"Um guten Naturschutz umzusetzen, brauchen wir keine Bevormundung aus Brüssel." Sagt Herbert Kickl? Nein, es ist Bundeskanzler Karl Nehammer, zugleich Vorsitzender der ÖVP, der früheren Europapartei. "Da kommt dann die Keule aus Brüssel", sagte Georg Strasser, Präsident des Österreichischen Bauernbundes, einer Teilorganisation der ÖVP und der mächtigsten Bauernvertretung im Lande.

Bauernbund-Präsident Georg Strasser bei einer Rede.
EU-Bashing ohne Basis: Bauernbund-Präsident Georg Strasser.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Was ist da los? Ist die ÖVP keine Europapartei mehr? Verwendet der VP-Bauernbund da plötzlich Vokabel aus dem Arsenal des Rechtspopulismus?

Zwei Prämissen

Das hier ist keine Abhandlung über die Berechtigung oder Nichtberechtigung zur Empörung über das Renaturierungsgesetz und sonstige "grüne" Maßnahmen, die die Land- und Forstwirtschaft betreffen. Dazu versteht der Autor zu wenig vom Agrarwesen.

Nur zwei Prämissen seien erwähnt: Es ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn all die Umweltschützer und ein großer Teil der Öffentlichkeit inzwischen der Meinung sind, dass nicht alles zum Besten steht mit unseren ökologischen Verhältnissen; ebenso wenig ist es pure Verstocktheit, wenn die Vertreter der Bauernschaft darauf hinweisen, dass weder in der Ökonomie noch in der Ökologie alles so einfach ist.

Zornige Defensive

Bauernvertreter sind hervorragend organisiert, Traktorendemos sind relativ leicht in Fahrt zu bringen, die Lobbyisten sind in der Politik sehr, sehr gut vernetzt. Man muss die Landwirtschaftslobby aber an etwas erinnern: Sie ist in großem Maß vom guten Willen der Allgemeinbevölkerung abhängig. Der Sektor ist hochsubventioniert, auch und gerade aus "Brüssel". Das hat seinen Sinn, weil Versorgungssicherheit und die Pflege der Kulturlandschaft etwas wert sind. Es ist aber kein Freibrief für Ignorieren der Interessen der Allgemeinheit.

Der Reflex, jede Kritik als ungehörig, ahnungslos und Spinnerei von Bobo-haften Städtern zu empfinden und entsprechend darauf zu reagieren, ist nicht mehr zeitgemäß. Er ist auch kontraproduktiv für die Bauern.

Besser wäre es, ruhig, sachlich und auch empathisch auf die Sorgen der nichtbäuerlichen Bevölkerung einzugehen. Zu argumentieren, statt zu polemisieren. Besser wäre es auch, nicht so zu argumentieren wie Bauernbund-Präsident Strasser in der ZiB 2 – nach einer Studie des Landwirtschaftsministeriums wäre die Zahl der Insekten "in den letzten 30 Jahren stabil geblieben – trotz Klimawandels". Das steht im Widerspruch nicht nur zum Augenschein auf jeder Windschutzscheibe im Sommer, sondern auch zu einer großangelegten deutschen Studie, wonach drei Viertel aller Fluginsekten im Verlauf von nicht einmal dreißig Jahren verschwunden sind. Auch die Autoren der österreichischen Landwirtschaftsstudie meldeten sich: Die Zusammensetzung der Arten habe sich drastisch verändert.

Keine Basis

Vor rund 30 Jahren stimmten die Österreicher über den Beitritt zur Europäischen Union ab, mit einem Sensationsergebnis: 66,6 Prozent Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 82 Prozent. (Heute würden übrigens nur rund 20 Prozent aus der EU wieder austreten wollen, bei aller Kritik.)

Das EU-Bashing, das die ÖVP und die Bauernvertreter veranstalten, hat keine wirkliche Basis in der Gesamtbevölkerung. Überdies haben sich die Zeiten geändert – niemand glaubt, dass ein Renaturierungsgesetz die Lebensmittelversorgung ernsthaft stören würde. Aber sehr viele wollen mehr Naturschutz. Die Vertreter der Landwirtschaft sollten daher aus der zornigen Defensive in den Modus "empathische Argumentation" wechseln. (Hans Rauscher, 21.6.2024)