"Für ein Fest gemacht" von 1936 zeigt Hannah Höchs Unwohlsein angesichts der neuen, durch die Massenmedien Illustrierte und Werbung verbreiteten Schönheitsnormen.
Bildrecht, Wien 2024

Alles so braun hier – der Gedanke befällt einen anfangs in der neuen Ausstellung zu Hannah Höch im Unteren Belvedere. Dazu aber später, denn "Alles so braun hier" dachte sich auch die Künstlerin in den 1930ern angesichts des aufkeimenden Faschismus und seiner Bildpropaganda. Als Kommentar fertigte sie Fotomontagen an, also Collagen aus gefundenem, zerschnittenem und mit deutlich sichtbaren Brüchen und Übergängen neu arrangiertem Material. Sie sind in ihrer Pointiertheit, auch Flapsigkeit genial witzige Blätter. Die starken Männer kombiniert vor angewinkeltem Bizepsarm ein sehr zerknautschtes Gesicht. In Ertüchtigung lässt Höch einen androgyn verdrehten Greis und ein Baby turnen. Dem Fass den Boden aus schlägt aber Deutsches Mädchen: Zwischen biederer Duttfrisur oben und Perlenkette unten steckt ein rundliches Gesicht mit Augenfehlstellung und – no na – abhanden gekommener Denkerstirn. Ein böser Zwilling des Ideals der deutschen Frau.

Montierte Welten heißt die Schau, die Höch als widerständige Bildkünstlerin vorführt, die bis heute zu wenig wahrgenommen wird. Und das, obwohl sie (1978 in Westberlin gestorben) eine Miterfinderin der Fotomontage war und zu den ersten Künstlerinnen gehörte, die vorgefundene Bilder der Massenmedien künstlerisch verwerteten. Martin Waldmeier, Kurator am Schweizer Zentrum Paul Klee, mit dem gemeinsam die Schau entstanden ist, beschreibt Höch überhaupt als "Vordenkerin der Konzept- und Medienkunst" und der Medienkritik in der Hinsicht, wie sie "die mediale Bilderflut, wie diese Bilder unseren Blick lenken und wie wir über Bilder die Welt verstehen" analysiert hat.

Schnitte und Bilder

Es trafen sich in Höch mehrere glückliche Umstände. 1889 in Gotha geboren, hatte sie schon in ihrer Jugend ein Interesse für die Collage (die Schau hält Proben bereit) und später in Berlin bei Ullstein, dem damals größten deutschen Zeitschriftenverlag, zu arbeiten begonnen – für den sie Modeschnittmuster entwarf. Gut im Umgang mit der Schere einerseits, hatte sie durch den Beruf andererseits Zugang zu einer großen Zahl von Bildern. Darüber hinaus sah sie im neu boomenden Medium Zeitschrift, wie mittels Bildern Geschichten erzählt wurden. Das faszinierte sie auch am Film – entstand doch hier wie dort ein Ganzes erst durch das Zusammenstückeln: auf Papier nebeneinander, im Film hintereinander.

Dieses Porträt zeigt die Künstlerin Hannah Hoch, die Verwischung ergibt sich aus der doppelten Belichtung: Zwei Aufnahmen überlagern einander.
Bildrecht, Wien 2024

Beidem trägt die facettenreich und umsichtig kuratierte Ausstellung Rechnung. Mehrere Filme, die Höch beeindruckt haben, was man Listen entnehmen kann, laufen in Nebenräumen. Den Einfluss der Massenbilder auf Höchs Schaffen erklären indes die Exponate eindrucksvoll. Bilder von Menschen, seien es Politiker, Promis oder No-Names, wurden ab den 1920ern in Illustrierten und Werbung medial so massiv wie nie zuvor verbreitet, und so kristallisierten sich an ihren Beispielen Normen, etwa für Schönheit. Eine davon: Frauen müssen lächeln. Höch reagierte darauf, löste einen besonders breiten Mund aus seinem Kontext und fokussierte durch Zuschnitt ganz auf ihn (1925). Oder sie setzt einen riesigen lachenden Kopf auf einen viel zu kleinen Körper im Badeanzug (1936). Mit Kindern konnte sie auch nicht viel anfangen: schreiende Schädel auf Stummelbeinen (Unsere lieben Kleinen).

Aktuelles als Rätsel

Auch wenn sich bis zum Naziregime die Themen der Zeit – von Kriegstraumata über Hyperinflation bis hin zu technischem Fortschritt – in Höchs Werk spiegeln: Als so direkt politisch wie das Schaffen der Dada-Kollegen Raoul Hausmann (mit dem sie liiert war) oder John Heartfield will die Schau Höchs Werk nicht missverstanden wissen. Nationalismus oder Militarismus lehnt auch sie sichtlich ab. Aber Belvedere-Direktorin Stella Rollig betont im Vergleich mit den Kollegen die "feine Klinge der Analyse, des Humors, der Satire" und des Rätsels.

1925 mischte Hannah Höch fortwirkende Traumata des Ersten Weltkriegs mit den Jüngsten der Gesellschaft: "Kinder".
Bildrecht, Wien 2024

Wohl deshalb hat sich Höch ab den 1940ern – die Nazizeit verbrachte sie in der inneren Emigration in ihrem Häuschen in Berlin-Heiligensee, wo sie bis zuletzt lebte und während des Krieges eigene und fremde, als "entartet" eingestufte Werke vor den Nazis vergrub – vom Dadaismus distanziert.

Stattdessen rückte sich Höch in die Nähe zum Surrealismus mit Max Ernst als ihrem engsten Wesensverwandten. Ganz diesem Geist verschrieb sie sich nun auch bis zum Lebensende. Und hier dreht sich die Ausstellung in mehrfacher Hinsicht komplett. Einerseits spielte in den Werken der Frühzeit, in der Fotografie und im Druck der Jahre, als jene entstanden, Farbe – Stichwort "Alles so braun hier" – noch lange keine Rolle. Die vorgefundenen Fotos jetzt nehmen aber Fahrt, äh, Farbe auf.

"Um einen roten Mund" von 1967 ist ein Beispiel für Hannah Höchs spätes Werk. Ausgangsmotive werden in der Montage auf Farben und Formen reduziert.
Bildrecht, Wien 2024

Fantastik von Traumwelten

Andererseits treten zugleich an die Stelle erkennbarer Motive reine Farben und Formen. Höch zerschneidet Ausgangsfotos nun weniger den abgebildeten Objekten folgend, sondern in Drei- und Rechtecken sowie freien Formen. Kristallin oder organisch wieder zusammengesetzt, heißen die Werke dann Schöner Erdgeist oder Geordnetes Farbenspiel. Anderswo bilden Meereswogen und Pflanzen mal pastellige, mal kräftiger fantastische, wie aus Kinderbilderbüchern oder Traumwelten stammende Szenen. Die Augen verlieren sich. Diese späten Arbeiten sind so wundervoll leicht wie die früheren treffend scharf! (Michael Wurmitzer, 21.6.2024)