Vizekanzler Kogler zur Koalitionsarbeit in den kommenden Wochen: "Es wird was weitergehen."
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Wien/Brüssel – Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gibt sich trotz des veritablen Krachs mit der ÖVP zuversichtlich, dass die Koalition noch weitere Projekte gemeinsam umsetzt. "Es wird was weitergehen", versicherte Kogler am Mittwoch im APA-Interview. "Wir sind ja nicht im Kindergarten oder auf irgendeinem Jugendlager, wo man sich beleidigt zur Seite dreht." Und auch eine Regierungsbeteiligung nach der Nationalratswahl hat er noch nicht aufgegeben – mit Leonore Gewessler im Team.

Dass die Grünen mit dem Ja zum Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene kurz vor ihrem Parteitag für ein Wahlkampfmanöver die Regierung riskiert hätten, wies Kogler zurück: "Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen abgewogen", betonte er. "Es war für die Natur eine lebenswichtige Entscheidung, und zwar für ganz Europa. Österreich und wir haben den Ausschlag gegeben." Es gebe keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Bundeskongress und derartigen EU-Abstimmungen. "Man muss zum richtigen Zeitpunkt richtige Entscheidungen treffen – und dafür sind wir auch gewählt."

Kogler: "Wir sind ja nicht im Kindergarten."
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Kogler sieht "alle Schritte rechtlich abgesichert"

Die ÖVP reagierte derart verärgert, dass die Koalition auf der Kippe stand. Sie kündigte eine Anzeige gegen Umweltministerin Gewessler wegen Amtsmissbrauchs an, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) sprach von einem "mehr als schweren Vertrauensbruch", die Grünen hätten ihr "wahres Gesicht" gezeigt. "Wir sehen diesen Ankündigungen auch rechtlicher Art sehr gelassen entgegen", bekräftigte Kogler, denn schließlich habe man "alle Schritte rechtlich abgesichert".

Es habe im Übrigen "schon viel größere Krisen gegeben" in der türkis-grünen Koalition, erinnerte Kogler an die Turbulenzen um Sebastian Kurz. Sowohl der Kanzler als auch die Grünen seien wie damals mit dem Bundespräsidenten "gut abgestimmt", "wir sind ständig im Austausch zu dritt".

Weitere Vorhaben werden umgesetzt

Die Zusammenkunft beim wöchentlichen Ministerrat haben ÖVP und Grüne diesen Mittwoch jedenfalls ausgelassen. Ob es überhaupt noch gemeinsame Auftritte der Koalitionspartner geben wird? "Davon gehe ich aus. Wir haben gut zu tun", meinte Kogler. Es liege einiges im Nationalrat, und er sei "überzeugt und zuversichtlich", dass ÖVP-Klubchef August Wöginger und die grüne Klubchefin Sigrid Maurer alles gut über die Bühne bringen.

Kogler glaubt trotz des Zerwürfnisses, dass noch weitere Vorhaben umgesetzt werden, etwa im Zusammenhang mit einem rascheren Verbot der Vollspaltenböden in der Schweinehaltung: "Auch das wird gelingen, ich bin zuversichtlich." Gefragt, ob er ernsthaft glaube, dass die ÖVP mit den Grünen noch Vorhaben speziell aus Gewesslers Bereichen umsetzen wird, entgegnete Kogler: Es gehe um gemeinsame Verantwortung, "da geht es ja nicht um die ÖVP für sich genommen oder um irgendwelche Funktionäre, die irritiert sein mögen". Man habe schließlich "mit Irritationen in der ÖVP laufend zu tun". Kanzler Nehammer agiere aber grundsätzlich sehr verantwortungsvoll: "Unser Regierungsprogramm heißt 'Verantwortung für Österreich', und genau das werden wir weiter leben."

Babler ortet "Arbeitsverweigerung" 

SPÖ-Chef Andreas Babler sieht das anders. Die Regierung befindet sich seit Montag in einem "unwürdigen Schwebezustand zwischen Koalition und Nichtkoalition", kritisierte er am Mittwoch. Dass der Ministerrat nicht in Präsenz stattfand, sah er als "Arbeitsverweigerung". "ÖVP und Grüne sind angetreten und haben uns das Beste aus beiden Welten versprochen, bekommen haben wir das Schlechteste aller Zeiten", höhnte er. Die Regierung bestehe nach dem Eklat vom Montag nur noch, damit die ÖVP auf Steuerkosten Wahlkampf betreiben könne.

Indem er in einem Brief an die belgische Ratspräsidentschaft Gewessler bei der Abstimmung "politisch entmündigt" habe, habe Nehammer Österreich international blamiert. Gleichzeitig versagt die Regierung für Babler auch innenpolitisch: Immer noch leide die Bevölkerung unter der Teuerung, habe täglich Sorge, einen Arzttermin zu finden, der Wohlstand sinke, es herrsche ein "Budgetdesaster". Dennoch sollen laut dem Kanzler nur noch die nötigsten Gesetzesvorhaben beschlossen werden, empörte sich Babler.

Babler befürchtet indes, dass auch die Weiterführung der Regierung die Steuerzahler einiges kosten könnte. So habe das Landwirtschaftsministerium für nur wenige Tage vor der Wahl eine Klimakonferenz angekündigt. Er forderte deshalb ein Verbot von Großveranstaltungen von Ministerien sowie ein Verbot von Umfragen und Studienveröffentlichungen im Wahlkampf. Hier werde man durch parlamentarische Anfragen auch für Transparenz sorgen, so Babler. Von der Regierung sei jedenfalls nicht mehr zu erwarten als "zukunftsvergessene Wahlzuckerl". Gleichzeitig warnte er vor einer Koalition aus ÖVP und FPÖ nach der Wahl, von dieser erwarte er Einsparungen bei Pensionen, Gesundheit und jegliche Aufgabe von Klimaschutz.

Wien will "zentrale Rolle" spielen

In Wien zeigt man sich indes zufrieden über Österreichs Zustimmung zum Renaturierungsgesetz. Die Bundeshauptstadt wolle bei der Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen eine "zentrale Rolle" spielen, sagte Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) am Mittwoch in der Fragestunde des Landtags.

"Jede einzelne Maßnahme, die zu setzen ist, kostet Geld", sagt Jürgen Czernohorszky (Archivbild).
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Der Stadtrat verwies auf die Initiative von Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig (SPÖ), der sich für die Verordnung ausgesprochen hat – wenn auch nicht sofort. Denn Wien äußerte sich so wie alle anderen Bundesländer zunächst ablehnend. Erst als auf EU-Ebene der Entwurf überarbeitet wurde, gaben Wien und Kärnten ihren Sanktus.

Neue Version

Wien habe schon 2022 gesagt, dass die Zielsetzungen der Renaturierungsverordnung zu begrüßen seien, betonte Czernohorszky. Bei der Umsetzung habe man jedoch Schwierigkeiten gesehen, die man adressiert habe – wobei die Punkte letztendlich eingearbeitet worden seien. Schließlich habe es eine neue Version gegeben. "Zu der hat Wien gesagt, es ist richtig, es ist wichtig, es ist machbar."

Wien habe letztendlich eine wichtige Rolle für die Zustimmung durch Ministerin Gewessler gespielt. "Ich freue mich darüber", stellte der Stadtrat klar. Auch in der neuen Stellungnahme Wiens sei jedoch darauf hingewiesen worden, dass man ein klares Bekenntnis vom Bund verlange, für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen.

Kosten

"Jede einzelne Maßnahme, die zu setzen ist, kostet Geld", gab der Ressortchef zu bedenken. Die Wiedervernässung von Mooren werde etwa sehr kostenintensiv sein. Besitzer von Liegenschaften dürften nicht allein gelassen werden. Auch die Ernährungs- und Versorgungssicherheit dürfe nicht gefährdet werden.

Die Stadt setze sich schon lange für Biodiversität ein, sagte Czernohorszky. Wien verfüge weltweit über die höchste Lebensqualtät. "Es ist unsere Aufgabe, diese Lebensqualität zu erhalten." Er erwähnte etwa das – wie er hervorhob auch gesetzlich verankerte – Arten- und Lebensraumprogramm. 50 Prozent der Fläche Wiens seien Grünraum, der Wienerwald allein kühle die Stadt um sieben Grad ab. Renaturierung finde auch jetzt schon statt, Czernohorszky verwies etwa auf den Liesingbach, dessen Pflasterung aufgebrochen werde. Das erst kürzlich präsentierte Großvorhaben auf dem Gelände des brachliegenden Bahnhofs in Breitenlee wurde ebenfalls hervorgehoben. Dort entstehe bis 2030 ein Natura-2000-Gebiet, finanziert unter anderem mit Förderungen der EU. (red, APA, 19.6.2024)