Wer hätte das gedacht? Die grüne Umweltministerin stimmt im Europäischen Rat für ein Gesetz, das der türkise Koalitionspartner absolut nicht will. Der Bundeskanzler wirft der Regierungskollegin Verfassungsbruch und Amtsmissbrauch vor – doch die Koalition hält. Das ist natürlich vor allem dem nahenden Wahltermin und der Angst der Volkspartei vor einem ungezügelten Parlamentarismus geschuldet.

Doch dass Türkis-Grün diese finale Krise übersteht, beweist auch etwas anderes: Die Stärke dieser Koalition liegt paradoxerweise in der Unterschiedlichkeit der beiden Parteien.

Werner Kogler und Karl Nehammer schauen ein bisschen gelangweilt drein
Die Zusammenarbeit war oft mühsam, aber letztlich konnten sowohl ÖVP als auch Grüne wichtige Inhalte umsetzen.
APA/ROLAND SCHLAGER

Auf den ersten Blick hat ja nicht viel dafürgesprochen, dass ÖVP und Grüne die volle Legislaturperiode zusammenarbeiten werden. Die Sympathie war begrenzt. Und kurz nach ihrem Antritt musste die Regierung mit der Covid-19-Pandemie eine völlig neuartige Krise managen. Der nationale Schulterschluss war nur ganz am Anfang intakt, die immer zähere Corona-Politik verbrauchte zwei Gesundheitsminister. Die Volkspartei wurde von Korruptionsaffären heimgesucht, die nach wie vor nicht aufgearbeitet sind. Die innerparteilichen Turbulenzen verschlissen zwei Kanzler, nicht ohne Zutun des Koalitionspartners. Doch Türkis-Grün hielt.

Es blieb nur der Kuhhandel

Auf den zweiten Blick lässt sich all das mit Ideologie und Pragmatismus erklären. "Das Beste aus beiden Welten" war ein etwas zu oft bemühter Slogan, als Sebastian Kurz und Werner Kogler 2019 ihre Zusammenarbeit besiegelten. Aber die Floskel beschreibt gut, warum dieses in Österreich neue Koalitionsmodell fünf Jahre lang gut funktionierte: leben und leben lassen, der anderen Seite auch Erfolge zugestehen. Große Projekte in den Politikfeldern umsetzen, für die die Parteien gewählt wurden.

Gerade weil die Positionen von ÖVP und Grünen so weit auseinanderliegen, hat das funktioniert. Die beiden Parteien bedienen unterschiedliche Zielgruppen und grenzen sich automatisch voneinander ab. Von vornherein war klar, dass Kompromisse à la "Wir treffen uns in der Mitte" nicht erfolgreich sein würden. Es ging gar nicht anders, als große, wichtige Themen gegeneinander abzutauschen. Dieser oft als "Kuhhandel" verächtlich gemachte Politikmodus hat gut funktioniert.

Geübt im Überleben

Das war selbstverständlich schmerzhaft und mühsam für alle Beteiligten. Die türkise Seite musste ihrer Klientel grüne Erfolge in der Transparenz- und Klimapolitik erklären, die Grünen hatten Schwierigkeiten mit der harten Linie der ÖVP in der Migrationspolitik, auch Steuererleichterungen entsprechen nicht ihren politischen Ideen. Doch so viel man an der Regierungsarbeit zu Recht kritisieren kann: Im Großen und Ganzen ist beiden Seiten viel gelungen.

Das System hat so gut funktioniert, dass es sich seit 2019 für keine der Parteien ausgezahlt hat, in riskante Neuwahlen zu gehen. Und die Reaktionen der Regierungsparteien auf die Renaturierungskrise – konsequenzlose Empörung der Volkspartei, selbstbewusstes Schulterzucken der Grünen – zeigt, wie groß der Überlebenswille der Koalition immer noch ist. Klar: Timing ist wesentlich. Gewessler ist mit ihrem Alleingang aus der Abtauschlogik ausgebrochen. Würden die Nationalratswahlen regulär erst 2025 stattfinden, wäre die türkis-grüne Zusammenarbeit jetzt wohl schon aufgekündigt.

Dennoch zeigt sich: Ideologie und Pragmatismus schließen einander nicht aus, sie können einander sogar begünstigen. Für das Land wäre es gut, wenn das auch die nächste Koalition im Hinterkopf behält. (Sebastian Fellner, 21.6.2024)