Wird in Österreich oder Deutschland ein Schmerzmittel verschrieben, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Metamizol enthalten ist. Landläufig ist der Wirkstoff besser bekannt als Novalgin. Nur Ibuprofen ist noch verbreiteter. Aktuell gibt es in Europa, konkret im Industriepark in Frankfurt-Höchst, noch ein Werk, das Novalgin herstellt – doch das ändert sich Ende 2025. Nach mehr als 100 Jahren schließt der französische Pharmakonzern Euroapi diesen Standort in Deutschland und verlegt die Metamizol-Produktion nach China, wie unter anderem Der Spiegel berichtet. Betroffen sind 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Somit rutscht Europa bei diesem Wirkstoff in die völlige Abhängigkeit von China, denn nur noch dort wird das Mittel weiter hergestellt. Das birgt bereits bekannte Risiken. Verschärfen sich Handelskonflikte, könnte die Lieferung begrenzt oder eingestellt werden, oder chinesische Hersteller erhöhen massiv die Preise.

"Diese Art von Abhängigkeit ist nicht neu, Novalgin ist nur ein weiterer Fall. Bei Antibiotika ist die Situation schon länger so", sagt ein Sprecher der Österreichischen Apothekerkammer zum STANDARD. Diese Entwicklung sei nicht so leicht rückgängig zu machen. "Selbst wenn es ausreichend politischen Willen gibt, in Europa die entsprechenden Strukturen aufzubauen, dauert das mindestens zehn Jahre. Und die Medikamente werden teurer."

Arbeiter sind an einer Medikamentenproduktionslinie der Youcare Pharmaceutical Group in Peking während einer von der Informationsabteilung des Staatsrates organisierten Medientour zu sehen.
Bis Ende kommenden Jahres soll Metamizol noch in Deutschland produziert werden, danach ist man auf China angewiesen.
APA/AFP/JADE GAO

Alles eine Kostenfrage

Euroapis Grund, die Produktion nach China zu verlagern, liegt in der Kostenstruktur, heißt es im Spiegel-Bericht. In Deutschland kostet eine Packung Novalgin zwölf Euro. Unterm Strich bleiben dem Hersteller nach allen Abzügen, etwa für Apotheke, Krankenkassa, Großhandel und Steuer, laut dem Beratungsinstitut Iges nur 29 Cent pro Packung. In Österreich, wo Novalgin vor allem im Krankenhausbetrieb sehr beliebt ist, ist das Mittel sogar noch günstiger als in Deutschland.

Besonders die Produktion von patentfreien und dadurch günstigen Generika hat sich in den vergangenen 20 Jahren immer mehr nach Asien verlagert. Das gilt auch für Ibuprofen, Paracetamol und diverse Breitband-Antibiotika. Im Jahr 2000 wurden noch rund zwei Drittel aller generischen Wirkstoffe in Europa produziert, ein Drittel in Asien. Laut einer Studie der Unternehmens­beratung Mundicare hat sich dieses Verhältnis umgekehrt, und fast 70 Prozent kommen nun aus China oder Indien. Die Studie stammt zwar aus dem Jahr 2020, doch der Trend hat sich seither nicht verändert.

700 Medikamente einlagern

Medikamenten-Engpässe sind hierzulande spätestens seit der Corona-Pandemie nichts Unbekanntes mehr. Man erinnere sich an die jüngste Grippewelle zurück, da mangelte es an Schmerzmitteln, aber auch Antibiotika, Husten- und Fiebersäften für Kinder oder Blutdrucksenkern. Daraus resultierend hat Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Donnerstag eine neue Verordnung vorgestellt, wonach Pharma-Unternehmen in Österreich dazu verpflichtet werden, ihre Lagerbestände an kritischen Arzneimitteln zu erhöhen: Sie müssen von rund 700 wichtigen Medikamenten einen Bedarf von vier Monaten einlagern, DER STANDARD hat berichtet. Dazu zählen Schmerzmittel, Antibiotika, Medikamente gegen Erkältungssymptome, aber auch Präparate für chronische Herz-Kreislauf- oder Lungen-Erkrankungen.

Jemand macht eine Schublade in einer Apotheke auf. 
Die Pharmaindustrie wird dazu verpflichtet, ihre Lagerbestände an kritischen Arzneimitteln zu erhöhen. Sie muss rund 700 wichtige Medikamente für einen Bedarf von vier Monaten einlagern, dazu gehören Mittel gegen Erkältungssymptome, aber auch Schmerzmittel und Antibiotika.
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"Gut gemeint, nur bedingt zielführend"

Weniger erfreut von dem Vorschlag zeigt sich der Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie Pharmig, Alexander Herzog. "Wir verstehen, dass die Politik zur Sicherstellung der Medikamentenversorgung aktiv sein möchte und es auch ist. Allerdings sind nationale Vorratslager nicht die richtige Lösung. Sie kosten viel Geld, sind aufwendig in der Betreibung und können die Medikamentenversorgung durch das zusätzliche Umlenken der Ware noch verschärfen", schreibt Herzog in einer Aussendung. Im Ö1-Morgenjournal sagte er, die Maßnahme sei "gut gemeint, aber nur bedingt zielführend". Die pharmazeutische Industrie habe die Produktion ohnehin schon "bis zum Anschlag hochgefahren". Das Problem sei daher nicht die Produktion, sondern die Verteilung. Das Versorgungsproblem könne nur europaweit gelöst werden.

Produktion nach Europa holen

Anfang April ließ die Österreichische Ärztekammer, wie berichtet, mit der Forderung aufhorchen, Medikamente wieder vermehrt in Österreich zu produzieren. Laut einer Liste des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen seien damals 547 Arzneispezialitäten nicht oder nur eingeschränkt verfügbar gewesen, derzeit sind es 522. Die Lieferengpässe bei Arzneien hätten inzwischen ein Ausmaß erreicht, "das es in einem der reichsten Länder der Welt nicht geben dürfte", sagte Kammerpräsident Johannes Steinhart. Sowohl die lokale Politik als auch die EU müssten sich darum bemühen, Produktionsstätten wieder vermehrt zurück nach Europa zu bringen. (Andreas Danzer, 21.6.2024)