Schon die Europawahlen haben an den Finanzmärkten Skepsis keimen lassen. Vor allem gegenüber Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron nach einem Erdrutschsieg des rechtsnationalen Rassemblement National Neuwahlen angesetzt hat. Französische Aktien, insbesondere Banken, rutschten deutlich ab, Staatsanleihen gerieten unter Druck, da Ratingagenturen ihre Einschätzung der Kreditwürdigkeit des Landes absenkten. Nun erfolgte der nächste Rücksetzer: Die EU-Kommission leitet gegen Frankreich und sechs weitere EU-Länder Strafverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung ein. Ist das schon der Auftakt zu einer neuen Staatsschuldenkrise?

Mehrere Menschen mit Frankreich-Fahnen.
Die EU-Kommission ist kein Fan des französischen Finanzgebarens und leitet ein Defizitverfahren ein: Die Neuverschuldung war im Vorjahr mit 5,5 Prozent des BIP fast doppelt so hoch wie erlaubt.
AFP/BERTRAND GUAY

Neben Frankreich und Italien sind Belgien, Ungarn, Malta, Polen und die Slowakei betroffen, gegen Rumänien ist bereits ein Verfahren anhängig. Die EU-Schuldenregeln sehen eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) vor, nachdem Verstöße dagegen wegen der Corona-Krise geduldet worden sind, werden Schuldensünder von der Kommission nun wieder an den Pranger gestellt. Wird ein Strafverfahren eingeleitet, muss ein Land Gegenmaßnahmen einleiten, um Verschuldung und Defizit zu senken. Dabei sticht Frankreich unrühmlich hervor, im Vorjahr wurden 5,5 Prozent des BIP an neuen Schulden angehäuft. Auf einen ohnehin bereits beachtlichen Schuldenberg, der unter Macron auf fast 111 Prozent des BIP, das ist die dritthöchste Quote hinter Griechenland und Italien, gewachsen ist.

Große Verunsicherung

Die anstehenden Neuwahlen bringen weitere Unsicherheiten ins Spiel, Eigentlich wollte der französische Finanzminister heuer etwa 20 Milliarden Euro einsparen, doch ob diese Pläne halten, ist angesichts einer wahrscheinlichen Verschiebung der innenpolitischen Machtverhältnisse unsicher. Denn Marine Le Pens Rassemblement National hat zwar derzeit in Umfragen die Nase vorn, allerdings ist der Wahlausgang ebenso unsicher wie die finanzpolitische Kurs der Partei. "Es ist also schon völlig unklar, welchen Einfluss die Rechtsnationalen am Ende wirklich haben werden", zitiert die Süddeutsche Zeitung Carsten Brzeski, Chefökonom der ING-Bank.

Allerdings ist der Schaden bereits angerichtet, die zwei großen US-Ratingagenturen S&P und Fitch haben für französische Staatsschulden den Daumen gesenkt und ihre Einstufung auf AA- herabgesetzt. Zum Vergleich: Deutschland hat bei beiden Agenturen das Toprating AAA, jenes Österreichs liegt mit AA+ auf der zweitbesten Stufe. Das hat die sogenannten Risikoaufschläge gegenüber dem deutschen Klassenprimus nach oben getrieben, sodass Frankreich mit 3,15 Prozent für zehnjährige Schulden um 0,73 Prozentpunkte höhere Zinsen bezahlen muss. "Das werden der Staat, Banken und Unternehmen zu spüren bekommen", erklärt Guido Versondert von der Ratingagentur Independent Credit View.

Italien angesteckt

Zudem ist die Verunsicherung längst auf Italien übergesprungen, wo Aktien und Anleihen sogar noch stärker unter Druck gerieten. "Die Märkte wissen nicht, was Le Pen tun wird. Und Italien zahlt für die Ungewissheit", sagt Veronica De Romanis, Ökonomin an der Universität Luiss in Rom. Allerdings kommt das nicht ganz unerwartet, schließlich gilt das Land mit einer Schuldenquote von derzeit 137 Prozent seit der Euro-Schuldenkrise des vergangenen Jahrzehnts als finanzielle Achillesferse der Eurozone. Im Vorjahr betrug das Defizit 7,2 Prozent des BIP, derzeit bewerten die Ratingagenturen S&P und Fitch die Kreditwürdigkeit jeweils mit BBB, also deutlich schlechter als jene Frankreichs. Italien muss für zehnjährige Schulden daher noch tiefer in die Tasche greifen und 3,95 Prozent Zinsen pro Jahr zahlen. "Das Risiko einer Ansteckung ist wieder da, wie vor mehr als zehn Jahren", ergänzt De Romanis.

Gelassen geben sich die Experten von Raiffeisen Research hinsichtlich nun einer drohenden Neuauflage der Schuldenkrise. "Die aktuelle fiskalische Situation Frankreichs ist im Vergleich zu anderen Eurozonen-Kernländern als schlecht einzustufen", räumen die Autoren Jörg Bayer und Manuel Schleifer in einer Spezialanalyse ein. Mit Le Pens Partei in der Regierung würde das Risiko weiterhin sehr hoher Defizite sogar steigen. Jedoch habe sie sich von Gedanken eines Austritts aus der EU oder der Eurozone verabschiedet, ihre Partei könnte ein geringeres fiskalisches Risiko darstellen als befürchtet. Daher lautet das Fazit der Raiffeisen-Analysten: "Die nächste Eurokrise steht aktuell nicht an." (Alexander Hahn, 21.6.2024)