Der in Wien geborene Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant Gerhard Klingenberg wurde am 11. Mai 95 Jahre alt.
Reinhard Maximilian Werner

Gerhard Klingenberg war in Sachen Burgtheater ein Frühberufener. Im Mai 1947 übernahm er, gerade einmal 18 Jahren alt, aufgrund einer Krankheit von Albin Skoda die Rolle des Camille in "Dantons Tod". Ewald Balser, der die Hauptrolle spielte, sagte nachher über ihn: "Es war die größte Talentprobe, die ich je erlebt habe!"

Nach Wien zurückgeholt wurde er dann später – vom großen Ermöglicher Paul Hoffmann. Der verpflichtete ihn 1968 als ständigen Regisseur ans Wiener Burgtheater. Man konnte schon damals von der langsamen, gleichsam unaufhaltbaren Heimkehr eines gewissenhaften, handwerklich fundierten Theatermannes sprechen, der in der österreichischen Provinz allerlei Erfahrungen gesammelt hatte.

Aufbruchsgeist der Kreisky-Ära

Klingenberg, der gebürtige Wiener, war 1956 – im Todesjahr Bertolt Brechts – an das Berliner Ensemble gegangen. Dort lernte er nicht nur die Gepflogenheiten des DDR-Theaters von der Pike auf, 1961 wechselte Klingenberg hinüber in die Bundesrepublik und brillierte bei Oscar Fritz Schuh in Köln und in Frankfurt am Main.

Einen Feuerkopf hätte man Klingenberg, Jahrgang 1929, nicht nennen wollen. Doch als er 1971 als Nachfolger Hoffmanns Direktor der Wiener Burg wurde, brachen mit einem Male modernere Zeiten an. Vor allem anderen war Klingenberg ein Citoyen. Er holte klingende Regie-Namen nach Wien, darunter Peter Hall, Jean-Louis Barrault, Peter Wood, Luca Ronconi und – von entscheidender Wichtigkeit – Giorgio Strehler.

Insgeheim konzedierte seine Burgtheater-Ära durchaus mit dem Aufbruchsgeist der beginnenden Ära Bruno Kreiskys. Dieser wollte die Alpenrepublik bekanntlich mit Demokratie fluten. Klingenberg sorgte im Haus am Ring derweil für die Verbreitung von mediterranem Licht.

Achtungserfolge als Regisseur

Als Regisseur gelangen ihm zumindest Achtungserfolge – man denke an seine Hebbel’sche "Judith" (mit Rolf Boysen als Holofernes), die 1973 den Kritikerpapst Joachim Kaiser zu Begeisterungsstürmen hinriss: "wahrscheinlich seine bisher überhaupt beste Regie-Leistung…" Als guter Hausvater leistete Klingenberg vorzügliche Ensemblearbeit. Bei allem Modernisierungswillen konnte und wollte er auf Josef Meinrad oder die Hörbigers keinesfalls Verzicht leisten.

Manchen ging schon die Integration von Thomas Bernhard oder Harold Pinter in den Spielplan zu weit. Die Uraufführung von Bernhards "Die Jagdgesellschaft" (1974) stieß auf einige Ablehnung auf Seiten der konservativen Besitzstandswahrer. Und noch eigene Inszenierungen wie Grillparzers "König Ottokars Glück und Ende" (1976) mit Heinz Reincke in der Rolle des Titelhelden – und Herwig Seeböck als wahrhaft dämonischem Zawisch – waren voller politischer Fingerzeige und Hinweise: zumal in einem geteilten, vom Antagonismus der Machtblöcke wie gelähmten Europa.

Nach der Burg 

1977 war Schluss mit der Burgherrlichkeit. Klingenbergs Nachfolger Achim Benning konnte auf der solid errichteten Basis weitere Reformschritte in Richtung Burgtheater-Zukunft unternehmen. Gerhard Klingenberg übernahm von Harry Buckwitz die Intendanz des Zürcher Schauspielhauses, an dem er auch vor großen Regie-Gesten nicht zurückschreckte: mit Schillers "Wilhelm Tell", mit Dürrenmatts "Romulus der Große".

Sein Leben lang aber blieb Klingenberg ein feiner Handwerker: ein Bildungsbürger, der fleißig Shakespeare übersetzte und etwa auch am Berliner Renaissance-Theater wusste, wo die Varieté-Lampen hängen – und wie sie zu blinken haben. 1987 hatte seine Inszenierung von Osbornes "The Entertainer" mit Harald Juhnke in der Titelrolle einen geradezu bombastischen Erfolg. Seine Fernsehverfilmung von "Der Fall Oppenheimer" (1963/64) sollte man gesehen haben. Jetzt ist Gerhard Klingenberg 95-jährig gestorben.

Klingenberg sei "immer wach im Geist, klug in der Erinnerung und vielseitig interessiert" gewesen, würdigte Burgtheaterdirektor Martin Kušej den Verstorbenen. (Ronald Pohl, 19.6.2024)