Am 3. Juni 2024 ist Brigitte Bierlein verstorben, deren Lebenswerk zu Recht sehr intensiv gewürdigt wurde. Knapp zwei Wochen später verstirbt Ludwig Adamovich, den ich nach sorgfältiger Überlegung für den wichtigsten Verfassungsrechtler unserer Zweiten Republik halte.

Adamovich war im wahrsten Sinne des Wortes eine Stütze des Rechtsstaats. Die Funktionen, die ihm übertragen wurden – nämlich Leiter des Verfassungsdiensts im Bundeskanzleramt, langjähriger Präsident des Verfassungsgerichtshofs und Berater für Verfassungsfragen in der Präsidentschaftskanzlei –, seine Lehrtätigkeit als Universitätsprofessor für Verfassungsrecht an den Universitäten Graz und Wien, die nahezu unüberschaubare Zahl von Büchern, Editionen, Vorträgen, Aufsätzen (mit einer beträchtlichen Bandbreite) und seine untadelige und vom Bemühen um Objektivität und Gerechtigkeit getragene Persönlichkeit rechtfertigen dieses Urteil.

Der frühere Verfassungsgerichtshofpräsident Ludwig Adamovich sitzend, rechts im Bild eine Reihe von Büchern.
Prägender Verfassungsrechtler der Zweiten Republik: Ludwig Adamovich (1932–2024).
Foto: Regine Hendrich

Adamovich war ein Einzelkind, hatte einen strengen Vater gleichen Namens. Adamovich senior gehörte zu den Ersten, die schon 1945 (und in den anschließenden Jahren) am Wiederaufbau der Wiener Universität mitgearbeitet haben, und er ging von 1946 bis 1955 seinem Sohn als Präsident des Verfassungsgerichtshofs voraus.

Adamovich junior wirkte auf den ersten Blick zurückhaltend und ein wenig verschlossen. Was für ein Irrtum: Er hatte in Wahrheit sehr viel Humor, konnte in Gesellschaft und im Kreis von Freunden sehr auftauen, beobachtete die politischen Entwicklungen und die in der Politik tätigen Persönlichkeiten sehr genau und mit scharfem Verstand.

Gefragte Meinung

Mitte der 70er-Jahre war Adamovich als Universitätsprofessor für Verfassungsrecht an die Universität Graz berufen worden, kehrte aber relativ bald wieder nach Wien zurück, wo ihm von Bundeskanzler Bruno Kreisky die Funktion als Leiter des einflussreichen Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt angeboten wurde. In der Person des Sektionschefs Edwin Loebenstein hatte Adamovich ein großes Vorbild.

Kreisky hatte ein Faible für kluge, fachlich höchstqualifizierte Persönlichkeiten mit ausgeprägter eigener Meinung – (auch) aus dem bürgerlichen Lager.

Politische Turbulenzen

Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt Klubobmann der SPÖ-Parlamentsfraktion. Und bei vielen Themen aus Kreiskys Regierungsprogramm, wie zum Beispiel der ORF-Reform, der Schaffung eines Ombudsmanns / einer Volksanwaltschaft, dem Zivildienst, einer Wahlrechtsreform und vielem mehr, sagte Kreisky am Ende eines Gesprächs immer wieder: "Aber setz dich bitte auch mit Adamovich in Verbindung und frag ihn um seine Meinung." Und diese Meinung hatte Gewicht.

Die Wahl von Adamovich zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs im Dezember 1983 (in den Fußstapfen seines Vaters) löste leichte politische Turbulenzen aus: Die ÖVP war gegen den vom neuen Bundeskanzler Alfred Sinowatz (auf einen Rat von Kreisky) vorgeschlagenen Adamovich, weil sie den Posten dieses Höchstgerichts als "ihrer politischen Reichshälfte zugehörig" betrachtete. Aber auch in der SPÖ gab es damals Stimmen, die meinten, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs sei seit Kriegsende ununterbrochen aufgrund von Vorschlägen der ÖVP bestellt worden, und jetzt sei wohl der Zeitpunkt gekommen, diese Praxis nicht weiter fortzusetzen.

Kärntner Ortstafeldebatte

Aber die Parteipolitik prallte an Adamovich ab, und Bundespräsident Rudolf Kirchschläger folgte dem Vorschlag des Bundeskanzlers und ernannte Adamovich zum Präsidenten, dem es in Kürze gelang, die Öffentlichkeit und auch die Welt der Juristen von seiner Unabhängigkeit und der Qualität seiner Arbeit zu überzeugen.

Schwere Angriffe vonseiten der FPÖ gab es allerdings gegen ihn nach dem sogenannten Ortstafelerkenntnis aus dem Jahr 2006, das die Rechtsstellung der slowenischen Minderheit in Österreich, insbesondere in Kärnten, deutlich verbesserte, was der Kärntner FPÖ ganz und gar nicht passte. Wenn man darüber mit Adamovich sprach, merkte man deutlich, dass ihn die unfairen und extrem unsachlichen Angriffe des FPÖ-Obmanns Jörg Haider bei aller nach außen gezeigten Ruhe doch sehr verletzten und unter die Haut gingen. Aber Adamovich behielt auch in dieser Causa juristisch und historisch recht.

Ratgeber und Vorbild

Die unentgeltliche Tätigkeit von Präsident Adamovich als Berater für Verfassungsfragen in der Präsidentschaftskanzlei hatte zur Folge, dass ich Adamovich zwölf Jahre hindurch (von 2004 bis 2016) mehrmals pro Woche in der Präsidentschaftskanzlei begegnete und ihn immer besser kennen und schätzen lernte. Er hat darüber in seinem Buch Erinnerung eines Nonkonformisten berichtet.

Ich kann abschließend nur sagen: Die Tätigkeit von Adamovich junior in der Zweiten Republik war eine besonders wichtige Stütze für den Rechtsstaat. Und er selbst wird als Jurist, als Ratgeber, als Freund, als Vorbild und als Mensch unvergessen bleiben. (Heinz Fischer, 21.6.2024)