Donald Sutherland 1973 in Nicolas Roegs "Wenn die Gondeln Trauer tragen".
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Einmal, so erzählte 2017 der zu der Zeit 82-jährige Donald Sutherland in einem Interview, sei er als Teenager zu seiner Mutter gegangen und habe gefragt: "Bin ich attraktiv?" Seine Mutter habe eine lange Pause gemacht, ihren in die Höhe geschossenen schlacksigen Buben mit den großen Ohren angeschaut und dann gesagt: "Dein Gesicht hat Charakter, Donald."

Dieses Charaktergesicht verhalf dem am 17. Juli 1935 geborenen Kanadier zu einer einzigartigen Schauspielkarriere. Einfach sei es nicht gewesen, gab er an. Er nahm sich in einem Berufsfeld, das die Schönheit verehrt, als unattraktiven Kerl wahr. Anfangs spielte er denn auch in B-Movies, einmal bekam er eine Rolle nicht, weil er nicht aussah wie der nette Kerl von nebenan. Eben deshalb hatte er wohl bei den wilderen Regisseuren einen Stein im Brett. "Du da mit den großen Ohren", rief Robert Aldrich 1967 und forderte ihn auf, den Schauspielkollegen Clint Walker in Das dreckige Dutzend zu ersetzen, weil dieser sich weigerte, eine Blödelszene zu spielen.

Donald Sutherland mit seiner dritten Ehefrau, der Schauspielerin Francine Racette, 1975 in Cannes.
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Ein anderer Robert, Nachname Altman, besetzte ihn 1970 in seiner Kult-Kriegssatire MASH als Hawkeye Pierce, einen flirtenden Lazarettarzt mit juckender Nase und ohne Scheu vor Fleischwunden. Wie Sutherlands Figur ist der Film außer Rand und Band, MASH vermittelt den Horror des Koreakriegs, ohne ihn zu zeigen.

Nachhaltig bewegt hat Sutherland Generationen von Filmliebenden in einem der traurigsten Horrorthriller überhaupt: 1973 spielte er in Nicolas Roegs Don't Look Now (zu Deutsch: Wenn die Gondeln Trauer tragen) an der Seite von Julie Christie. Nicht nur die schönste Liebesszene der Filmgeschichte ist in dem Meisterwerk zu finden, auch die Lagunenstadt Venedig mit ihren Gassen und verfallenen Kirchen ist nirgends sonst so atmosphärisch in Szene gesetzt.

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Kein Oscar

Die 1970er waren Sutherlands Ära. Mit dem eisblauen, leicht wässrigen Blick, seiner prägnanten Stimme und der Schneckerlfrisur nach der Mode der Zeit griff er eine legendäre Rolle nach der anderen ab. In Alan Pakulas Klute spielte er den Titelhelden an der Seite von Callgirl Bree (Jane Fonda), das mit seiner Hilfe einem bedrohlichen Killer trotzt. Fonda erhielt dafür ihren ersten Oscar, eine Auszeichnung, die Sutherland abgesehen vom Ehren-Oscar 2018 verwehrt blieb. Ebendas zeigt auch seine menschliche und sympathische Seite: Der Kanadier war nie einer, der sich auf Oscar-Rollen gestürzt hätte. Stattdessen hat ihn das angezogen, was den Massen nicht gefällt. Mit Fonda ging Sutherland auf Anti-Vietnam-Ralley, in Bernardo Bertoluccis 1900 spielte er einen faschistischen Gutsverwalter, für Federico Fellini schlüpfte er ins Drag-Kostüm eines Casanova.

Den überdrehten B-Movie-Charakteren seines Karrierestarts blieb er auch später noch mit viel Herzblut treu, etwa in Die Körperfresser kommen (1978), Clint Eastwoods Space Cowboys (2000) oder Fernsehshows wie Dirty Sexy Money (2007). 200 Rollen zählt seine Filmografie, bis 2023 drehte er, zuletzt vor allem im Serienfach.

Seine Figuren, ob Haupt- oder Nebenrollen, waren stets doppelbödig und schienen vertraut mit sämtlichen menschlichen Gefühlslagen. Im Kino bewies er dieses Talent zuletzt in der Trilogie Tribute von Panem als teuflisch-väterlicher Präsident Snow mit schneeweißem Haar. Der vormals kleine Part wurde extra für ihn ausgebaut.

Fünf Filme im Jahr drehte Sutherland, dreimal war er verheiratet, fünf Kinder sind aus der zweiten und dritten Ehe hervorgegangen. Sein Sohn Kiefer Sutherland folgte ihm erfolgreich ins Schauspielfach. Gemeinsam standen sie 1996 in der John-Grisham-Verfilmung Die Jury vor der Kamera. Kiefer Sutherland verkündete nun den Tod seines Vaters, der nicht nur laut der Meinung seines Sohnes ein wahres Ausnahmetalent in der Kinogeschichte war. "Er liebte, was er tat, und tat, was er liebte, und mehr kann man sich nicht wünschen. Er hatte ein gutes Leben." Am Donnerstag ist der unverwechselbare Charakterschauspieler Donald Sutherland in seiner Wahlheimat Miami mit 88 Jahren verstorben. (Valerie Dirk, 21.6.2024)

Video: Trauer um kanadische Schauspiellegende Donald Sutherland
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