"Die Jugend ist deutlich nach rechts gerückt." So liest es sich bezogen auf die Ergebnisse der Europawahlen derzeit oft. Die "Generation Greta" scheint es wohl doch nicht zu geben. Um junge Menschen verstehen zu wollen, müssen wir endlich anfangen, mit ihnen zu sprechen. In unseren Jugendstudien tun wir genau dies bereits: Jährlich befragen wir tausende junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren zu ihrer aktuellen Lebenssituation, ihren Ängsten, Sorgen und Wünschen. Was wir in Deutschland festgestellt haben, zeigt sich auch in österreichischen Ablegern der Studie: Junge Menschen sind zunehmend verunsichert und frustriert. Sie befinden sich derzeit in einer Art Dauerkrisenmodus, aus dem sie nur schwer herausfinden.

Junge Menschen gehen einen Gang entlang.
Warten auf gute politische Antworten auf die vielen Krisen dieser Tage: Jungwählerinnen und Jungwähler.
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Es fing an mit der sich immer mehr zuspitzenden Klimakrise, die viele junge Menschen auf die Straßen drängte und nach wie vor wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt. Doch die Corona-Pandemie war es, die ihr Leben vom einen auf den anderen Tag veränderte. Festivals, Grillfeste oder Disco-Abende wichen Schutzmaßnahmen, Lockdowns und Bananenbrot-Tutorials auf Youtube. Die Jugend flüchtete in digitale Räume und findet seither den Weg nur schwer wieder heraus.

"Viele begleitet die Angst, gleich von der nächsten Krise überrascht zu werden."

Dem Ende der Pandemie folgte fast unmittelbar der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – die nächste Krise mit einschneidenden Konsequenzen für die Gesellschaft. Inflation, Preissteigerungen und Probleme in der Energieversorgung machten es fast unmöglich, die wiedergewonnene Freiheit ausleben zu können. Die gewisse Machtlosigkeit, die die regierenden Parteien in vielen europäischen Ländern ausstrahlten, schwappte auf die Jungen über. Die Folge ist eine bis heute anhaltende extreme Verunsicherung. Viele begleitet die Angst, gleich von der nächsten Krise überrascht zu werden. Dies liegt insbesondere daran, dass sie sich von der Politik weder beschützt noch ernst genommen fühlen. Die Antworten einer Schülerin unserer Befragung geben tiefe Einblicke: "Wer gibt uns die Zeit der Jugend zurück, wenn wir älter sind? Richtig, niemand. Denn niemand interessiert sich für uns."

Müde belächelt

Das Gefühl, von der Politik vergessen zu werden, scheinen viele junge Menschen zu verspüren. Übel nehmen kann man ihnen diese Wahrnehmung nicht. Viele Hilferufe der vergangenen Jahre wurden müde belächelt, die verschiedenen Konsequenzen der Krisen auf das Lebensgefühl junger Menschen nicht miteinberechnet oder aufgefangen. Besonders finanzielle Sorgen haben die vergangenen Monate über den Europawahlkampf überschattet. Die etablierten Parteien an der Regierung wurden von rechts außen überholt, weil sie zu wenig konkrete Antworten auf die Probleme junger Menschen gaben.

Wahlgewinner wie die FPÖ, die AfD oder der Rassemblement National haben dahingegen genau hier angesetzt: Sie haben sich schon vor einigen Jahren zum Ziel gesetzt, stärker auf junge Menschen einzugehen und digitale Räume für sich zu gewinnen. Mit Erfolg: Beispielsweise zeigte eine Analyse der Jahre 2022 und 2023, dass die AfD auf Tiktok dreimal so viele Menschen erreichte wie alle anderen deutschen Parteien zusammen. Die Ansprache an junge Menschen erfolgt dort meist direkt: Die Videos sind persönlich und emotional, beschäftigen sich mit den Sorgen der User und versprechen vor allem eines: Besserung. Gleichzeitig werden die regierenden Parteien stark kritisiert und das Gefühl verstärkt, dass diese sich nicht um die Belange der Menschen kümmern. Der Algorithmus sowie der Anspruch an die Videos, möglichst einfach gestrickt und kurz zu sein, fördern Populismus.

Politik auf Tiktok

Auf der anderen Seite kam die Einsicht der etablierten Parteien, hier Gesicht zeigen zu müssen, spät. Der Hashtag #ReclaimTiktok trendete im März und April 2024, und mit ihm strömten deutsche Regierungsvertreter auf die Plattform. Was für die Europawahlen zu spät kam, sollte jedoch nicht wieder eingestellt werden: Auch wenn Tiktok, als Unternehmen aus einem autokratischen Regime kommend, enorme Gefahren der Datensicherheit und Einflussnahme Chinas birgt, ist es derzeit die App, die von knapp zwei Dritteln der unter 20-Jährigen genutzt wird. Wer sich hier nicht zeigt, kann von vielen jungen Menschen nicht erwarten, wahrgenommen oder gar gewählt zu werden. Regierungen und politische Akteure sollten mit jungen Menschen ins Gespräch gehen und ihnen eindeutig das Zeichen geben, sie zu sehen und sie in ihrer derzeitigen Situation unterstützen zu wollen.

Wir sollten vorsichtig damit sein, alle jungen Menschen in eine Schublade stecken zu wollen. Weder gibt es "die eine Jugend", noch wählen alle von ihnen nun rechtsextreme Parteien. Die Jugend war und ist immer divers gewesen – doch wenn immer mehr junge Menschen die gleichen Sorgen und Ängste verspüren, ist es an der Zeit, endlich auf sie zuzugehen. Sich jedoch nur in den Wochen vor einer Wahl mit dieser Zielgruppe zu beschäftigen reicht einfach nicht mehr aus. (Kilian Hampel, 24.6.2024)