiden Staatenlenker unterzeichnet haben. Die Sprache scheint klar, jedenfalls dann, wenn man der Übersetzung der nordkoreanischen Staatsagentur KCNA Glauben schenkt: Demnach steht in dem Papier, beide Seiten würden sich verpflichten, "einander militärische und sonstige Unterstützung bereitzustellen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne Verzögerung", sollte der jeweils andere angegriffen werden.

Gemeinsam unterwegs: Wladimir Putin und Kim Jong-un. Im Süden bereitet das Sorgen.
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Was genau das aber mit Bezug auf Waffenlieferungen für die Ukraine und auch für die Koreakrise bedeutet, bleibt doch wieder offen. Würde Russland etwa Nordkorea auch beim weiteren Ausbau seines Nukleararsenals unterstützen? Südkoreas Regierung jedenfalls, die sich bisher in Sachen Ukraine-Konflikt zurückgehalten hatte, hat den russischen Botschafter für Klärungen zu einem Gespräch mit Vizeaußenminister Kim Hong-kyun bestellen lassen. Außerdem appellierte man öffentlich an die russische Regierung, sich "verantwortungsvoll" zu verhalten.

Geschoße für Kiew

Allerdings gibt Seoul auch zu verstehen, dass man womöglich bereit sei, selbst seine Politik zu ändern. Bisher hatte sich Südkorea in Sachen Ukraine ja zurückgehalten. Offiziell hat die Regierung lediglich Schutzausrüstung nach Kiew schicken lassen. Künftig, so gab man über inoffizielle Quellen zu verstehen, werde man daran denken, auch Munition bereitzustellen. Weil Südkorea über eine ausgebaute Rüstungsindustrie verfügt, wären Lieferungen aus dem Land am Han für Kiew durchaus von großem Interesse – und würden Russland zum Schaden gereichen. Präsident Putin ließ Seoul von seiner aktuellen Reisestation, Hanoi, aus am Donnerstag ausrichten, Lieferungen wären "ein Fehler". Schon bisher haben Artilleriegeschoße aus Südkorea über Umwege der Ukraine geholfen: Seoul lieferte an die USA, die damit ihre Bestände nach Lieferungen an Kiew wieder auffüllen konnten.

Putin bekam von seinem Gastgeber auch zwei Pungsan-Hunde geschenkt.
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So oder so muss sich Südkorea wohl auf neue Provokationen an der Grenze einstellen. Diese hatten zuletzt ohnehin schon zugenommen. Ganze drei Mal haben nordkoreanische Soldaten in der vergangenen Woche die Linie zwischen den beiden Staaten in der (fälschlich) sogenannten Demilitarisierten Zone überschritten, die Nord und Süd seit dem Waffenstillstand von 1953 trennt. Nach Warnschüssen aus dem Süden drehten sie jeweils wieder um. Opfer gab es dennoch, nordkoreanische Soldaten sollen bei ihrem Rückzug durch die am stärksten verminte Zone der Welt mehrere Explosionen ausgelöst haben. Der genaue Grund für die nordkoreanischen Aktivitäten in dem Gebiet bleibt allerdings weiterhin rätselhaft. Wie Satellitenbilder zeigen, errichtet der Norden Mauerstücke nahe der Grenze. Außerdem wird teils das Gestrüpp dort getrimmt. Welchen Zwecke die Maßnahmen haben, ist nicht ganz klar. Möglich scheint, dass die Flucht aus dem Norden erschwert und Spähposten errichtet werden sollen.

Kot gegen Demokratie

Darüber hinaus machen auch die Ballon-Sendungen aus dem Norden der Regierung in Seoul Kopfzerbrechen. Diese mit Unrat und Kot behängten Ballons lässt der Norden nach eigenen Angaben als Antwort auf Flugzettel-Sendungen aus dem Süden aufsteigen. Man wolle der Regierung in Seoul die gleiche Arbeit "mit dem Wegräumen von Mist" machen, die man selbst habe, argumentiert Pjöngjang. Die Versendung von Flugzetteln, mit denen etwa für die Demokratie geworben wird, war unter der früheren linksliberalen südkoreanischen Regierung verboten gewesen, die aktuelle, rechtskonservative hat sie wieder erlaubt. Der Norden will weitere Sendungen nun offenbar auf seine Weise stoppen. Allerdings haben die Mist-Flüge aus dem Norden nicht nur symbolischen Schaden angerichtet: Weil die Ballons im Süden immer wieder mit Gebäuden kollidieren, sind Privatpersonen auch schon reale Reparaturkosten erwachsen. Zudem bleibt unklar, wie die gegenseitige Eskalation wieder gestoppt werden kann. (Manuel Escher, 21.6.2024)