Eine Männerhand drückt die Frauenhand ins Bett
Ins Bett gedrückt und gewürgt: Frauen erleben immer öfter, dass aus dem Liebesspiel unerwartet und ungewollt ein Machtspiel wird.
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Es ist ein sonniger Nachmittag im Frühling. Valerie* spaziert mit David* durch den Park. Es ist ihr drittes Date. Es läuft gut. Beide wollen mehr. Ortswechsel. In Valeries Wohnung kommen sie einander näher, sie wechseln von der Couch ins Bett. Doch dort ändert sich das Verhalten von David. Der bisher nette Typ würgt Valerie plötzlich während des Liebesspiels, drückt sie ins Bett und sagt: "Wann du fertig bist, entscheide ich!"

Valerie gefällt das gar nicht. Kurz ist sie starr vor Schock. Es gelingt ihr, sich aus der Situation zu befreien. Sie bricht das Date ab. David geht, zum Glück ohne großes Drama. Valerie bleibt erschrocken zurück. Dass David im Bett derart rabiat vorgeht, hatte sie nicht kommen sehen. Gesprochen hatten die beiden darüber vorher nicht. Diese Erfahrung beschäftigte Valerie noch länger. "Obwohl mir nicht wirklich etwas passiert ist, verstört mich dieses Erlebnis", sagt die Mitte 30-Jährige.

"Das muss ich halt ausprobieren"

Valerie ist mit dieser Erfahrung nicht allein. Die Studentin Marie* ist 21 Jahre alt. Sie hatte bisher ungefähr zehn One-Night-Stands mit Männern. Bei sieben davon wurde sie gewürgt – ohne ihre Zustimmung. "Am Anfang dachte ich, das muss ich halt ausprobieren. Ich glaube, die Männer haben auch gar nicht so viel darüber nachgedacht, weil man diese Praxis halt überall sieht", sagt sie. Zum ersten Mal als Problem wahrgenommen hat Marie das Würgen, als sie Sex mit einem Mann hatte, der bei allem um ihre Zustimmung gefragt hatte. "Darf ich dich küssen? Darf ich dein Bein anfassen?" Ob er sie würgen dürfe, habe er sie aber nicht gefragt.

"In diesem Moment habe ich richtig Panik bekommen", sagt Marie. "Ich war in einer sehr vulnerablen Situation, weil ich unten lag und er über mir, ich konnte mich nicht bewegen." Sie glaubt: "Wenn Männer in Pornos sehen, wie Frauen gewürgt und geschlagen werden, dann normalisieren sie das und denken, es ist okay, Frauen so zu behandeln."

Sexuelle Probleme nehmen zu

Damit hat sie nicht unrecht. Die Sexualberaterin Beatrix Roidinger bekommt in ihrer täglichen Arbeit mit, was es mit Männern macht, die bereits in jungen Jahren viel Pornografie konsumieren. In ihre Praxis kommen Männer – viele davon noch recht jung –, die sexuelle Probleme wie Erektionsstörungen oder Orgasmusprobleme haben. Diese Männer kämpfen oft mit der Diskrepanz zwischen Video und Realität: "Viele Jugendliche haben, bevor sie noch überhaupt mal Händchen gehalten haben, Videos von Gruppensex, Analverkehr und BDSM-Sex gesehen", sagt Roidinger. Das präge oft ein Bild davon, wie Sex zu funktionieren habe.

"Ein Bild, das in der Realität sehr oft scheitert", sagt Nicole Kienzl, Sexual- und Paartherapeutin. Vor allem in Mainstream-Pornos werde gezeigt, dass der Mann dominiere, die Frau sich anpasse. Weil der Kontakt mit Pornos in immer jüngeren Jahren stattfinde, würden hier laut Kienzl "falsche Verhaltensmuster angelernt". In der Realität seien Männer oft enttäuscht, wenn Frauen nicht wie in den Videos reagierten. Wenn Stellungen als nicht angenehm empfunden, bestimmte Praktiken abgelehnt würden oder Orgasmen ausblieben.

Pornografie per se will Kienzl nicht verurteilen. Pornos könnten auch als Inspiration dienen. Damit seien sich auch einige Themen enttabuisiert worden. "In der Realität muss aber klar sein, dass beide Sexualpartner ihre Wünsche, Bedürfnisse und Erfahrungen einbringen dürfen", sagt die Expertin und erklärt: "Frauen wissen oft auch nicht mehr, was sie wollen oder schön finden. Viele machen, was der Mann will oder vorgibt, und sind mittlerweile ganz weit weg von ihrer eigenen Sexualität und ihren Bedürfnissen." Frauen gingen beim Sex oft über ihre Grenzen, nur um zu gefallen. Dass Pornovideos gestellt und inszeniert seien, sei ein Fakt, den vor allem junge Männer ausblendeten. "Für viele Männer ist das, was sie in Clips sehen, eine Art Vorlage. Doch Sex ist mehr als nur die Penetration, die man im Video sieht", sagt Kienzl. Sinnlichkeit, sich füreinander Zeit nehmen, Lust aufbauen – all das fehlt aber im Porno.

Von Höhepunkt zu Höhepunkt

"Ein Porno ist in etwa so realistisch, wie der Film Stirb langsam echte Polizeiarbeit zeigt", bringt es Psychotherapeut und Sexualtherapeut Wolfgang Wilhelm auf den Punkt. Hinzu komme, dass die gratis verfügbaren Clips oft lediglich Höhepunkte zeigten. Wer sich in Sekundenvideos von Höhepunkt zu Höhepunkt klicke, dürfe sich nicht darüber wundern, dass das nicht der Realität entspreche. "Doch diese Barriere geht in vielen Fällen verloren", sagt Wilhelm. Letztlich erzeugten diese Eindrücke bei Männern oft einen falschen Leistungsdruck. Wilhelms berufliche Erfahrung zeigt, "dass sich Sexualpartner immer weniger miteinander abstimmen. Man agiert Fantasien am anderen ab." Damit nehme die sexuelle Frustration zu – letztendlich für Männer und Frauen. Kompensiert werde das oft über eine Reizsteigerung. Übrig blieben Dates wie jene von Valerie und Marie.

Samuel* hat das für sich erkannt. Er war zehn oder elf Jahre alt, als ein Freund ihm den ersten Porno gezeigt hat. Mit 14 hat er selbst nach Videos gesucht. "Was ich gesehen habe, war viel männliche Dominanz. Es war klar bestimmt, es gibt die passive und die aktive Rolle, und es geht primär darum, den Mann zu befriedigen", reflektiert der heute 25-Jährige, der in einer betreuten Wohngemeinschaft für Jugendliche arbeitet und Philosophie studiert. "Es waren Szenen, bei denen ich mich gefragt habe, macht das jetzt grad für beide Spaß?" Samuel fand das befremdlich und erniedrigend gegenüber den Frauen.

Pornos schaut er immer noch. Wenn er heute Videos sucht, dann gezielt nach Content, der von Mainstream-Pornografie abweicht. "Diese Clips zeigen ein Vorspiel, man sieht unterschiedlichere Körperformen und auch den weiblichen Orgasmus. Das ist auf jeden Fall besser." (Bettina Pfluger, Clara Wutti, 24.6.2024)