Für Menschen gilt die Altersklasse 30 bis 40 gemeinhin noch als jung, für ein Gebäude ist es die kritische Phase, in der sich schon bedenkliche Zipperlein manifestieren. Es zieht, es friert, es bröckelt, die Normen der heutigen Generation – Barrierefreiheit, Energieeffizienz – versteht man nicht mehr. Oft heißt es dann Lebewohl, und der bekannte Zyklus nimmt seinen Lauf: Absiedlung, Abbruch, Bauschuttdeponie, neues Bauschild, Spatenstich, Gleichenfeier, Eröffnung. Bis 30 Jahre später auch der Nachfolgebau die Abrissbirne nahen spürt.

Die Wohnanlage im Salzburger Stadtteil Aigen wurde von der Heimat Österreich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen modernisiert.
Christof Reich

Das gilt als normal, ist es aber eigentlich nicht. Denn vor dem Zeitalter fossiler Brennstoffe war das Reparieren und Sanieren die Regel, nicht der Abriss. Der Abriss-Bauschutt-Neubau-Zyklus ist auch ein wesentlicher Grund, warum die Bauwirtschaft heute für rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Hier spricht die CO2-Bilanz unter Einbeziehung der Grauen Energie, die bei Transport und Herstellung der Baustoffe entsteht, den meisten Berechnungen zufolge fast immer klar für die Sanierung. Aber diese ist eben, um ein österreichisches Bonmot zu bemühen, sehr kompliziert. Das will sich nicht jeder Bauherr antun.

Wie es aussehen kann, wenn man sich das doch antut, kann man an einer Wohnanlage an der Friedrich-Inhauser-Straße im Salzburger Stadtteil Aigen sehen – und zwar auf den ersten Blick, denn Alt und Neu greifen hier optisch wie zwei Puzzlestücke ineinander. Das sieht einfach aus, doch dahinter steckt sehr viel Pionierarbeit, denn im Inneren sind Alt und Neu auf vielfache Weise voneinander durchdrungen.

Die 1985 errichtete Anlage mit 75 Mietwohnungen war, wie es so schön heißt, in die Jahre gekommen. Die Fenster waren undicht, die Balkone marode, die Heizkosten exorbitant. Doch der gemeinnützige Bauträger Heimat Österreich entschied sich gegen die üblichen Alternativen Abbruch oder einfache thermische Sanierung und für ein Forschungsprojekt mit dem Salzburger Institut fu¨r Raumordnung und Wohnen (SIR). Dieses erstellte mit den Studien "ZeCaRe" (Zero Carbon Refurbishment) und "ZeCaMo" (Zero Carbon Mobility) ein Gesamtkonzept für eine Ertüchtigung mit geringem ökologischen Fußabdruck. Eine umfassende Begleitforschung wurde durch den Klima- und Energiefonds im Rahmen der "Smart Cities Initiative" finanziert. Die architektonische Umsetzung lieferten cs-architektur (Christoph Scheithauer) und Stijn Nagels.

Die Frage der Mobilität wurde beim Projekt der Heimat Österreich von Beginn an mitgedacht. Ein Mobility Point liefert den Bewohnerinnen und Bewohnern mit Sharing-Angeboten, Fahrradgarage und E-Ladestationen eine Bandbreite an Möglichkeiten.
Volker_Wortmeyer

24 Wohneinheiten mehr

2021 war das Pilotprojekt fertig. Ein Viertel der Mieter war zurückgekehrt, die kernsanierten Bestandswohnungen hatten barrierefreien Zugang, verbesserte Grundrisse und Balkone bekommen, zusätzlich war die Siedlung um 24 weitere Wohneinheiten gewachsen – und zwar nach oben. Die zweigeschoßigen Aufstockungen wurden als Holz-Hybridbauweise mit Holzlattenfassade und Holzwolle-Zellulose-Dämmung errichtet und sitzen als leichter Gupf auf dem weiß verputzten Neu-Altbau, der seine Giebelwandsilhouette behalten durfte. So geht Nachverdichtung ohne Klaustrophobie – und in den Höfen dazwischen wuchert das Urban Gardening.

Nicht nur die helle Wohnlichkeit, auch die nüchternen Zahlen legen nahe, dass sich das Experiment gelohnt hat. Die Gesamtkosten betrugen 2250 Euro brutto pro Quadratmeter Bruttogeschoßfläche, der Heizwärmebedarf liegt bei 28,6 kWh/m2a. Statt mit Gas wird mit Pellets geheizt, die Wärmeversorgung wird zu 75 Prozent durch Wärmepumpen mit Wärmerückgewinnung aus den Abwässern gedeckt, 20 Prozent des Gesamtstrombedarfs kommt aus der Photovoltaik. Von Beginn an mitgedacht war die Frage der Mobilität – ein besonders wichtiger Aspekt im notorisch individualverkehrsvernarrten Salzburg. Heute bietet ein Mobility Point mit Sharing-Angeboten, Fahrradgarage und E-Ladestationen den Bewohnern eine Bandbreite an Möglichkeiten an, der Stellplatzschlüssel schrumpfte von 1,2 auf 0,8.

Volker_Wortmeyer

"Wir wollten uns anschauen, wie man Wohnbau, Bestandssanierung und Quartierentwicklung neu denken kann", sagt Stephan Gröger, Direktor der Heimat Österreich. "Dieses Projekt war alles andere als alltäglich. Wir waren mutig, wir haben uns getraut, Neues auszuprobieren, und wir hatten ein Team, das für das Thema wirklich gebrannt hat."

Zahlreiche Auszeichnungen

Der nächste Schritt werde jetzt sein, die Erkenntnisse aus diesem Wohnbau skalierbar und multiplizierbar zu machen. "Denn das ist eine der zentralen Bauaufgaben der Zukunft."

Drei Jahre nach Fertigstellung kann sich das Projekt mit dem offiziellen Namen "Wir InHauser" schon eine Reihe von Auszeichnungen ins Holzregal stellen: klimaaktiv GebäudeStandard Gold, den Bauherrenpreis 2022 und ganz aktuell auch den Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2024. (Maik Novotny, 27.6.2024)